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Songs als Geldanlage

Neben klassischen Verlagen befeuern immer mehr Investmentfonds den Handel mit Musikrechten. Davon profitieren vor allem Stars und Shareholders. Ein Gespräch mit dem Rechteexperten Berthold Seliger über den neuen Goldrausch im Popbuiz.

Von Christian Lehner

Merck Mercuriadis hat eine Vision. Wie der Musikmanager mit kanadischen Wurzeln der New York Times mitteilte, möchte er aus Popsongs Popstars machen. Der Handel mit Musikrechten sei bisher zu bieder verlaufen, man müsse das alte System zerstören. Anstatt darauf zu warten, dass jemand anklopft, um einen Song zu verwerten, will Mercuriadis, der in der Vergangenheit u.a. die Karrieren von Morrissey, Guns’n’Roses und Elton John managte, ein von ihm verwaltetes Musikstück poliert in die Auslage stellen und offensiv für Verwertung bewerben. Überdies würden sich Songs als Geldanlage eignen wie Öl oder Gold.

Das „alte System“, das Merkuriadis meint, liegt in den Händen der großen Musikverlage, die häufig unter einem Dach mit den großen Plattenfirmen wohnen. Verlage und Verwertungsgesellschaften kümmern sich um die Verwertung von Songrechten. Wann immer ein Stück im Radio läuft, auf einer Plattform gestreamt wird, in der Disco zum Tanzen animiert, für eine Serie, ein Videospiel oder einen Kinofilm lizensiert wird, dann fließt Geld an diejenigen, die die Verwertungsrechte an diesen Songs halten. Diese aus dem Urheberrecht abgeleiteten Rechte sind mannigfaltig und können sich auf verschiedene Begünstigte aufteilen (nachzuhören im Podcast).

Investmentfonds und Rock’n’Roll

Der Handel von Musikrechten hat in den vergangenen Wochen deutlich an Fahrt aufgenommen. Bob Dylan verkaufte im Dezember für kolportierte 300 bis 400 Millionen Dollar seinen Katalog mit über 600 Songs an den Verlag von Universal Music („His Bobness“ behielt einzig die Rechte an den Masteraufnahmen für sich).

Es folgten Neil Young, Shakira und Lindsey Buckingham von Fleetwood Mac mit Veräußerungen diverse Rechte oder des gesamten Katalogs an das Start-Up von Merck Mercuriadis. Der Manager steht für einen neuen Typus von Rechteverwertung. Seine 2018 gemeinsam mit Nile Rodgers von Chic ins Leben gerufene Firma Hipgnosis Songs Fund Limited ist ein Investmentfond, der mittlerweile geschätzte 1,7 Milliarden Dollar schwer ist. Mercuriadis Argumente dürften überzeugen. Immerhin hatte Neil Young jahrzehntelang die kommerzielle Verwertung seiner Musik für Werbung verweigert und 1988 im Stück „This note’s for you“ getextet: „Ain’t singing for Pepsi, ain’t singing for Coke“. Jetzt hat Young, der sich noch vor wenigen Wochen mit Donald Trump wegen unerlaubter Verwendung seiner Songs bei Wahlkampfauftritten zoffte, 50% an seinem Songkatalog bei Hipgnosis geparkt.

Fast täglich treffen Meldungen über neue Akquisen ein. Mittlerweile verwertet Hipgnoisis Rechte von Acts wie 50 Cent, Mark Ronson, Chrissie Hynde, Blondie, RZA (Wu-Tang Clan) und Timbaland. Mercuriadis sicherte sich auch die Rechte für einzelne Hits wie „All I Want For Christmas Is You“ von Mariah Carey oder „Love Yourself“ von Justin Bieber. Das Portfolio ist mittlerweile auf über 60.000 Songs angeschwollen.

Wu-Tang Clan in Berlin

Christian Lehner

Der RZA (l) vom Wu-Tang Clan hat es auch getan.

Der Briefkasten des Branchenneulings steht auf der Kanalinsel Guernsey – eine Steueroase. Dort registriert ist auch Round Hill Music Royalty Funds (Rechte u.a. an Werken der Beatles und der Rolling Stones). Eine weiterer Investmentfond mit Off-Shore Struktur ist First State Media Works Fund 1, der Rechte an den Songs u.a. von Bob Marley hält.

Der Tourneeveranstalter und Publizist Berthold Seliger aus Berlin sieht die jüngste Volte des Popbuiz kritisch. Seliger hat bereits 2013 in seinem Buch „Das Geschäft mit der Musik“ die Wege des Finanzkapitals in den Musikmarkt nachgezeichnet.

„Wir sehen hier, dass ein weiterer Teil des Musikgeschäfts im Vermögenshandel der Superreichen aufgeht. Das haben wir bereits im Live-Sektor erlebt. Festivals wie Sziget in Ungarn oder das Wacken Festival sind mittlerweile in Privat-Equity-Hand. Die nächste Spielwiese sind die Musikrechte. Und das ist ein bisschen unfein. Sie hören Musik von coolen Künstlern und damit werden Steuern hinterzogen, wenn man es brutal sagen will.“

Corona, Steuern und Altersvorsorge

Aber warum verkaufen gerade jetzt so viele Musiker*Innen ihre Rechte? „Bei den Älteren werden wohl Erbschaftsangelegenheiten eine Rolle spielen“, sagt Seliger. US-Insider munkeln, dass die Verkaufswelle auch etwas mit dem neuen US-Präsidenten zu tun hat. Joe Biden kündigte im Vorfeld der Wahlen massive Steuererhöhungen für Reiche an. Verwertungsrechte fallen unter den Verkauf von US-Vermögenswerten und viele US-Altstars wären davon direkt betroffen. Also besser jetzt als später.

Eine Rolle dürfte auch die Entwicklung des Streamingmarktes spielen. Wurde in der Gründungszeit von Spotify und Co. vor allem junge Popmusik gestreamt, so war damit spätestens mit Beginn der Coronakrise Schluss. Der Anteil an älteren Stücken ist gestiegen. Die Rechteverwerter sehen hier wohl eine goldene Zukunft – vor allem was Evergreens und Superhits betrifft, die auch oft und gern für Streaming-Serien wie „The Crown“ lizensiert werden.

Zu Lasten neuer Musik

Diese Entwicklung ist laut Berthold Seliger schlecht für Nachwuchskünstler*Innen und das liegt auch an den gängigen Abrechnungsmodellen: „Ob in den Discos, bei Spotify oder auch im Radio: Es greifen nach wie vor Pauschalbeträge. Wenn ich 10 Euro für ein Streamingabo bezahle, dann wird das ja nicht auf die Musik verteilt, die ich tatsächlich gespielt habe in einem Monat. Das kommt in einen Topf und wird an alle verteilt und davon profitieren diejenigen mit den meisten Streams.“

Sendungsbild Interview Podcast

Radio FM4

Urheberrecht und Musikhandel. Das vollständige Gespräch mit Berthold Seliger hier im FM4-Interview-Podcast

Um der Spekulation mit Musikrechten einen Riegel vorzuschieben und um die jungen Urheber*Innen zu stärken, empfiehlt Seliger eine deutliche Verkürzung des Urheberrechtsschutzes. Prinzipiell seien diese Rechte „eine großartige Errungenschaft, die vor allem in den 1960er-Jahren mühsam erkämpft wurden“ (Seliger). Es kann bei falscher Gewichtung aber auch generationsübergreifende Schieflagen zementieren und eine rechtliche Grundlage für Finanzspekulationen bilden.

Derzeit schützen Urheberrecht und Leistungsschutzrechte in Deutschland Werke bis 70 Jahre nach dem Tod der Urheber*Innen. Das Patentrecht hingegen gilt nur 20 Jahre nach Anmeldung. Eine Verkürzung der Wirkungsdauer auf 20 Jahre würde ältere Songs nach einiger Zeit aus den Abrechnungsmodellen fallen lassen. So bliebe mehr für frische Songs.

„Ein weiterer Vorschlag: Neue Musik müsste wesentlich höher tarifiert werden. Wenn ein Stück das erste Mal gespielt wird, gibt man mehr Geld dafür aus, als wenn zum x-ten Mal „Imagine“ von John Lennon läuft. Damit wurde ja in der Vergangenheit schon genug Geld verdient.“

In den Schubladen der Gesetzgeber liegen zahlreiche Vorschläge für die Reform des Urheberrechts, doch Seliger blickt nicht sehr zuversichtlich in die Zukunft. Je stärker der Finanzkapitalismus den Musikmarkt dominiert, desto einflussreicher wird seine Lobby. Außerdem würde sich der Musiknachwuchs zu wenig um seine Rechte kümmern. Außerhalb von England gäbe es kaum Bestrebungen für gewerkschaftliche Zusammenschlüsse.

You Gotta Fight For Your Right

Wenn es um die Verwertungsrechte geht, tritt vor allem die Musikindustrie als zumindest verdächtiger Fürsprecher für die Urheber*Innen auf. So regt sich in Deutschland unter Federführung der Standesvertretung der Tonträgerindustrie Widerstand gegen die Umsetzung eine EU-Richtlinie, die vorsieht, die nichtkommerzielle Nutzung von 20 Sekunden urheberrechtlich geschützter Musik zu gestatten.

Gegen diese Richtlinie protestierten u.a. auch Bands wie Feine Sahne Fischfilet, Zugezogen Maskulin und AnnenMayKantereit. Dabei würde es laut Seliger in diesem Fall dem Nachwuchs eher nützen, wenn man 20 Sekunden eines Stückes für nichtkommerzielle Nutzung zum Beispiel als Sample frei gibt, anstatt ausgerechnet hier, an der falschen Stelle, auf das Urheberrecht zu bestehen.

"Bereits unter Beethoven war das Zitieren von Werken wichtig. So funktioniert künstlerischer Austausch. Die Musikindustrie tut noch immer so, als würde sie die kreative Klasse vertreten, aber die Interessen der Plattenfirmen und Musikverlage sind nicht die der Musiker und Musikerinnen,“ sagt Berthold Seliger dazu.

Berthold Seliger

Matthias Reichelt

Oder die der Songschreiber*Innen. Sie verdienen im aktuellen Pop am wenigsten und werden häufig mit kleinen Pauschalbeträgen abgespeist. Merck Mercuriadis träumt hingegen von einer „Songwriter‘s Guild“, die die Rechte der Autor*Innen stärken soll und garantiert den Künstler*Innen, dass Hipgnosis behutsam mit den Werken verfahren würde.

Doch in einem Markt, in dem immer mehr Kreative an einem Stück Musik arbeiten, hört sich diese Melodie seltsam schief und aus der Zeit gefallen an. Derzeit zahlt sich die Involvierung in Hipgnosis vor allem für die Stars und die Investoren aus. Ob nach dem Ausverkauf des doch etwas überschaubaren Oldies-Segments noch genug Goldies für den großen Rest der Musiker*Innen übrig bleibt und Big-Money-Investoren wieder das Weite suchen, werden die Börsenkurse zeigen. Oder eine Urheberrechtsreform.

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