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Strichmännchen und Strichmädchen auf schwarzem Hintergrund (Tafel)

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Die Pandemie macht mich sentimental

Ich habe begonnen, frühere Bekanntschaften auszuforschen. Sie haben sich recht unterschiedlich entwickelt.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Die Pandemie macht mich sentimental. Momentan ist es wurscht, ob meine Freunde in der Straße gegenüber oder am andere Ende der Welt wohnen. Ich darf sowieso niemanden treffen. Mit Hilfe von Social Media habe ich angefangen, frühere Bekanntschaften zu suchen. Ich hatte einen Mitschüler in der Volksschule, mit dem wir gewettet haben, dass er sich nicht traut, eine tote Taube im Büro der Lehrerin zu verstecken. Der ist jetzt CEO eines Softwareunternehmens im Silicon Valley geworden. Eine andere Mitschülerin aus dem Gymnasium, die einmal betrunken in die Schule gekommen ist und in meinen Schoß gekotzt hat, ist jetzt Tennislehrerin in Las Vegas. Sie isst kein Fleisch, trinkt keinen Alkohol und spielt zehn Stunden am Tag Tennis. Eine wahre Verwandlung.

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Am interessantesten ist aber jene Mitschülerin, die damals eine wahre Partykönigin war. Jetzt wohnt sie abseits von allen sozialen Netzwerken in einem entfernten bulgarischen Bergdorf, und man sagt, dass sie mit Geistern kommuniziert. Der Silicon-Valley-Typ erzählt mir, dass sie niemanden trifft und nur isst, was aus ihrem eigenen Garten kommt, und die Milch direkt aus dem Euter ihrer Ziege trinkt. Die Tennislehrerin aus Las Vegas erzählt mir, dass sie sich das letzte Mal vor zwei Jahren getroffen haben und dass sie wie ein Skelett ausschaut. Aber sie fühle sich ausgezeichnet, obwohl es in ihrem Haus weder Strom noch fließendes Wasser gibt. Sie badet in einem Trog, den sie mit Regenwasser befüllt. Sie meint, dieses Wasser sei sauberer als eine Träne und man spüre nach so einem Bad sein eigenes Ich so stark, dass andere Menschen durchsichtig erscheinen. Sie brauche keine Social Media, denn sie könne mit jedem auf dieser Welt, ob lebend oder tot und wann immer sie wolle, kommunizieren.

Der Mitschüler vom Silicon Valley meint, es sei gut, dass es nicht mehrere wie sie gibt, denn solche Menschen seien schlecht fürs Softwaregeschäft. Und für die Werbung sowieso. Wer braucht schon Faltencreme, wenn man magisches Regenwasser hat?

Ich würde sie gerne besuchen, wenn die Pandemie es mir erlaubt. Bis dahin beruhigt es mich, dass sie sowieso mit mir sprechen kann, ganz egal, wie weit sie von mir entfernt ist. Ich bin derselbe Todor, der zwei unterschiedliche Socken trägt und auf FM4 Geschichten erzählt. Und vielleicht könnte sie mir mit der Kraft ihrer Gedanken helfen, mein Handy zu finden, denn ich suche es schon seit zwei Stunden.

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