„Systemsprenger“ Helena Zengel stiehlt Tom Hanks die Show

In Paul Greengrass’ neuem Film reist Tom Hanks als Ex-Soldat 1870 durch Texas und liest der analphabetischen Bevölkerung aus der Zeitung vor. Dabei stiehlt ihm aber eine die Show: die zwölfjährige deutsche Nachwuchsschauspielerin Helena Zengel.

Von Philipp Emberger

Fünf Jahre nach dem Ende des US-amerikanischen Sezessionskrieges, der das Land zwischen Nord und Süd tief gespalten hat, tuckert Captain Jefferson Kylee Kidd mit seinen Pferden durch die Südstaaten. Für ein paar Cent liest der ehemalige Soldat der Bevölkerung aus den aktuellen Zeitungen vor und versorgt so die Bevölkerung mit dem neuestem Gossip.

Eines Tages trifft er auf seinem Weg in das nächste Städtchen auf ein verwildertes Mädchen, das ihm anfangs skeptisch gegenübersteht. Wie sich herausstellt, heißt das verwaiste Kind Johanna Leonberger (gespielt von Helena Zengel) und wurde vor einigen Jahren von den indigenen Kiowa entführt. Der Stamm der Kiowa wurde aber getötet und das blonde Mädchen zum zweiten Mal zur Waisen gemacht. Seine letzten noch lebenden, deutschen Verwandten wohnen weit weg.

Trotz Problemen bei der Verständigung nimmt der melancholisch-gutmütige Captain die junge Johanna mit, um sie mit Tante und Onkel wieder zu vereinen. Für das ungewöhnliche Duo beginnt damit eine Reise durch die Südstaaten der USA, bei der sich beide ihren Dämonen stellen müssen.

Obwohl der Film 1870 spielt, sieht Tom Hanks mit grauem Bart und farblosen Klamotten irgendwie aus wie immer. Das ist aber egal, denn neben der deutschen Schauspielerin Helena Zengel wirkt der Filmstar ohnehin etwas blass. Zengels Rolle besteht aus wenig Text, aufgewachsen bei den Kiowa versteht sie ihren neuen Aufpasser nicht. Die beiden müssen also mit Händen und Füßen kommunizieren.

Superstar Helena Zengel

Die zwölfjährige Deutsche Helena Zengel hat 2019 im Film „Systemsprenger“ auf der Berlinale für Aufregung gesorgt. Darin spielt sie ein neunjähriges Mädchen mit aggressiven Verhaltensweisen und dementsprechend regelmäßigen Ausrastern. Für diese Performance wurde die Berlinerin Zengel in höchsten Tönen gelobt und diese Leistung bringt ihr nun ihr erstes Hollywood-Engagement ein. Damit folgt auch gleich die erste Golden-Globe-Nominierung für ihren gerade mal vierten Kinofilm.

Die Parallelen zu „Systemsprenger“ sind offensichtlich, im Netflix-Western muss die Nachwuchsschauspielerin ihre Rolle ebenso mit Mimik und Gestik füllen. Eine große Aufgabe für die junge Schauspielerin, die sie mehr als meistert. Das Innenleben ihrer Figur bringt sie gar so überzeugend rüber, dass die Szenen mit ihr die Highlights des Films sind und die Soloszenen von Tom Hanks dagegen mühselig eindimensional erscheinen lassen.

Die Kritik, dass der Fokus des Dramas zu stark auf dem Captain liegt und die Rolle des jungen Kiowa-Mädchens vor allem dafür herhalten muss, den weißen, alten Mann bei seiner Heldenreise zu unterstützen, wird sich Regisseur Paul Greengrass aber gefallen lassen müssen.

(Un-)Freiwillig aktuell

Greengrass, der in der Vergangenheit unter anderem für „Captain Phillips“ und drei der fünf „Jason Bourne“-Filme verantwortlich war, bearbeitet mit „News of the World“ ein (un-)freiwillig aktuelles Thema. Die Bilder der Erstürmung des Kapitols durch einen rechtsradikalen Mob sind noch nicht alt und trotzdem bereits zum Symbolbild für eine gespaltene US-amerikanische Gesellschaft geworden.

Der Westernfilm greift das Thema der Spaltung auf. „Texas first“, heißt es etwa an einer Stelle des Films von einem Vertreter der Südstaaten. Deshalb drängt sich eine Interpretation des Filmes als aktueller Kommentar geradezu auf. Das Filmduo gerät in die ähnlich aufgeheizte Stimmung der Nachkriegszeit. Dabei liefert Tom Hanks neben Dad-Vibes aber auch viel Versöhnlichkeit, und das macht „News of the World“ zu einem ruhigen, soliden Western mit Roadmovie-Elementen, schönen Landschaftsaufnahmen, einem aktuellen Thema, viel Herz und einem Star namens Helena Zengel.