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Montage aus zwei Filmen: "Who's Afraid of Virginia Woolf" und "Malcolm & Marie". Zu sehen ist jeweils ein Paar mit Frau und Mann

Warner | Netflix

FM4 FILMPODCAST

Die Kunst des Kammerspiels

Der neue FM4 Filmpodcast widmet sich anlässlich von „Malcolm & Marie“ einem ganz speziellen Thema: Es geht um Filme, die nur in einem Haus spielen.

Von Christian Fuchs

Wenn ein ganzer Film an nur einem Schauplatz oder gar in einem einzigen Raum spielt, dann kann das verschiedene Gründe haben. Möglicherweise diktiert die inhaltliche Vorlage diese Ausgangsposition. Oder das Ganze hat einfach budgetäre Gründe. Oft ist es aber einfach die Limitierung selbst, die sich als künstlerisch reizvoll erweist.

Während der ersten Lockdowns stellte sich der US-Regisseur Sam Levinson dieser Herausforderung. Gemeinsam mit seinen beiden Stars Zendaya und John David Washington und einem kleinen Team zog er sich in eine Designervilla in L.A. zurück. Der Film „Malcolm & Marie“, noch dazu in Schwarzweiß gedreht, verlässt die Location nicht, gerade mal den Garten vor dem Haus sehen wir. Langweilig wird einem bei dem knisternden Beziehungsdrama trotzdem nie.

Meine Kollegin Pia Reiser ist da anderer Meinung. Im neuen FM4 Filmpodcast diskutieren wir aber nicht nur hitzig über „Malcolm & Marie“. Die gehypte Netflix-Produktion ist auch der Start für ein Gespräch über großartige Filme, die alle nur in einem Haus spielen. Fündig wird man dabei in allen möglichen Genres. Action-Kammerspiele wie „Free Fire“ von Ben Wheatley treffen auf Gerichtssaaldramen wie „12 Angry Men“ oder Quentin Tarantinos „The Hateful Eight“, der sich primär auf das Innere einer Kutsche und eines Gemischtwarenladens beschränkt.

Wohnen mit Schrecken

Besonders der Horrorfilm eignet sich für diesbezügliche Experimente. Die „Paranormal Activity“-Reihe, rund um Geistererscheinungen in bürgerlichen Wohnhäusern, geriet mit ihrer billigen Überwachungskamera-Ästhetik zum Kinokassen-Phänomen. Das Subgenre der Homeinvasion-Movies spitzt die Stimmung auf engem Raum bis zum blanken Terror zu, als dringende Empfehlung sei der spannungsgelade Schocker „You’re Next“ aus dem Jahr 2011 genannt.

Auch der hysterische Avantgardethriller „mother!“ von Darren Aronofsky und Michael Hanekes provokative Versuchsanordnung „Funny Games“ flirten bewusst mit Homeinvasion-Klischees. Dabei sind beide Filme im Grunde Mogelpackungen, geht es neben dem Nervenkitzel doch um schwere Botschaften. Aronofsky will biblische Metaphern und ökologische Botschaften vermitteln, Haneke dagegen scharfe Medienkritik.

Alles andere als eine oberflächliche Horror-Fingerübung ist auch Karyn Kusamas virtuoser Thriller „The Invitation“, der in einem luxuriösen Haus in den Hollywood Hills eine Geschichte um eine geheimnisvolle Sekte erzählt. Das ziemlich unterschätzte Meisterwerk steigert die klaustrophobe Atmosphäre in 100 Minuten so konsequent, dass wir im Filmpodcast in eine kleine Lobeshymne verfallen.

Roman Polanski, einer der Altmeister intimer Bedrohungsszenarien auf engem Raum, entwickelt die Spannung in Arthouse-Horrorklassikern wie „Repulsion“ oder „The Tenant“ in hermetischen Szenarien. Seine wortgewaltige Bühnenstück-Adaption „Carnage“ („Der Gott des Gemetzels“) muss sich allerdings den Vorwurf gefallen lassen, der über allen Filmen schwebt, die nur in einem Haus spielen: Der Film kann seine theatralische Vorlage nicht leugnen.

Weitaus cinematischer ist ausgerechnet eine neuere Streaming-Serie, die deutlich von Polanski - und auch Alfred Hitchcock - beeinflusst ist. „Servant“ fasziniert mit einer beklemmenden Grundstimmung, die sich durch die recht kurzen Episoden zieht. Mystery-Spezialist M. Night Shyamalan setzt auf psychologischen Schrecken in einem morbid-schönen Wohnhaus in New York.

Ein schnöseliges Paar und ein schüchternes Kindermädchen verstricken sich in einen Albtraum, der sich in den dunklen Gängen und Dachbodenzimmern des Appartments entfaltet. Eine Ausnahmeserie für Suspense-Fans, auch wenn die aktuelle zweite Staffel nicht mehr die atmosphärische Dichtheit erreicht.

Echte, saufende, schreiende Monster

Aber was sind schon irreale Horrormonster gegen das Grauen der zwischenmenschlichen Realität? Um hier kurz ganz persönlich zu werden: Godzilla, Frankenstein und andere Kreaturen waren zwar meine Freunde als Kind. Einmal habe ich aber kurz mitgeschaut, als meine Eltern „Who’s Afraid of Virginia Woolf?“ im ORF sahen. Der gefeierte, mit mehreren Oscars ausgezeichnete Streifen aus dem Jahr 1966 zeigte echte, saufende, schreiende Monster in ihren muffigen Wohnräumen.

Für mich symbolisierte der schwarzweiße Debütstreifen von Mike Nichols, der sich - wie „Malcolm & Marie“ - auf Geschehnisse in einer Nacht beschränkt, die geballte Feindseligkeit der Erwachsenenwelt. Ich gestehe, ich bin dem Film, wie auch gewissen verwandten Werken von Ingmar Bergman, mein ganzes Leben lang ausgewichen.

Für den Filmpodcast musste ich mich dem Kindheitstrauma aber stellen - und was soll ich sagen: „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ ist natürlich ein Meisterwerk, dass vor allem wegen seiner atemberaubenden Kamera beinahe zeitlos wirkt. Elisabeth Taylor und Richard Burton als Höllenpaar agieren entfesselt, die Dialoge sind infernalisch gut.

Filmpodcast

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Der FM4 Film Podcast läuft am Montag um Mitternacht auf Radio FM4 und ist auch in der Radiothek verfügbar.

Studentische Mörder und Hinterhof-Voyeure

Wer in dem Podcast nicht fehlen darf, ist Regie-Ikone Alfred Hitchock, der formale Herausforderungen liebte. Er drehte mit „Lifeboat“ 1944 nicht nur einen Film, der zur Gänze in einem Rettungsboot spielt. In seinem legendären Thriller „Rope“, bei uns als „Cocktail für eine Leiche“ bekannt, verharrt die Kamera ausschließlich in einer Studentenwohnung, die Story rollt in Echtzeit ab, ohne sichtbare Schnitte.

Zwei junge Männer erdrosseln darin einen ehemaligen Klassenkameraden, einfach weil sie den perfekten Mord ausüben wollen, als eine Art grausamen philosophischen Akt. Ein Professor der beiden, von James Stewart verkörpert, deckt in schlanken 80 Filmminuten das Verbrechen auf.

Auch in Hitchcocks Krimiklassiker „Rear Window“ schlüpft der Darsteller in die Rolle des unfreiwilligen Ermittlers. Ein Pressefotograf, der durch einen Unfall vorübergehend in den Rollstuhl gezwungen ist, wird zum Hinterhof-Voyeur und kommt einem vermeintlichen Mordfall in der Nachbarschaft auf die Spur.

Auch wenn der Thrilleraspekt des Films heute vielleicht nicht mehr zwingend funktioniert und „Das Fenster zum Hof“ sein Entstehungsjahr 1954 nicht leugnen kann: Wie Hitchcock von einem sehr beschränkten Schauplatz aus eine universell menschliche Geschichte erzählt, hat so gar nichts mit Theater zu tun. Wie bei den besten Filmen, die nur in einem Haus angesiedelt sind, geht es um pures Kino.

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