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Françoise Cactus

Stefanos Notopoulos

Au revoir Françoise Cactus

Wir sind erschüttert, erfahren zu müssen, dass eine große Freundin von FM4 von uns gegangen ist. Wie ihr Heimatsender Radio Eins in Berlin bekanntgegeben hat, ist Françoise Cactus heute im Alter von 57 Jahren gestorben.

Von Boris Jordan

Françoise Cactus war Musikerin, und ihr sorgsam gepflegter, mit allerlei sehr deutschen Zoten vermischter französischer Akzent war selbst Musik. Sie war die wandelnde Intervention, die zotige Entertainerin mit der kaum versteckten Melancholie, die es dazu braucht. Sie war einer der witzigsten und freundlichsten Menschen, die mir in diesem Geschäft untergekommen sind. Und sie war eine der konsequentesten Künstlerinnen.

Als Sängerin und Schlagzeugerin hat sie mit ihrem Mann und kongenialen Partner Brezel Göring mit ihrer Band Stereo Total FM4 wie kaum jemand anderer begleitet. Sie war Wortlaut-Jurorin, war unzählige Male für FM4 auf der Bühne gestanden, und fast jedesmal hat sie dabei fast allein eine große Backstage-Runde mit ihren spitzen französischen Wortkaskaden unterhalten.

Die Band Stereo Total hat sie – wie es sich für eine richtige Avantgarde gehört - einem strengen Manifest untergeordnet, in dem sich die MusikerInnen dazu verpflichten, Virtuosität zu vermeiden, kein Geld für Instrumente auszugeben, den technischen Standard unbedingt zu unterschreiten, in allen Sprachen außer Englisch zu singen und alles zu vermeiden, was einem „Zeitgeschmack“ entsprechen könnte. Zusammen mit der Liebe für angestaubte Flohmarktsounds hat das Liebespaar Bretzel und Françoise daraus eine wilde und durchaus ernste Bastelspaßmusik gebaut, die in ihrer Zeit auf der ganzen Welt keine Parallele kannte.

Françoise Cactus war Kritikerin und Kennerin der hohen Kunst von Godard bis Gainsbourg, selbst und privat ebenso schneidend intellektuell und trennscharf wie in der Öffentlichkeit lässig und nachlässig, empört und erheitert, gesellig und launig, mit einer radikalen Abneigung gegen Spießer und Langweiler jeglicher Couleur.

In der Kenntnis der Kunst und Avantgarde-Geschichte des 20. Jahrhunderts und mit einem Gespür für Ready Made, LoFi, Miniatur und Detail war für sie ein sorgsam platziertes Schmuckstück auf der Bühne, ein Doppelsnare-Schlag und ein nebenbei genäseltes „Oui“ (oder „Mais non“) ebenso konstitutiv für ihr ganzes künstlerisches Universum wie ihr unübersichtlich reichhaltiges Oeuvre aus Liedern, Anekdoten, Geschichten, Flüchen, Bonmots, Strickwaren und künstlerischen Interventionen. Und die daraus entstehende wuselige Unübersichtlichkeit und Unordnung war wiederum eine Quelle für ihr Amusement.

Unüberhörbar hat sie laufend – nicht selten im Gespräch - ihre geistreichen Miniaturen gebastelt, die ihr vexierhaftes Werk ausmachten: Ein Kurt Schwitters’sches Lied, das hauptsächlich aus Satzzeichen besteht, ein Kinderlied übers Nacktsein („Na und?“), die Verneigung vor der Ecriture Automatique von Andre Breton, ein Trash-Musical über tote Popstars, eine Dylan-Hommage im „Menage a trois“ („Hippieshit“), Schreibmaschinenpercussion a la Danny Kaye, kurz, der wilde Wald der weggeworfenen Referenzen, der Abstellraum der lustigen Unordnung. Willentlich und wissentlich zu Hause in einer der besten Punktraditionen, der von situationistischer Intervention, dadaistischem Spielzeugtrash, buntem wie abgewetztem Plastik und gnadenlosem Lo-Fi.

Und mit schnell wegwerfender, rücksichtsloser Energie hat ihre französelnde Version des Sixties Rock ’n’ Roll Revivals, ihr federnd nachhinkender Garagen-Surf-Beat zu Brezels Piep-Piep-Casio all das begleitet, geordnet und zu ihrem Einzigartigem gemacht.

Françoise Cactus ging vor wie eine Freundin des großen Kinos, des shabby chic und des fading glamour vergangener Epochen, bei denen sie sich füllig bedienen konnte, obwohl oder gerade weil sie der Falten hinter der dick aufgetragenen Schminke immer gewahr blieb. Faire semblant mais ne jamais mentir.

Françoise Cactus ist heute im Alter von 57 Jahren an Brustkrebs gestorben. Wir wussten nichts von ihrer Krankheit, ich hatte länger nicht mehr an Françoise Cactus gedacht und mich gefreut, als sie Kollege Christian Lehner noch vor Kurzem in Berlin zum Interview treffen durfte. Man würde wieder mit ihr rechnen können.

Christian Lehner trifft Françoise Cactus und Brezel Göring (Stereo Total)

Wir trauern sehr um diese lustige geistreiche Freundin. Sie wird fehlen.

Ein FM4 Zimmerservice Spezial in Erinnerung an Françoise Cactus

Françoise Cactus, die deutsch/französische Ikone der Berliner Subkultur, war vor allem als Sängerin des Duos Stereo Total bekannt und auch für FM4 war sie über all die Jahre ein Fixstern in Sachen Charme, Witz und Schlauheit.

radioeins

radioeins

Für den Berliner Sender Radio 1 hat Françoise Cactus eine regelmäßige Musiksendung gestaltet. Für die vorerst letzte Folge hat ihr langjähriger Lebensgefährte und Stereo Total Partner Brezel Göring in Memoriam Françoise Cactus gestaltet.

Das FM4 Zimmerservice übernimmt am Sonntag, 28. März, dieses zwei Stunden Radio voller Musik, Erinnerungen und Anekdoten von und für Françoise Cactus, ausgewählt von ihrem Lebensmenschen Brezel Göring, natürlich mit Songs von Stereo Total und Les Lolitas aber auch den ewigen Heldinnen von Cactus: Serge Gainsbourg, Nico oder Johnny Thunders.

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