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Was macht koloniale Raubkunst noch in Wien?

In vielen europäischen Museen werden immer noch Kunstobjekte ausgestellt, die aus afrikanischen Ländern gestohlen wurden. So auch im Weltmuseum in Wien, wo unter anderem die berühmten Bronzefiguren aus dem ehemaligen Königreich Benin ausgestellt sind, die seit Jahrzehnten zurückgefordert werden. Das Museum geht offen mit diesem Umstand um, kann aber sonst nicht viel ändern.

Von Melissa Erhardt

Vor ziemlich genau 124 Jahren, im Februar 1897, eroberte Großbritannien in einer Militäraktion das von Edo-Völkern gegründete Königreich Benin im Westen Afrikas. Der Grund: Der Oba (König) Benins, Ovonramwen Nogbaisi, hatte sich nicht an den Handelsvertrag gehalten, der den Briten wirtschaftliche Macht über das Königreich verschafft hätte. Er und sein Volk wehrten sich mit Gewalt gegen den britischen Einfluss.

Zur Strafe plünderten die britischen Soldaten den Palast des Owas, verbannten ihn und brachten das Königreich unter britische Kontrolle. Es war das Ende der Unabhängigkeit für das Königreich Benin, das heute in Nigeria weiter existiert, jedoch ohne politische Macht.

Die Objekte, die aus dem Palast gestohlen wurden, - vor allem die wertvollen „Benin-Bronzen“ und Elfenbein-Schnitzereien -, sind noch im selben Jahr auf dem Kunstmarkt in London gelandet, wo sie zur nachträglichen Kriegsfinanzierung verkauft wurden. Viele der Objekte kamen auf diesem Weg auch nach Wien, wo sie heute im Weltmuseum in der Sammlung „Benin und Äthiopien: Kunst Macht und Widerstand“ ausgestellt werden. Das Museum geht mit der Geschichte der Objekte offen um. Sie wird genau nachgezeichnet, es werden sogar Videobeiträge von Vertreter*innen des Edo-Königreichs gezeigt, in denen diese ihre Werke zurückfordern. „Es wird nichts versteckt im Museum, es wird nichts unter den Teppich gekehrt. Man kann alles nachlesen, es ist da“, sagt Kulturvermittlerin Stella Asiimwe in einem Online-Ausstellungsgespräch des Weltmuseums.

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Die zwei Hofzwerge im Weltmuseum Wien sind weltweit einzigartig. Sie zählen zu den frühesten Kunstwerken aus Benin (14./15. Jh.)

Raub des „Kollektiven Gedächtnisses“

Aber hat sich damit die Sache erledigt? Bei den Edo, den Nachfahren der Gründer des Königreichs Benin, kennt fast jeder und jede die Geschichte der Benin-Bronzen. Für sie handelt es sich dabei aber nicht bloß um Kunstobjekte: Das Edo-Volk nutzte keine Schriftsprache, wichtige Ereignisse wurden in Bronze gegossen oder in Elfenbein geschnitzt.

Mit dem Raub habe man ihnen quasi die Geschichte, ihr „Kollektives Gedächtnis“ genommen. Seit 1914 forderten daher alle Obas der Edo ihre Objekte zurück – ohne Erfolg. Einen kleinen Schritt näher ist man diesem Ziel aber mit der Benin Dialogue Group gekommen, die seit 2010 existiert und der auch das Weltmuseum Wien angehört: „Das Ziel ist die gemeinsame Bearbeitung dieses historischen Erbes und über gemeinsame mögliche Zukunftsgestaltungen nachzudenken – und zwar im Rahmen der Möglichkeiten von Museen“, sagt dazu Nadja Haumberger, Kuratorin der Benin-Ausstellung im Weltmuseum und Vertreterin des Museums in den Benin Dialogues. Aktuell habe man sich darauf geeinigt, dass es ein neues Museum in Benin City geben wird, das sogenannte Edo Museum of West African Art, „und in dieses Museum werden alle teilnehmenden Institutionen der Dialoggruppe Leihgaben schicken, auch wir.“

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Reliefplatte: Zwei Würdenträger (Gelbguss, 16./17. Jh.)

Der politische Wille fehlt

Dass nur über Leihgaben und nicht über die Rückgaben der Benin-Bronzen verhandelt wird, stößt bei vielen sauer auf. Fakt ist: Viel mehr ist auf Ebene der Museen nicht möglich – für eine tatsächliche Restitution bräuchte es klare politische Entscheidungen. Haumberger: „In Österreich und in vielen anderen europäischen Institutionen, die auch an dieser Dialoggruppe teilnehmen, ist es so, dass das Museum diese Objekte verwaltet, aber nicht besitzt. Die gesamten Objekte in allen österreichischen Bundesmuseen sind in Besitz der Republik Österreich. Das macht es für uns komplizierter, über diese Dinge zu sprechen.“

Und was sagt die Politik dazu? In Österreich gibt es dazu nur minimale Fortschritte. So wurden, Laut NEOS auf ihre Initiative hin, für das Jahr 2021 circa 160.000 Euro für die Provenienzforschung freigegeben, um mit der Aufarbeitung der rund 46.000 Objekte afrikanischer Herkunft in Österreich zu beginnen. Viele sehen darin einen ersten wichtigen Schritt, der auch im türkis-grünen Regierungsprogramm festgehalten wird. Andere sehen in der Provenienzforschung nur eine Methode, Zeit zu schinden, wie Dr. Louis Henri Seukwa, deutscher Migrationsforscher auf einem Panel des Black Voices-Volksbegehren zu dem Thema meint: „Bei der Provenienzforschung werden die Regeln erst wieder von Europa bestimmt. Wenn wir über eine Rückgabe sprechen wollen, braucht es eine Entschuldigung auf höchster Ebene, dass Europa an diesen kolonialen Verbrechen beteiligt war. Erst das schafft die Grundlage einer Diskussion. Dann braucht es eine Entschädigung, Transparenz und Partizipation.“

In Österreich wäre für die Rückgabe der Objekte ein neues Gesetz notwendig. Das österreichische Kunstrückgabegesetz, das die Rückgabe von Kunstobjekten regelt, die im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus entwendet wurden, kann laut Vizekanzler und Kulturminister Werner Kogler (Grüne) „aufgrund des Vorliegens völlig unterschiedlicher historischer wie juristischer Parameter“ nicht auf andere historische Kontexte (wie etwa dem Benin-Kontext) ausgeweitet werden, wie er Anfang 2020 eine Parlamentarische Anfrage der NEOS beantwortet.

Keine neue Debatte, aber neue Dynamik

Die Debatte rund um die Rückgabe kolonialer Raubkunst besteht schon seit den 1970ern. Frischer Wind kam in Europa aber erst durch einen vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Auftrag gegebenen Bericht der französischen Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und des senegalesischen Wissenschaftlers Felwine Sarr auf, in dem die Rückgabe von Artefakten aus Subsahara-Afrika empfohlen wurde.

In den Niederlanden ist es vor kurzem zu einem bedeutenden Durchbruch gekommen: Dort hat die amtierende Kulturministerin Ingrid van Engelshoven einen Bericht einer beratenden Kommission angenommen, der eine Politik der „bedingungslosen Rückgabe“ von Objekten fordert, die aus niederländischen Kolonien geraubt worden sind und bei Objekten aus Kolonien anderer Länder die Interessen der Parteien abwägt – unabhängig davon, ob die Forschung belegt, ob sie geraubt wurden oder nicht.

In Afrika hat währenddessen Anfang Februar der 34. Gipfel der Afrikanischen Union unter der Führung des Präsidenten der Demokratischen Republik Kongo, Felix Tshisekedi, stattgefunden. Unter dem diesjährigen Motto „Arts, Culture and Heritage: Levers for Building the Africa We Want” steht damit die Kultur und das Erbe des Kontinents im Mittelpunkt. Das Ziel der Rückgabe kolonialer Raubkunst, das schon 2015 in der Agenda 2063 festgehalten wurde, wird dadurch noch einmal bekräftigt, wie auch Journalist Simon Inou im Black-Voices-Panel meint: „Zum ersten Mal kommt die Afrikanische Union mit dem Motto: Wir wollen unsere Sachen zurück. Und das ist sehr wichtig.“

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