FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Ein junger Mensch lernt. Er ist bis auf die Arme von einem Stapel Bücher verdeckt

CCO

So funktioniert kostenlose psychosoziale Beratung für Studierende

Ob Prüfungsangst oder Herzschmerz, die Psychologische Studierendenberatung hilft seit 1969 kostenlos und auf Wunschh anonym. Im Moment ist die Nachfrage besonders hoch. Wie funktioniert die kostenlose psychosoziale Beratung für Studierende?

Von Maria Motter

„Eine gewisse Zukunftsverdrossenheit, weil man zu wenig Perspektiven hat“, hält Heinz Faßmann Anfang Februar in der ORF Pressestunde fest und spricht von Studierenden in Österreich. Zugleich kündigt der Bildungsminister an, die studentische psychologische Beratungstätigkeit neu aufzustellen und zu expandieren.

Doch auf Nachfrage im Bildungsministerium erfährt man dazu noch nichts Konkretes. Die Corona-Pandemie schlägt aufs Gemüt. Kostenlos und auf Wunsch anonym gibt es psychologische Beratung für Studierende seit 1969. Was damals als Pilotprojekt begonnen hat, ist seit 50 Jahren die „Psychologische Studierendenberatung“, finanziert vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung. Diese Serviceeinrichtungen gibt es in Salzburg, Innsbruck, Linz, Klagenfurt, Graz und Wien. Insgesamt arbeiten 70 Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen in der Psychologischen Studierendenberatung.

Die Psychologische Studierendenberatung hat Tipps zum Studieren, speziell jetzt in der Corona-Zeit, zusammmengestellt.

Die Psychologische Studierendenberatung hilft - ob Leistungsdruck oder Herzschmerz

Das Angebot reicht von Unterstützung bei der Studienwahl bis hin zu Psychotherapie zur Bewältigung persönlicher Probleme. Es gibt keine Beschränkung, was die Stundenanzahl betrifft. Prinzipiell könnte jemand auch fünfzig Stunden zur Psychologischen Studierendenberatung kommen. In der Vergangenheit sind etwa Studierende auch bei ihren Auslandssemestern via Telecounselling in Verbindung geblieben. Doch aktuell ist die Nachfrage so groß, dass zwischen allen Terminen drei bis vier Wochen liegen. Und aktuell finden die Beratungen vielfach auch via Skype statt.

Kurt Fink arbeitet seit dreißig Jahren in der Psychologischen Studierendenberatung in Graz, der Klingelton seines Smartphones spielt AC/DC. Von Existenzängsten Studierender aufgrund der Corona-Pandemie will der Psychotherapeut und Klinische Psychologe Fink noch nicht sprechen, doch es ginge in die Richtung: Studierende sorgen sich um den eigenen Werdegang, viele haben ihre Nebenjobs verloren und auch Eltern sind beruflich in Bedrängnis geraten. Zum Leistungsdruck ist der finanzielle Druck gestiegen. Es sei sehr viel Verunsicherungspotential da, sagt Fink.

Die Technische Universität Graz ist inzwischen selbst aktiv geworden, um Studierende zu unterstützen: Ihre Studierenden können sich seit Oktober kostenlos an Psycholog*innen wenden- via Helpchat, auch anonym, telefonisch, per Videotelefonie oder Textnachricht, und es gibt die Möglichkeit für persönliche psychologische Beratungsstunden. Bei den persönlichen Beratungsstunden sind pro Student*in drei Termine vorgesehen. Von Monat zu Monat wird das Angebot verstärkt angenommen.

Die Österreichische Hochschüler*innenschaft bietet seit fast einem Jahrzehnt eine Helpline in Zusammenarbeit mit dem Verein für Psychotherapie: Montag, Mittwoch und Donnerstag erreicht man hier geschultes Personal.

Was Studierende jetzt besonders belastet

In der Grazer Dreihackengasse hat die Psychologische Studierendenberatung ihre Räumlichkeiten. Zwischen Sofa und Couchsesseln steht eine Plexiglaswand, die Fenster sind offen. „Wir versuchen, unsere Arbeit in die Breite zu richten und nicht so sehr in die Tiefe, dass wir doch möglichst viele Leute betreuen können. Und nicht wenige sehr intensiv. Und das sehen die Studierenden schon ein und nehmen das an“, sagt Kurt Fink.

Wenn es ganz eng ist oder jemand besonders dringend Hilfe benötigt, verweist sein Team natürlich an niedergelassene Psychotherapeuten. „Wo die Lage eine andere ist – vor allem, wenn man es selber zahlen kann. Wenn man Psychotherapie auf Krankenschein machen will, hat man natürlich auch ein Problem, weil da sind die Plätze sehr rar und da wartet man bis zu einem halben Jahr, Jahr auf einen Platz“, weiß Psychotherapeut Kurt Fink.

Den Ersttermin bei der Psychologischen Studierendenberatung in Graz bekommt man zurzeit binnen drei Wochen.

„Wenn man sich in einer sich besorgenden Situation befindet und die eigene Stimmung eine besorgte ist, hat man entsprechend besorgte Gedanken über die Zukunft“, betont der Psychotherapeut und Leiter der Psychologischen Studierendenberatung in Graz. Er empfiehlt, sich bewusst zu machen, dass man düstere Bilder, die man vielleicht in seiner Zukunft sieht, nicht mehr für die pure Realität halten muss.

Auf der Realitätsebene versucht das Team der Studierendenberatung mit ihren Klient*innen, deren Ansprüche so zu gestalten, dass sie eigenwirksam erfüllt werden können. Sich nach etwas Tollem zu sehen, das vor der Pandemie ohne Weiteres möglich war, tue einem nichts Gutes. Es macht Sinn, sich an der zweitbesten, auch drittbesten, jedoch einer möglichen Variante zu orientieren. „So dass ich immer noch ein Stück weit erfüllt in meinem Leben leben kann“, sagt Kurt Fink.

Einsamkeit empfinden auch Menschen mit großem Freundeskreis

Für Studienanfänger*innen hat das Semester mitunter im Distance Learning begonnen und sie arbeiten vor sich hin. „Gerade Leute, die frisch nach Graz und in andere Universitätsstädte gezogen sind und noch kein soziales Netzwerk vorfinden, haben fast keine Chance, andere kennenzulernen. Sie verzweifeln teilweise, teilweise nehmen sie es ganz locker“, sagt Fink. Groß ist der Druck aber auch für alle, die einen großen Freundeskreis haben. Parties werden vermisst, neuen Beziehungen anzufangen ist schwieriger.

Abgestellte Fahrräder in einer Reihe, die zu einer Seite schon umgekippt sind

CCO

Sich selbst verzeihen, hilft

Mit dem Distance Learning ist mitunter die gewohnte Tagesstruktur komplett weggebrochen. „Jeder Tag ist gleich, ein Wochentag unterscheidet sich nicht vom anderen. Das führt unter bestimmten Umständen sehr schnell zu einer gewissen Lethargie und wenn der Zustand zu lange andauert, kann das in die Depression gehen“, erklärt Kurt Fink.

Von großen und kleinen Plänen für den Tag bleibt am Abend vielleicht nur Stress und Ärger über sich selbst. Man hat sich nicht erholt, weil man ständig etwas machen wollte, aber es nicht gemacht hat. Das habe es früher schon auch gegeben, aber in dieser Masse nicht. Die Uni hat den Tag strukturiert und es gab Treffen mit Kolleg*innen und Freunden, die jetzt weitgehend entfallen. Da ist es wichtig, wieder eine gute Tagesstruktur aufzubauen und einen Plan zu machen, was zu erledigen ist, und wann heute meine Freizeit anfängt. „Und wann ist Montag und wann Samstag. Das hilft enorm, weil dadurch werden Einheiten bewältigbar. Weil wenn man sich in dieser Endlosschleife befindet, könnte man ja immer lernen. Und kann natürlich nicht immer lernen“.

Und was macht man, wenn trotzdem wieder ein Tag vergangen ist, an dem nichts weitergegangen ist? „Selbst verständnisvoll mit sich zu sein, ist prinzipiell immer wichtig und gut, weil mich das stärkt. Es schwächt mich, wenn ich gegen mich gehe. Wie man halt anderen Menschen Fehler auch verzeiht. Meine Güte, ist eine besondere Situation und das war eine besondere Konstellation, ich bin trotzdem ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft und trotzdem ein liebenswerter Mensch, und ich schaue, dass ich möglichst bald in meine Gänge finde“, empfiehlt Kurt Fink.

Insgesamt ist der Leiter der Psychologischen Studierendenberatung froh, dass sich ein Trend über die Jahrzehnte zeigt: Als Kurt Fink begonnen hat, war die „Verschämtheit“ noch eine deutlich größere, als sie heute ist: „Die innerliche Hemmschwelle ist deutlich gesunken und man ist nicht mehr automatisch stigmatisiert, wenn man im Freundeskreis sagt: Ich bin beim Psychologen gewesen. Ob das aus der Populärkultur aus den USA kommt, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, aber es wäre denkbar.“

Aktuell: