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„Vielleicht solltest du mal mit jemandem darüber reden“ ist ein lehrreicher Pageturner

Lori Gottlieb ist eine US-amerikanische Journalistin, Autorin, Psychologin und Psychotherapeutin. In „Vielleicht solltest du mal mit jemandem darüber reden“ berichtet sie aus der Sicht einer Therapeutin von ihren Patient*innen. Und wird durch eine Krise selbst wieder zur Patientin.

von Michaela Pichler

„Zeige Mitgefühl, zeige Mitgefühl, zeige Mitgefühl!“ Mit diesem Mantra bestreitet Lori Gottlieb ihren Arbeitsalltag als praktizierende Psychotherapeutin in Kalifornien. Wie sich dieser gestaltet, hat sie in einem Buch niedergeschrieben: In „Vielleicht solltest du mal mit jemandem darüber reden“ erzählt Gottlieb von ihren unterschiedlichen Patienten und Patientinnen. Und wie es sich anfühlt, wenn man als Therapeutin nach einer Krise selbst wieder auf der anderen Seite der Couch sitzt.

"Vielleicht solltest du mit jemandem darüber reden" Lori Gottlieb

Hanser Verlag

„Vielleicht solltest du mal mit jemandem darüber reden“ von Lori Gottlieb ist im Hanser Verlag erschienen und wurde von Elisabeth Liebl ins Deutsche übersetzt. Mehr über Lori Gottliebs Arbeitsalltag erzählt sie auch in ihrem Podcast „Dear Therapists“.

Psychotherapie ist wie Pornografie

Jede Woche kommen Rita und Julie in Lori Gottliebs Praxis in Los Angeles. Rita ist siebzig Jahre alt, leidet unter einer Depression und kämpft mit Suizidgedanken. Julie ist Anfang dreißig, steht mitten im Leben und hat eine lebensbedrohliche Krebsdiagnose bekommen. Beide versuchen mit einer Psychotherapie, einen besseren Umgang mit ihrem Leben zu bekommen. Damit diese Behandlung gelingt, ist das Vertrauen zwischen Patient*in und Therapeut*in das allerwichtigste – schreibt Lori Gottlieb in ihrem Buch, in dem sie Psychotherapie unter anderem mit Pornografie vergleicht.

Bei beidem macht man sich nackt. Beides kann ganz schön aufregend sein. Und beides wird millionenfach in Anspruch genommen, auch wenn es nur sehr selten jemand zugibt.

Für viele Menschen sind die wöchentlichen Sitzungen in einer Therapie-Praxis immer noch ein Tabuthema, das sich gesellschaftlich wie privat abzeichnet. Auch John geht heimlich bei Lori Gottlieb in Therapie und erzählt davon nichts seiner Frau. Er ist ein von Erfolg getriebener Narzisst, der in seiner Ehe keine Nähe mehr zulassen kann. Um ihn mit Lori Gottliebs Worten zu beschreiben: John ist ein Arschloch. Nicht einmal in der Therapie kann er sich 50 Minuten zusammenreißen, er isst währenddessen, beantwortet Arbeits-SMS und bezeichnet seine Therapeutin als seine geheime „Nutte“ - „Ich komme einfach einmal pro Woche hierher, lade sämtlichen Frust ab, der sich aufgestaut hat, und keiner weiß es!“ Das klingt nicht nach den idealen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Therapie. Doch Lori Gottlieb lässt nicht locker und erarbeitet sich zwischen den 500 Seiten Johns Vertrauen und blickt hinter seine Fassade.

Rollentausch

Die Geschichten von John, Julie und Rita basieren auf realen Begebenheiten, Lori Gottlieb hat sie in ihrem Buch aber natürlich so verändert und anonymisiert, dass niemand erkannt werden kann. Außer eine Patientin: Lori Gottlieb selbst. Nachdem ihr Freund aus heiterem Himmel Schluss macht, ist die Therapeutin am Boden zerstört und schafft es selbst nicht mehr aus der Krise. Als Patientin erlebt sie mit ihrem neuen Therapeuten Wendell alle Stadien, die ansonsten das Gegenüber in ihrer eigenen Praxis durchmacht.

Einerseits bin ich erleichtert, andererseits habe ich das Gefühl, gleich kotzen zu müssen. Einer meiner Supervisoren meinte einmal, Psychotherapie sei wie Physiotherapie. Sie kann schwierig sein und schmerzvoll, und dein Zustand kann sich verschlechtern, bevor etwas besser wird. Aber wenn du regelmäßig hingehst und wirklich an dir arbeitest, kannst du alle Knoten aufdröseln, und es wird dir deutlich besser gehen.

Alle Basics zum Thema Psychotherapie und wichtige Anlaufstellen in Österreich findest du hier!

Diesen Prozess muss Lori Gottlieb in ihrer eigenen Therapie auch erst wieder auf die harte Tour lernen. Viele Menschen erhoffen sich von einer Therapie sofortige Besserung ihrer Probleme. Manche möchten, dass der oder die Therapeut*in Stellung bezieht - zum Beispiel in einer Paartherapie. Und viele wünschen sich insgeheim, dass sich durch eine Psychotherapie auf magische Weise die Anderen um einen herum ändern – oder noch besser, die Vergangenheit. Doch genau das passiert nicht. Viel eher geht es darum, dass einem geholfen wird, die eigenen blinden Flecken zu sehen. Diese musste Lori Gottlieb auch erst einmal selbst wieder gemeinsam mit Wendell entdecken.

Lori Gottlieb

Magdalena Wosinska

Tausche George Clooney gegen Taschentuchbox

Von „Emergency Room“ und „Friends” zum Praxisalltag mit Taschentuch-Box und Couch: So lässt sich die Karriere von Lori Gottlieb beschreiben. Die US-amerikanische Psychologin hat eigentlich in Hollywood als Entwicklerin für Serien angefangen. Die Arbeit am Set machte sie allerdings nicht glücklich – ihr fehlte der Kontakt zu echten Menschen und ihren realen Geschichten. Lori Gottlieb schlägt deshalb einen anderen Karriereweg ein und studiert Medizin. Doch auch der Krankenhausalltag ist ihr zu unpersönlich, an Patient*innen interessiert sie am meisten die persönlichen Schicksale. Da stößt Lori Gottlieb auf die Psychologie und beginnt die Ausbildung zur Psychotherapeutin. Heute ist nicht nur ihr Buch „Vielleicht solltest du mal mit jemandem darüber reden“ ein internationaler Bestseller, Gottlieb spricht auch in TED-Talks über den Umgang mit unserer Vergangenheit.

Where Is My Mind? - Ein FM4 Schwerpunkt zum psychischen Wohlbefinden

Der Begriff „Mental Health“ ist insbesondere auf den jungen Social Media Kanälen wie TikTok oder Instagram allgegenwärtig. Das Virus und die Lockdown-Maßnahmen führen zu psychischem Unwohlsein. Warum das so ist, und vor allem was man dagegen tun kann, darüber berichtet Radio FM4 eine ganze Woche lang in einer umfangreichen Schwerpunktwoche.

Vom 22. Februar bis zum 27. Februar auf allen Kanälen von FM4

Für alle, die mehr über Psychotherapie wissen wollen

„Vielleicht solltest du mal mit jemandem darüber reden“ ist ein richtiger Pageturner. Mit einer Mischung aus Roman und Autobiografie vermittelt Lori Gottlieb darin jede Menge Hintergrundwissen zum Thema menschliche Psyche. Mit viel Wortwitz erklärt sie, wie die Ausbildung zur Psychotherapeutin aussieht und was sich diese eigentlich in einer Sitzung für geheime Notizen aufschreiben. Dass man seine Therapeut*in besser nicht googeln sollte und wie in der Supervisionsgruppe über das Scheitern einer Therapie reflektiert wird. Und beweist, dass auch Therapeut*innen nur Menschen sind.

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