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Mann sitzt bei der Psychotherapie

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„Psychotherapie ist nichts Beschämendes, nichts Dramatisches, nichts Tragisches“

Ab welchem Punkt man eine Psychotherapie andenken sollte, welche Anlaufstellen es gibt, wie so eine erste Therapiestunde aussieht und ab wann man sich Besserung erwarten kann - Psychotherapeutin Barbara Haid erklärt die Therapie-Basics.

Von Lena Raffetseder

„Wenn man merkt, dass sich das Verhalten stark verändert, dass der Antrieb vermindert oder manchmal zu viel ist und man unter diesen Veränderungen zu leiden beginnt und der Alltag massiv beeinträchtigt ist“, dann sollte man, laut Psychotherapeutin Barbara Haid, eine Psychotherapeutin oder einen Psychotherapeuten kontaktieren. Es kann sein, dass die Betroffenen eine solche Veränderung im Verhalten nicht selbst erkennen, sondern das Umfeld eine Veränderung anspricht. Bei Jugendlichen sind es häufig die Eltern.

FM4 Auf Laut zur Frage: Wie geht es mir? Und wirklich? Psychische Gesundheit in Coronazeiten. Zu Gast: Barbara Haid und Podcasterin Beatrice Frasl. Anrufen, mitdiskutieren und Fragen stellen könnt ihr am Dienstag, 23.2. ab 21 Uhr unter 0800 226 996.

Aber auch dann ist es wichtig, dass man sich selbst auf eine Therapie einlässt, sagt Barbara Haid: „Eine zentrale Voraussetzung für eine gelingende und eine gelungene Psychotherapie ist sicher die Freiwilligkeit.“ Dass man sich also zumindest einmal anhört, was die Psychotherapeutin oder der Psychotherapeut zu sagen hat, was eine Therapie leisten und man selbst beitragen kann. Haid betont: „Psychotherapie ist nichts Beschämendes, nichts Dramatisches, nichts Tragisches, sondern was unglaublich Spannendes. Was kann es Schöneres geben, als mehr über mich selbst zu wissen und mich selber besser kennenzulernen.“

Therapiestart und Anlaufstellen

Die Suche nach einem Therapieplatz kann, wenn es einem eh schon nicht gut geht, eine zusätzliche Hürde darstellen. Für viele ist der erste Weg zum Hausarzt oder zur Hausärztin, sagt Barbara Haid. Deshalb kommen einige Patient*innen mit einer Zuweisung von Ärzt*innen zu ihr. Das ist aber keine klassische Überweisung und jeder Mensch kann von sich aus Therapeut*innen kontaktieren.

Psychotherapeutin Barbara Haid

Andreas Bruckner

Barbara Haid ist Psychotherapeutin in Innsbruck.

Haid empfiehlt für eine erste Online-Suche die Homepage des Bundesverbands für Psychotherapie. Für die Liste von über 4.000 Therapeut*innen gibt es Filter nach Region, Geschlecht, Methoden und Spezialisierungen. In Österreich gibt es 23 anerkannte psychotherapeutische Methoden, jede*r Psychotherapeut*in ist in einer speziellen Methode grundausgebildet. Es ist im Vorhinein aber keinesfalls notwendig, selbst genau zu wissen, welche Art der Therapie zu einem passen könnte. Menschen, die kreativ sind, sind vielleicht in humanistischen Therapieschulen gut aufgehoben, für sehr kopflastige Personen ist womöglich eine tiefenpsychologische Richtung passender.

Aber: „Für eine gelingende psychotherapeutische Behandlung ist die Methode definitiv zweitrangig“, sagt Haid. Für sie ist zentral, dass einem das Gegenüber sympathisch ist. Das ist dann online nicht leicht zu erkennen, aber Barbara Haid empfiehlt, die Homepages potenzieller Therapeut*innen durchzusehen, „weil man fühlt sich entweder angesprochen oder eben weniger.“

Auf den Homepages sollte es auch Informationen zu den Kosten der Therapie geben. Im Idealfall ist einer der raren kassenfinanzierten Therapieplätze frei. Ansonsten ist mit Kosten von 90 bis 110 Euro pro Sitzung zu rechnen. Je nach Sozialversicherung erhält man einen Betrag rückerstattet, bei der ÖGK derzeit 28 Euro, bei der BVAEB 40 Euro.

Wer akut Hilfe braucht, kann direkt bei folgenden Hotlines anrufen:

Österreichweit:

Für Studierende:

Burgenland:

Kärnten:

Niederösterreich:

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Salzburg:

Steiermark:

Tirol:

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Wien:

Erstgespräch: Erwartungen und Vorbereitung

„Ganz wichtig ist, dass man sich nicht fürchten muss. In der ersten Therapiestunde erwartet mich erst einmal mein Gegenüber,“ sagt Psychotherapeutin Barbara Haid. Man wird in den Raum hineingebeten, nimmt Platz und lernt sich einmal kennen. Die Leitung dieses Erstgesprächs liegt bei der Psychotherapeutin oder dem Psychotherapeuten. Fällt es dem Patienten oder der Patientin schwer, von sich aus zu reden, dann liegt es am Gegenüber, die „richtigen Fragen zu stellen,“ sagt Haid. Wichtig kann hierbei auch die Information sein, dass Therapeut*innen alles streng vertraulich behandeln, was in einer Sitzung besprochen wird. Für viele Patient*innen ist dieser Hinweis auf die Verschwiegenheit ein „Gate Opener“, dass sie sich öffnen, sagt Haid.

Im Erstgespräch sollte der Grund klar werden, weshalb die Therapeutin oder der Therapeut aufgesucht wurde. „Manche erzählen von sich aus ganz viel, manche schreiben sich was zusammen, was sie alles besprechen wollen, das erlebe ich ganz unterschiedlich“, sagt Psychotherapeutin Barbara Haid. Man muss sich als Patient*in aber nicht großartig vorbereiten, betont Haid.

Es ist auch nicht so, dass nach 60 Minuten ein Wecker läutet und die Einheit abrupt endet. Es liegt an den Therapeut*innen, fünf bis zehn Minuten vor Ende des Erstgesprächs einen Abschluss einzuleiten. Hier werden dann noch einmal die Rahmenbedingungen geklärt: Was kann sich der Patient oder die Patientin erwarten, wie lang dauert eine Einheit, welche Frequenz ist notwendig, welche Kosten kommen auf einen zu, auch die Methode sollte erklärt werden.

Ein Erstgespräch ist auch dafür da, um abzuchecken, ob die Chemie stimmt, ob einem der Psychotherapeut oder die Psychotherapeutin sympathisch ist und man das Gefühl hat, dass man sich dieser Person öffnen kann. Ist das nicht der Fall, sucht man weiter. Das ist normal und es kann auch ein paar Anläufe dauern, bis man die richtige Person findet.

Fortschritte und Vorfälle in der Therapie

Laut Psychotherapeutin Barbara Haid sollte es schon so sein, dass nach einigen Stunden eine Besserung eintritt, aber da kommt es natürlich auf das Krankheitsbild und den Schweregrad der Erkrankung an. Was nach den ersten paar Einheiten schon eintreten sollte, ist eine Entlastung.

Aber auch das lässt sich nicht pauschal sagen. Denn es kann auch sein, dass sich am Beginn einer Therapie der Zustand sogar verschlechtert, weil so viel aufgewühlt wird, sagt Barbara Haid: „Es ist normal, dass es zwei Schritte vor, ein Schritt zurück, drei vor, zwei zurück gibt und, dass es vielleicht nicht von 0 auf 100 linear immer besser wird, sondern dass es immer so Art Rückfälle gibt. Aber das sind dann keine Rückfälle, sondern Vorfälle.“ Und auch die bringen die Therapie dann wieder weiter.

Wenn die Symptome aber über ein halbes Jahr nicht besser werden, kann das schon ein Hinweis darauf sein, dass die Therapie nicht passt. Dazu gehört eben auch das Zwischenmenschliche, wenn es schwerfällt, Probleme, die man mit der Therapie oder dem Gegenüber hat, offen anzusprechen. Haid betont, dass der Therapeut oder die Therapeutin das aushalten muss, wenn Patient*innen Probleme oder Kritik äußern. Solchen Themen muss man Raum geben und auch eine solche Offenheit kann die Therapie voranbringen.

Denn gerade die „therapeutische Allianz“ ist entscheidend, sagt Haid. Sie verwendet das Bild eines Boots, um den therapeutischen Prozess zu erklären: „Ich begleite meine Patientin für eine gewisse Zeit in unterschiedlichen Rollen in ihrem Boot. Wenn es sehr stürmisch wird, dann bin ich gefordert, dass wir dieses Boot gut aus dem Sturm hinausbringen. Mein Ziel ist es aber immer, dass ich das Boot meiner Patientin irgendwann wieder verlasse und sie alleine gut weitersegeln kann.“

Psychotherapeut*in, Psycholog*in oder Psychiater*in

Bleibt noch zu klären, worin Psychotherapeut*innen spezialisiert sind und was sie von Psycholog*innen oder Psychotherapeut*innen unterscheidet. Geht man in eine Psychotherapie sitzt einem eine Person gegenüber, die sich „mit den gesamten psychischen und seelischen Leidenszuständen sehr gut auskennt“, sagt Haid. Anders als Psychiater*innen, die Medizin studiert haben, können Psychotherapeut*innen keine Medikamente verschreiben. Und anders als Psycholog*innen absolvieren viele Psychotherapeut*innen kein klassisches Studium. Es besteht mittlerweile zwar die Möglichkeit - etwa an der Sigmund-Freud-Privatuniversität - Psychotherapiewissenschaft zu studieren. Aber in der Regel durchlaufen Psychotherapeut*innen eine Psychotherapieausbildung. Diese besteht aus einem zweijährigen psychotherapeutischen Propädeutikum in dem alle gleich grundausgebildet werden. Dem folgt ein vier- bis siebenjähriges Fachspezifikum, um sich auf eine Methode zu spezialisieren. Viele Psychotherapeut*innen haben Zusatzqualifikationen, weil sie davor einen anderen Beruf erlernt und ausgeübt haben.

Man muss als Patien*in nicht selbst wissen, ob man bei Psychotherapeut*innen, Psycholog*innen oder Psychiater*innen am besten aufgehoben wäre. „Wenn ich das Gefühl habe, eine Person, die zu mir kommt, bräuchte eine psychiatrische Behandlung, dann liegt es in meiner Sorgfaltspflicht den Menschen dorthin zu schicken. Es liegt uns allen fern, Menschen, die woanders besser aufgehoben wären, monatelang zu halten“, sagt Psychotherapeutin Barbara Haid.

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