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Strand Malta

Elisabeth Scharang

Doppelmoral und Tabubrecher*innen

In Malta ist Abtreibung unter allen Umständen verboten und unter Strafe gestellt. Frauen müssen nach England oder Italien reisen, um dort eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Aber wie geht das in Zeiten einer Pandemie? Eine Reportage über eine modernen Kapitalismushochburg mit tief religiösem Wurzelwerk.

Von Elisabeth Scharang

Malta hat mit 500.000 Einwohner*innen die fünfhöchste Bevölkerungsdichte der Welt. Die kleine Insel zwischen Sizilien und Tunesien steht in diesen Tagen wieder in den Schlagzeilen, nachdem die Justiz endlich den Prozess gegen die Mörder an der Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia eröffnet hat. Sie war den korrupten Machenschaften zwischen Wirtschaft und Politik auf der Spur, mit denen sich Malta einen unrühmlichen Namen gemacht hat. Auch in der Migrationspolitik steht die maltesische Regierung regelmäßig in der Kritik wegen des harten Kurses gegenüber Flüchtlingen und Asylsuchenden. Erst kürzlich durfte das Rettungsboot „Open Arms“ mit über 140 geretteten Flüchtlingen an Bord nicht in den maltesischen Hafen einfahren.

Valletta Malta

Elisabeth Scharang

Weniger bekannt ist die Tatsache, dass Malta das strengste Abtreibungsgesetz in ganz Europa hat: Es ist Frauen unter keinen Umständen erlaubt, eine Abtreibung in Malta vornehmen zu lassen. „Unter keinen Umständen“ meint: auch nicht nach einer Vergewaltigung oder wenn bei einer Voruntersuchung eine schwere Behinderung des Fötus festgestellt wird.

Im Mai 2019 hat sich eine Gruppe von Ärztinnen und Ärzten zusammengetan, um eine öffentliche Debatte zu starten und dieses gesellschaftliche Tabu aufzubrechen. „Doctors for Choice“ ist seither die erste Anlaufstelle für Frauen in Malta, die Informationen über die Möglichkeit einer Abtreibung brauchen und wollen.

„Sie können mich nicht ins Exil schicken.“

Ich treffe die Gynäkologin Dr. Isabel Stabile in einem öffentlichen Park an der Küstenpromenade von Sliema, dem quirligen und modernen Teil der Hauptstadt Valletta. Dr. Stabile liest mir zur Begrüßung die neueste Meldung auf ihrem Twitteraccount vor: Ein besorgter Bürger schlägt vor, dass man die Frau Doktor, die den Frauen in Malta künftig die Möglichkeit für eine Abtreibung verschaffen will, ins Exil schicken soll. Ein anderer antwortet: Das sei rechtlich leider nicht so einfach, deshalb schlage er vor, gemeinsam für die Frau Doktor zu beten.

Sendungsbild Interview Podcast

Radio FM4

Das ganze Interview mit der Gynäkologin Dr. Isabel Stabile hier im FM4 Interview Podcast.

Wenn die Reiserouten abgeschnitten sind

Die kleine Frau mit der kräftigen Stimme nimmt solche Meldungen mit Humor. Seit sie die Organisation „Doctors for Choice Malta“ gegründet hat, berichten auch Maltas Zeitungen über Frauen, die nach England oder Italien reisen müssen, um eine Abtreibung vornehmen zu lassen. „Durch die Pandemie ist allerdings auch das sehr schwierig geworden“, berichtet Isabel Stabile. „Die Reisebestimmungen haben Frauen zusätzlich in eine unbeschreibliche Not gebracht. Denn man kann ja mit einer Abtreibung nicht einfach ein paar Monate warten, bis sich die COVID-Lage beruhigt hat. Wir haben deshalb eine Help-Line eingerichtet, unter der man uns rund um die Uhr anrufen kann. In den letzten sechs Monaten hatten wir über 200 Anfragen von Frauen, die sich wegen einer Abtreibung erkundigt haben. Wir dürfen ja nur Informationen weitergeben. Wir dürfen nicht vermitteln, weil das ungesetzlich wäre.“

Dr. Isabel Stabile

Elisabeth Scharang

Inzwischen gibt es zwei Websites, die in den Niederlanden betrieben werden, über die maltesische Frauen „Abtreibungspillen“ bestellen können, um damit in den ersten 12 Wochen der Schwangerschaft zu Hause einen Abbruch vornehmen zu können. Diese Medikamenten werden über Botendienste zugestellt. Wieso darf man die „Pille danach“ online bestellen, aber keine Abtreibung in einer Klinik durchführen?, frage ich Dr. Stabile.

„Die Pillen werden über Boten zugestellt, um die Post zu umgehen. Es ist eben nicht legal, diese Pillen zu bestellen, aber ich kenne auch keinen einzigen Fall, bei dem eine Botensendung kontrolliert wurde. Meine Theorie dazu: Die Behörden wissen, dass die Frauen die Pillen bestellen und es wird weggeschaut. Damit kommen wir zum nächsten Punkt: Es ist schwierige genug für eine Frau, die Entscheidung zu treffen, abzutreiben. Und dann wird sie auch noch kriminalisiert. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie hart es sein muss, dass du mit niemandem darüber sprechen kannst, dass du ungewollt schwanger bist und abtreiben willst, aus Angst, dich strafbar zu machen.“

Patriarchale Strukturen mit tiefen Wurzeln

So pittoresk das Straßenbild mit den alten Häusern und Mauern in Malta auch ist und so gigantisch die Fülle an beeindruckenden alten Kirchen, die Auswirkungen der religiösen Wurzeln stehen einer modernen, europäischen Gesellschaft entgegen. Viele hatten sich wohl nach dem Machtwechsel 2017 und dem Abtritt der konservativen Regierung nach 25 Jahren in Malta eine Wende erhofft, aber der liberale Ministerpräsident scheiterte schließlich an der laschen Aufklärung an dem Mord an Daphne Galizia. Im Jänner wurde er abgelöst von Robert Abela. Er liest medial verlauten: „Solange ich Ministerpräsident bin, wird Abtreibung in Malta illegal bleiben.“

Kürzlich nahm er an einer Veranstaltung der Pro Life Bewegung teil, und macht damit unmissverständlich klar, dass seine liberale Haltung Grenzen hat. Wenn es um eine Allianz gegen die Selbstbestimmung von Frauen gehe, dann legen sich liberale Politiker auch mal mit Nationalisten ins Bett, kommentiert Dr. Stabile die aktuelle politische Lage. Denn die lauten Abtreibungsgegner in Malta werden von rechtsradikalen und nationalistischen Bewegungen aus der EU finanziert und gestützt.

Valletta Malta

Elisabeth Scharang

Auf der Webseite Break The Taboo erzählen Frauen, die auf Malta leben, über ihre Erfahrungen mit Abtreibung. Der letzte Eintrag war vor ein paar Tagen: „I was questioned at London airport about the reasons for travel, making me feel like a criminal“, schildert eine Frau die schwierige Reise ins Ausland. Die Macher*innen der Webseite fordern einen öffentlichen Diskurs.

Die Aktion erinnert ein wenig an das Jahr 1971, als Senta Berger, Romy Schneider und eine Reihe anderer prominenter Frauen in Deutschland am Cover des Stern-Magazins unter dem Titel: Ich habe abgetrieben! ihr Gesicht zeigten. Eine Kampagne, die damals die politische Diskussion in Gang gebracht hat. Auch in Österreich. Den immer wiederkehrende Kampf um die gesetzlich verankerte Entscheidungsfreiheit von Frauen bezüglich ihres Selbstbestimmungsrechts auf Abtreibung haben wir kürzlich in Polen, in Irland und Ungarn erlebt. Malta liegt in dieser Frage noch drei Schritte weiter zurück. Aber wie geht sich das mit der jungen Generation von Frauen und Männern auf der Insel aus?

„Wir leben offen schwul oder lesbisch, aber Abtreibung, das ist eine andere Sache.“

Es ist ein Freitagabend. Das Kulturzentrum Spazju Kreattiv in Valletta wurde aufwendig inmitten der alten Festungsmauern eingebettet und mit modernen Kinosälen und Ausstellungsflächen bestückt. Neben der Kitsch-Schau aus üppigen Karnevalkostümen wird heute Abend eine Ausstellung eröffnet, die vor allem junges Publikum anzieht. Ja, es ist Februar und es finden trotz Pandemie Veranstaltungen und Vernissagen statt. Mit Masken und Sicherheitsabstand und Fiebermessen am Eingang. „V steht für unserer Hauptstadt Valletta“, erklärt eine der Künstlerinnen der Gemeinschaftsausstellung . „V steht auch für Vagina.“ Installationen, Fotos und Bilder thematisieren weibliche Sexualität und die Vulva in all ihrer Vielfalt.

Ich frage eine der Besucherinnen, wieso eine Ausstellung wie diese offenbar nicht skandalverdächtig in dem konservativen Malta ist, aber über Abtreibung nicht öffentlich gesprochen werden darf. „Es gibt eine offene LGBT Kultur in Malta; ich habe das Gefühl, jeder und jede hat einen schwulen Freund oder eine lesbische Freundin, das leben wir offen, aber Abtreibung, das ist eine andere Sache.“ Nennt man das Doppelmoral?

Valletta Malta

Elisabeth Scharang

Zurück zu Dr. Stabile. „Wir brauchen neben dem Recht auf Abtreibung vor allem die Möglichkeit der Prävention. Es wird immer Abtreibungen geben und kein Verbot auf dieser Welt hat dazu geführt, dass Frauen deshalb weniger abtreiben, dazu gibt es verlässliche Studien. Aber wenn es an den Schulen einen Aufklärungsunterricht gibt, der diesen Namen verdient, wenn junge Menschen aufgeklärt werden über Sexualipraktiken und über Verhütungsmittel, dann wird sich das Tabu lichten, das über dem Thema Abtreibung und letztlich über dem Thema Sexualität schwebt.“ Bis dahin braucht es so couragierte und unermüdliche Frauen und Männer, wie die von Doctors for Choice, die Frauen nicht alleine im Regen stehen lassen, wenn sie sich für eine Abtreibung entschieden haben.

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