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Julien Baker

Alysse Gafkjen

Julien Baker erweitert ihren Alternative-Folk-Sound

Julien Baker wurde mit ihrem Album „Turn Out The Lights“ zu einer der meistbeachteten Nachwuchsmusikerinnen aus den USA. Ihr minimalistischer Alternative-Folk mit den eindringlich gesungenen Worten über Identität, Sucht oder Mental Health fanden ein internationales Publikum. Nun hat sich die Künstlerin einen größeren Sound zugelegt, ohne dabei etwas von ihrer intimen Strahlkraft einzubüßen.

von Eva Umbauer

Als Julien Baker mit der Tour zu ihrem letzten Album, „Turn Out The Lights“, fertig war - sie hatte auch ein Konzert in Wien gespielt, im kleinen Flex-Cafe -, beschloss sie, wieder an die Universität zu gehen. Sie wollte ihr Studium zur Highschool-Lehrerin abschließen, nahm aber dann auch noch die Fächer Literatur und Kunst dazu. Den Traum, einmal zu unterrichten, hat Julien Baker weiterhin, auch wenn sie die Highschool nicht wirklich mochte. Vielleicht möchte sie ja gerade deshalb als Lehrerin eben dorthin zurück - um es besser zu machen.

Das Uni-Umfeld hingegen mag Julien Baker gerne, bedauert aber, dass in den USA viele nicht die Möglichkeit hätten, eine Universität zu besuchen, vor allem aus finanziellen Gründen. Da war Julien Baker 2019 also nun wieder am Uni-Campus statt auf der Rock’n’Roll-Bühne. Aber wann immer es die Zeit erlaubte, fuhr sie von der Middle Tennessee State University in Murfreesboro etwa drei Stunden lang hinunter in ihre Heimatstadt Memphis, um in einem Tonstudio an einzelnen Songs zu arbeiten. Als dann Anfang des letzten Jahres die Pandemie kam, war Vieles zum Glück bereits fertig, auch das Studium von Julien Baker.

Julien Baker

Matador

„Little Oblivions“ von Julien Baker ist am 26.2.2021 bei Matador Records erschienen.

Erstmals hatte die Musikerin den Luxus, größer über die Produktion ihrer Songs nachzudenken. Nach „Turn Out The Lights“ waren finanzielle Mittel da, die es vorher für sie nicht gegeben hatte. Ihr minimalistischer Singer/Songwriter-Sound, mit dem sie bekannt geworden war, schien nun angezählt. Julien wollte eine Veränderung, gleichzeitig hatte sie aber Bedenken, schließlich war sie mit genau diesem kargen Stil bekannt geworden, einem Stil, der aber durchaus aus einer Art Not heraus geboren wurde und gar nicht so sehr eigene Entscheidung war. Würde ihr Publikum jetzt Veränderungen mittragen? Was würde die Plattenfirma sagen?

Matador Records ist jenes New Yorker Label, das vor „Turn Out The Lights“ auch schon das allererste Album von Julien Baker, „Sprained Ankle“, veröffentlicht hatte. Aber Matador - wo Musiker*innen wie Interpol, Jon Spencer Blues Explosion oder Liz Phair zuhause sind bzw. waren - hatte kein Problem, und auch, so scheint es, die Liebhaber*innen der Musik von Julien Baker nicht. Denn der neue, größere, vollere, dem Pop zugewandte Sound von Julien Baker hat das Intime und das so Berührende in ihren Songs nicht zerstört.

Dass Julien Baker nun einen Band-Sound hat, wurde auch von Boygenius beeinflusst, dem gemeinsamen Bandprojekt von Julien Baker mit zwei anderen US-Musikerinnen: Lucy Dacus und Phoebe Bridgers. Mit Boygenius veröffentlichte Baker vor etwas über zwei Jahren ein Mini-Album, und bei einem der Tracks auf „Little Oblivions“, nämlich beim sehr schönen „Favor“, singen Lucy Dacus und Phoebe Bridgers mit.

Julien Baker nennt das neue Album also „Little Oblivions“, kleine Vergesslichkeiten. Der Ausdruck „to drink oneself into oblivion“ bedeutet, soviel Alkohol zu trinken, dass man tief schläft oder gar das Bewusstsein verliert. Und so handeln die neuen Julien-Baker-Songs auch von Partys und Bars, etwa der zärtliche Album-Closer „Ziptie“ oder das Stück „Highlight Reel“, in dem es heißt: „passed out in the back of a cab“. Sturzbetrunken im Taxi.

Julien Baker

Alysse Gafkjen

Das hat Julien Baker nun hinter sich. Diese Songs trugen zur Therapie bei. Sie sind „confessional pop“, sehr amerikanisch, mutig, weil schonungslos offen, zum Teil ziemlich brutal, aber dann wieder textlich auch vage genug, um beim Hören nicht genervt zu werden oder dass man gar in einem dunklen Loch zu versinken droht ob der unschönen Umstände zwischen Sex, Drogen und Religion, von denen Julien Baker singt.

„Looking for little oblivions in your bloodshot eyes..."
"Bloodshot“ - Julien Baker

„Song In E“ hat ein tolles Piano und die Textzeile „wish that I drank because of you and not me“. Dann könnte die Protagonistin wenigstens wen anderen beschuldigen anstatt das mit sich selbst tun zu müssen. Aber, so heißt es in „Ringside“: „Honey, I’m not stupid“. Auf jeden Fall, so verspricht Baker weiter, „I wanna fix it, but I don’t know how.“

In „Ringside“ kommt neben der verstörenden, sich selbst geißelnden Zeile „I beat myself till I’m bloody“ auch Jesus vor. Julien Baker ist bekennende Christin und trägt gerne ein Kreuz um den Hals. Mit 17 sagte Julien ihren Eltern, dass sie lesbisch ist. Sie hatte Glück mit ihrer Familie, Freund*innen hatten das zuvor nicht, sie wurden entweder gleich aus dem Haus gejagt oder zur berüchtigten „conversion therapy“ geschickt, einer mehr als umstrittenen „Therapie“, die aus homo- wieder heterosexuelle Menschen machen soll.

„When the drugs wear off, will the love kick in?"
"Repeat“ - Julien Baker

„Repeat“ pulsiert elektronisch und die Stimme ist verzerrt. Julien Baker sagt über diesen Track: „This song is special to me. The four on the floor kick - I wasn’t sure about it at first, but now I love it.“

„Heatwave“ beginnt mit einem flotten Banjo, „Faith Healer“ ist eine Rock-Hymne und „Crying Wolf“ eine Power-Ballade. Julien Baker hat „Little Oblivions“ selbst produziert, zusammen mit dem Tontechniker Calvin Lauber, und auch fast alle Instrumente selbst eingespielt, weil, wie sie über sich sagt: „I’m a control freak“. Mit „Little Oblivions“ verlässt Julien Baker das Wohnzimmer und macht sich auf in Richtung Stadion. Niemand kann sie aufhalten. Größer, breiter, poppiger, rockiger - das kann auch gut sein.

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