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Meg Mason

ECCO Verlag

Meg Masons Roman „Was wir wollen“

Die Liste an spannenden, neuen Romanen, die sich mit Mutterschaft und deren Auswirkung auf die psychische Gesundheit beschäftigt, wird immer länger. Amerikanische Schrifstellerinnen wie Sheila Heti, Brit Bennett oder Kyra Wilder sind dort zu finden - jetzt auch die neuseeländische Autorin Meg Mason. Ihr neuer Roman heißt „Was wir wollen“.

Von Lisa Schneider

Erfinden wir ein literarisches Genre und nennen es „Sonntagsromane“. Bücher, die sich an faulen, geplant unangestrengten Tagen sehr gut lesen lassen. Wo das Lesen so leicht fällt, als hätte man sich tatsächlich einmal mehr fürs Serien-Bingeing entschieden.

Das ist keine schlechte, das ist, wenn gut gemacht, sogar eine sehr gute Sache. Vor allem viele amerikanische zeitgenössische Autor*innen haben diese Form des Erzählens zur Perfektion gebracht. Als etwas ältere Beispiele wären das die Romane von Elizabeth Strout; aktuell erschienen etwa die Romane von Anne Patchett oder Mary Beth Keane. Auch die englische Autorin Dolly Alderton, gern als die britische Ausgabe von Carrie Bradshaw bezeichnet, dockt in ihren besten Momenten dort an. Sie alle schreiben Romane, die in ihrem leicht bekömmlichen Erzählstil diverse Protagonist*innen durch die Höhen und Tiefen ihres Lebens begleiten, dabei aber, bei genauem Lesen, keinesfalls nur an der Oberfläche kratzen. Auch die in Neuseeland geborene, mittlerweile in Sydney lebende Autorin Meg Mason hat mit „Was wir wollen“ ein solches Buch geschrieben.

Was Martha nicht will

Martha Friel ist Anfang vierzig und gerade von Ehemann Patrick verlassen worden. Seit „mit siebzehn in ihrem Hirn eine kleine Bombe explodiert ist“, leidet Martha während ihrer Zwanziger und Dreißiger in Abständen immer wieder an Depressionen, „und zwar leicht, mittel, schwer, eine Woche lang, zwei Wochen, ein halbes Jahr, ein ganzes“. Was im Teenageralter lächerlicherweise zuerst als Drüsenfieber diagnostiziert worden ist, führt dazu, dass Martha laufend andere Antidepressiva verschrieben werden, ohne dass die Tabletten merklich etwas an ihrem Zustand ändern würden.

Buchcover Meg Mason "Was wir wollen"

ECCO Verlag

„Was wir wollen“ von Meg Mason erscheint in der Übersetzung von Yasemin Dinçer im ECCO Verlag.

Meg Mason erzählt gleichzeitig eine Krankheits- und eine Familiengeschichte, indem sie in Rückblicken von Marthas Aufwachsen in einem Londoner Vorort, ersten Jobs, verlorenen Hoffnungen und der engen Bindung zu ihrer Schwester Ingrid erzählt. Sie steht ihren Romanfiguren urteilsfrei gegenüber, ist aber an den richtigen Stellen bissig genug.

Ingrid ist „mit einem Mann verheiratet, den sie kennenlernte, indem sie vor seinem Haus hinfiel, als er gerade die Mülltonnen auf die Straße stellte“. Sie ist die großmaulige, laute, liebenswerte Schwester, die ihren Genitalbereich nach ihrer vierten Geburt - und das durchaus auch in Anwesenheit der Großfamilie - nur noch als „Vaginasaurus Verreckt“ bezeichnet. Und die oft, obwohl eigentlich jünger als Martha, in die Rolle der älteren Schwester, der Aufpasserin, schlüpft.

Marthas Mutter, die aus allem Müll, den sie findet, Skulpturen baut, ist „Der Times zufolge einigermaßen bedeutend“ und über lange Strecken mehr ihrem Weinglas und zahlreichen Partys als ihren Kindern zugetan. Marthas Vater ist der stille Mitläufer, ein erfolgloser Dichter, dessen „Rolle in der Ehe die der kompromisslosen Selbstverleugnung ist“ und der „klatscht wie jemand, der erst kürzlich zur klassischen Musik bekehrt wurde und nicht weiß, ob Applaus zwischen den Sätzen angebracht ist“. Das ist schon alles sehr gut beobachtet.

Von Sheila Heti bis Kyra Wilder

Der Roman „Was wir wollen“ umkreist in all der leichtfüßigen, oft sehr unterhaltsamen Erzählweise zwei große Themen: psychische Gesundheit und Mutterschaft. Dass der Diskurs in beiden Fällen mittlerweile lauter und offener geführt wird, verhindert nicht, dass das Verständnis meist am Generationenkonflikt scheitert. „Naja, reiß dich zusammen“, sagt Marthas Mutter, die ihrer Tochter vorwirft, „unter negativer Aufmerksamkeit zu gedeihen“.

„Aus diesem Grund schlossen sich auch irgendwann alle anderen (…) meiner Selbstdiagnose an, ich sei einfach schwierig und zu empfindlich, und niemand kam auf die Idee, sich zu fragen, ob die Episoden womöglich einzelne Teile einer langen Kette waren.“

Nachdem das Kind von Arzt zu Arzt geschleppt worden ist und nichts hilft, ist die Mutter irgendwann froh, Martha in die Erwachsenenwelt los- und somit aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Erst wo der Roman beginnt, als Martha schon über vierzig Jahre alt ist, wird ihr die richtige Diagnose gestellt.

Psychische Gesundheit und wie die (gewollte, geplante, erlebte) Mutterschaft sie beeinflussen und verändern kann, ist gerade in den letzten Monaten ein literarisch oft verhandeltes Thema. Auf autofiktionale Weise hat das zuletzt die amerikanische Autorin Sheila Heti hervorragend in „Mutterschaft“ getan; aber auch in Romanform gibt es bald unzählige Beispiele, empfohlen an dieser Stelle etwa „Die Mütter“ von Brit Bennett, oder „Das brennende Haus“ von Kyra Wilder. In Meg Masons Buch erzählt Martha sich selbst und der Welt jahrelang davon, keine Kinder zu wollen, ohne den Grund dafür zu nennen: die Angst vor ihrem eigenen Erbgut.

„Anfangs erzählte ich Fremden, ich könne keine Kinder bekommen, weil ich dachte, es würde sie davon abhalten, nach ihrer ursprünglichen Frage fortzufahren. Aber es ist besser, zu sagen, dass man keine will. Dann wissen sie direkt Bescheid, dass etwas mit einem nicht stimmt, aber zumindest nicht in medizinischer Hinsicht.“

Nicht ganz „Fleabag“

Martha Friel ist eine Protagonistin, die sich selbst nicht mag. Sie ist zynisch und schonungslos gegen sich selbst, was klug gemacht ist, weil das bei der Leserin Sympathie weckt. In den besten Momenten stimmt der in der englisch-australischen Presse einige Male laut gewordene Tonart-Vergleich mit Phoebe Waller Bridges Serienerfolg „Fleabag“. Meg Masons Erzählstil schwächelt da, wo die Beschreibung einer Depression in Plattitüden abrutscht. Wie oft haben wir den Vergleich mit dem „schwarzen Loch“ gehört? Oder auch dann, am Ende, wenn die allgemeine Stimmung des Romans ins Moralische kippt und die still hingeschmissene, ärgerliche Schlussforderung lautet, dass jede Frau Kinder bekommen will.

Mit 400 Seiten ist der Roman für das, was er erzählt, etwas zu lang. Aber zumindest dafür gibt es schon eine mögliche Lösung: Die amerikanische Produktionsfirma Regency Enterprises („12 Years A Slave“, „Bohemian Rhapsody“, „The Revenant“) hat sich die Filmrechte des Romans gerade eben gesichert.

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