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Reisepass und Boarding Pass in einer Hand gehalten

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Der professionelle Migrant

Todors Freund Vlado fieberte seiner Abschiebung entgegen. Bis heute kann er Betrüger aus aller Welt am besten erkennen.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

„Ich bin ein professioneller Migrant!“, lacht Vlado, während er mir Tee eingießt. Seit sieben Jahre lebt er in Österreich und arbeitet als HR in einer international tätigen Firma. „Ich wurde dort eingestellt, da ich Betrüger aus allen Teilen der Welt sofort erkennen kann! Wenn jemand vor mir sitzt, erkenne ich sofort, ob er oder sie die Wahrheit sagt und ob der Lebenslauf stimmt oder nur aus dem Internet kopiert wurde “, erzählt Vlado weiter.

Seine Odyssee begann vor fünfzehn Jahren, als er in die USA fuhr, um als Student dort zu arbeiten. „Work and Travel“ war vor der Pandemie sehr populär unter jungen Menschen in Bulgarien, die somit die Möglichkeit hatten, eine andere Kultur kennenzulernen und nebenbei ein bisschen Geld zu verdienen.

Vlado wollte zuerst als Bademeister an einem Strand in Georgia arbeiten. Er stellte sich bereits vor, wie er einer vom Baywatch Cast werden und eine zeitgenössische Scarlet Ohara treffen würde, die ihn vom Winde verweht. Zwei Wochen wartete er darauf, mit der Arbeit zu beginnen. In der Zwischenzeit verbrauchte er das Geld, das er mitgenommen hatte. Schließlich sagte man ihm, dass sie keine Bademeister brauchen würden und schickten ihn nach Oregon. Er fuhr dorthin, um festzustellen, dass niemand auf ihn wartete und er Opfer von Betrügern geworden war. Er hatte keinen Job und nicht einmal Geld, um zurück nach Bulgarien zu fliegen. Vlado sagte sich, dass er nach Sofia kommen würde, selbst wenn er zu Fuß gehen müsste, und machte sich auf dem Weg nach Osten. Um zu überleben, arbeitet er schwarz, wo er nur konnte, meistens bei Autowäschereien. „Wenn ich heute eine Autowäscherei sehe, gehe ich auf der anderen Straßenseite“, lacht Vlado, „Ich habe ständig das Gefühl, dass sich meine Stiefel mit Wasser füllen.“

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Als er die letzte Autowäscherei in Chicago verlassen hatte, ohne bezahlt zu werden, dachte er sich, dass der beste Weg nach Bulgarien über Kanada verläuft. Er fuhr dorthin mit einem Touristenvisum und blieb vier Jahre. Er meldete sich kurzfristig als Student an, um ein Studentenvisum zu bekommen und arbeitete unermüdlich auf Baustellen und in Autowerkstätten. „Ich kann den Motor von einem Toyota Tundra mit geschlossenen Augen auseinandernehmen!“, erzählt er stolz. Trotz seiner Fähigkeiten als Automechaniker war sein illegaler Aufenthaltsstatus immer ein Grund, dass ihn die Arbeitnehmer loswurden, ohne ihn zu bezahlen. Beschweren konnte er sich nicht.

Und er schaffte es immer noch nicht, Geld zu sammeln, um zurück nach Bulgarien zu fliegen. Er versichert mir, dass das das Einzige war, was er immer wollte in den ganzen Jahren. Als er keine Mittel mehr hatte, verlangte er vom Staat Asyl als politischer Flüchtling. Er behauptete, dass man ihn Bulgarien zum Militärdienst zwingen wollte, was er aber aus religiösen Gründe verweigerte. Das war natürlich nicht wahr, denn zu dieser Zeit gab es in Bulgarien keinen Wehrdienst mehr. Nach mehrmonatigen Recherchen entschieden sich die kanadischen Behörden, ihn abzuschieben. Sie kauften ihm den lang ersehnten Flugticket und ein Polizist begleitete ihn zum Flughafen in Toronto. „Das war super, ich konnte nach Bulgarien reisen auf Kosten des kanadischen Staates!“, erinnert sich Vlado „Mit meinem letzten Geld, kaufte ich am Flughafen eine Flasche Ahornsirup für meine Mutter. Sie liebt es, Kekse zu backen und würde sich über den Sirup freuen.“

In diesem Moment stellte er fest, dass der Begleitpolizist verschwunden war. Vlado war sichtlich besorgt, dass er es auch dieses mal nicht schaffen würde, nach Bulgarien zu fliegen. Er widersetzte sich seiner Abschiebung gar nicht, sein Reisepass war aber bei dem Polizisten. Er durfte ihn nicht bei sich tragen, weil einer, der nach Westafrika abgeschoben werden sollte, seinen Pass aufgegessen hatte. Deshalb wurde der Pass direkt an die Flugbegleiterin übergegeben. Vlado wusste, dass der Polizist John hieß, seinen Familiennamen kannte er nicht. Er rannte zur einer Sprechanlage und auf dem Flughafen in Toronto hörte man die beste Durchsage aller Zeiten. „Ich suche den Polizist John, der mich dringend abschieben soll! Ich will nach Hause!“

So flog Vlado zurück nach Europa.

Heute schaut er tief in die Augen aller Bewerber. Sie glauben, dass ist ein psychologischer Trick, den er auf der Uni gelernt hat. Aber er sucht nur nach sich selbst.

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