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Frau reckt Faust hoch im Gegenlicht

CC0 via Unsplash

8. März

Rebell*innen verändern die Welt

Viele Protestbewegungen weltweit werden derzeit von Frauen angeführt, in vielen spielen Frauen sichtbare Rollen.

Von Irmi Wutscher

Der 8. März ist ursprünglich nicht ein Tag, an dem Frauen Blumen bekommen oder einen Rabatt im Schuhgeschäft. Der 8. März ist eigentlich als Kampftag für Frauen und Feminist*innen ausgerufen worden, an dem es darum ging, mehr Rechte zu erlangen.

Titelfoto von Miguel Bruna auf Unsplash

An diesem Tag 1911 haben in Europa zum ersten Mal Frauen und Männer demonstriert. Es ging vor allem um die Einführung des Wahlrechts für Frauen, aber auch schon um das Recht auf Arbeit, Zugang zu öffentlichen Ämtern, Berufsausbildung und um die Beendigung von Diskriminierung am Arbeitsplatz.

Auch heute, 110 Jahre später, gibt es zahlreiche Protestbewegungen auf der Welt, die von Frauen bzw. FLINT (Frauen, Lesben, Inter-Menschen, Nichtbinäre Menschen und Trans-Menschen) angeführt werden und in denen sie sichtbare Rollen spielen:

In Belarus stellen sich letzten Herbst vor allem Frauen in Weiß mit Blumen in den Händen bewaffneten Soldaten entgegen, um gegen die undemokratischen Wahlen zu protestieren.

In Polen haben seit Oktober unter dem Motto „Frauenstreik“ Hunderttausende Menschen in Schwarz gekleidet und mit einem roten Blitz auf der Maske oder der Jacke gegen das Totalverbot von Abtreibung demonstriert.

Zwei Frauen umarmen sich, sie sind in Grün gekleidet und geschminkt.

APA/AFP/RONALDO SCHEMIDT

In Argentinien sehen wir auf Videobildern Frauen und FLINT-Personen grüne Halstücher in die Höhe halten und vor Freude tanzen, weil es nach jahrelangen Protesten nun eine legale Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs gibt.

Dann gibt es noch die jungen Anführer*innen von Klimastreiks, Kämpfen gegen Kinderehe und gegen Waffengewalt, am bekanntesten natürlich Greta Thunberg, die sagt: „Keine*r ist zu klein oder zu unbedeutend, um sich zu engagieren.“

Haben diese Kämpfe und die Tatsache, dass Frauen und FLINT-Personen hier so sichtbar sind, etwas gemeinsam? Spielen sie als Akteur*innen in diesen Protesten eine größere Rolle als zuvor?

Es ist kein Zufall, dass junge Frauen Proteste anführen, schreibt die Spiegel-Journalistin Bettina Weiguny in ihrem Buch „Denn es ist unsere Zukunft“, in dem sie viele solcher junger Rebell*innen portraitiert. In dieser Generation gebe es ein neues Rollenverständnis:

„Junge Männer haben heute weniger Probleme, sich von Mädchen die Welt erklären zu lassen, sie als Sprachrohr zu akzeptieren“, sagt Bettina Weiguny in einem Interview zu ihrem Buch. „Viele Rebellinnen haben starke Mütter, sie wachsen auf in dem Wissen: Ihr könnt alles, wenn ihr wollt. Außerdem haben #metoo-Welle und Protestbewegungen wie Black Lives Matter die Jugend sensibilisiert; Diskriminierung, Machtmissbrauch und Übergriffe sind wichtige Themen für Mädchen und Jungs gleichermaßen.“

Demonstration in Polen für das Recht auf Abtreibung. Symbol ist ein roter Blitz.

APA/AFP/Wojtek RADWANSKI

Auch die deutsche Gunda-Werner-Stiftung hat sich mit der Rolle von jungen Frauen in den Fridays-For-Future-Protesten beschäftigt. Veza Clute-Simon kommt da in einem Blogeintrag zu dem Schluss, dass die Empörung, die Greta Thunberg und Kolleg*innen auslösen, auch daher kommt, dass es eben die sonst als „brav“ angenommenen jungen Mädchen sind, die sich hier engagieren:

„‚Dürfen die das?‘ meint dann gar nicht so sehr oder nicht nur das Fernbleiben von der Schule an einem Tag in der Woche, es richtet sich an die frechen Frauen*, die frechen Mädchen*, die frechen Kinder, die da so offensichtlich die bisher immer noch für selbstverständlich gehaltenen Regeln der männlichen, erwachsenen, weißen, mit Macht ausgestatteten Autorität in Frage stellen.“

Medienmythos Jeanne D’Arc

Es ist ja vor allem Greta Thunberg, die größte Bewunderung als auch größten Hass auf sich zieht. Es gibt aber nicht nur Greta, es gab vor ihr Malala Yousafzai, die für Bildung für Mädchen eingetreten ist, oder Emma Gonzalez, die gemeinsam mit ihren Klassenkamerad*innen beim „March for Our Lives“ in den USA für strengere Waffengesetze gekämpft hat. Und es gibt junge Aktivist*innen auf der ganzen Welt, die sich gegen Kinderehe und gegen Plastikmüll engagieren.

Demonstration in Belarus. Frauen tragen weißen Masken mit schwarzem Kreuz, in den Händen weiße Rosen.

APA/AFP/Wojtek RADWANSKI

Dass diese jungen Frauen hier als Sprecher*innen dieser Bewegungen auftreten und dass ihre Storys so gut funktionieren, liegt auch an dem Bild, das sie verkörpern: „Medial sind weibliche und junge Gallionsfiguren, die so einem bestimmten Typus entsprechen, natürlich interessant“, sagt Jana Günther, sie forscht zu Protesten und Sozialen Bewegungen. „Das folgt so einem Narrativ von jugendlicher Reinheit und damit auch Wahrheit, Opferbereitschaft und damit auch Kampfwillen – denken Sie an den Jeanne-D’Arc-Mythos. Diese Motive sind auch bei Fridays For Future bei der Inszenierung rund um Greta Thunberg klar erkennbar. Aber das tut nicht Greta Thunberg, das ist das, was die Medien tun!“

Globale Vernetzung, globale Kämpfe

Neu ist in diesen Bewegungen die globale Vernetzung, zum Beispiel, dass eine indische Studentin, die Bäuer*innen im Kampf gegen eine Agrarreform unterstützt, sich mit Great Thunberg austauscht, und dass diese Bewegungen generell ganz andere Möglichkeiten haben zu mobilisieren: „Was früher der Flyer war, den man umständlich verteilen musste, da hat man jetzt seine Social-Media-Gruppen etc. Es werden neue Sprachformen genutzt und neue Solidaritäten gebildet“, sagt Jana Günther. „Die Themen sind, glaub ich, gar nicht mal so neu. Aber sie ändern sich, wie sich die aktuelle Problemlage ändert. Deswegen finde ich schon, dass man von einer neuen Generation sprechen kann. Aber das heißt nicht, dass sich früher weniger Frauen – aber auch Männer – für Frauenthemen engagiert haben.“

Bettina Weiguny, „Denn es ist unsere Zukunft: Junge Rebellinnen verändern die Welt – von Greta Thunberg bis Emma González“, erschienen im Rowohlt Verlag

Carolin Wiedermann, „Zart und frei – Vom Sturz des Patriarchats“, erschienen bei Matthes & Seitz

Frauen haben schon immer und in allen progressiven Protestbewegungen eine wichtige Rolle gespielt, sagt Jana Günther. Man kann hier unterscheiden zwischen den Bewegungen, die explizit Frauenrechte erkämpfen, und anderen demokratischen Bürgerrechtsbewegungen: "Jenseits von Frauen- und Geschlechterthemen waren in allen progressiven Bewegungen auch Frauen tätig. Nicht nur als Gallionsfiguren, sondern auch sonst, vom Transpi-Malen bis zur Anmeldung der Demo sind auch immer Frauen dabei.“

Protestierende fordern die Freilassung von Disha Ravi und tragen Masken mit einem Foto von ihr.

APA/AFP/Jewel SAMAD

Auf den Schultern von Ries*innen

Ist also die patriarchale Geschichtsschreibung schuld, die die Rolle der Frauen in den großen Bürgerrechtsbewegungen der letzten Jahrhunderte einfach verschwiegen und unter den Teppich gekehrt hat?

Jana Günther meint zu beobachten, dass vor allem die aktuellen sozialen Bewegungen durchaus die Vergangenheit im Blick haben. So habe etwa die Black-Lives-Matter-Bewegung zahlreiche Aktivist*innen der Bürgerrechtsbewegung wiederentdeckt und präsentiere sie in den sozialen Medien. „Das ist ja toll, dass man jetzt auf den Schultern von Riesinnen agieren kann als junge Aktivistin.“

Keiner dieser Kämpfe gegen Ungerechtigkeit, gegen Ausbeutung, für Gleichberechtigung kann für sich alleine stehen. Sie berühren und bestätigen sich.

Jana Günther fällt zudem auf, dass sich etwa Aktivist*innen von Fridays For Future auch zu anderen Themen äußern, dass sie auch Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe oder Geschlecht im Blick haben. Zum einen, weil es handfeste Gründe hat. So sind Frauen und FLINT-Personen, arme Menschen und nicht-westliche Länder von den Folgen des Klimawandels stärker betroffen. Zum anderen ist die neue Erkenntnis aber vielleicht auch, dass keiner dieser Kämpfe gegen Ungerechtigkeit, gegen Ausbeutung, für Gleichberechtigung für sich alleine stehen kann, sondern dass sie alle verknüpft sind. So schreibt die Journalistin Carolin Wiedermann in ihrem neuen Buch: „Und so berühren und bestätigen sich zunehmend auch die vermeintlich getrennten Kämpfe gegen verschiedene Formen der Herrschaft. Bewegungen gegen Grenzregime genau wie diejenigen gegen Ausbeutung von Rohstoffen und Land verstehen sich als Teil queerfeministischer Bewegungen und andersherum.“

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