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Kings of Leon mit einem Sticker mit der Aufschrift "NFT Yourself"

Sony

Musik und Kunst als Krypto-Token: Hype oder Zukunftsmodell?

Heute veröffentlicht die Band Kings of Leon ihr neues Album “When You See Yourself” in Form eines Non Fungible Tokens auf der Ethereum-Blockchain. NFTs sind nämlich der neue, heiße Scheiß im Musikbusiness. Was hinter dem Hype steckt und wo die Technologie sinnvoll sein könnte.

Von Christoph Weiss

Die Kings of Leon geben im Rahmen einer Serie namens „NFT Yourself“ sogar gleich drei Varianten von Tokens heraus. Eine steht für ein spezielles Albumpaket, eine zweite für lebenslange Liveshow-Vergünstigungen wie Sitzplätze in der ersten Reihe und eine dritte Variante für exklusive audiovisuelle Kunst. Die Software dahinter wurde von Yellow Heart entwickelt, einem Start-up-Unternehmen, das Blockchain-Technologie einsetzen möchte, um „der Musik wieder Wert zu verleihen und bessere Beziehungen zwischen Artists und Fans herzustellen“. Das klingt ja gut.

Aber was hat es mit diesen NFTs jetzt wirklich auf sich? Der Begriff ist ja eher abschreckend. Um „Non Fungible Token“ zu verstehen, muss man erst einmal wissen, was “fungible” überhaupt bedeutet und warum die Tokens gerade diese Eigenschaft eben nicht haben. Klingt kompliziert, fragen wir doch mal Tante Wiki.

Kings Of Leon neues Album "When You See Yourself"

Sony

Christian Lehner hat mehr über das Album When You See Yourself von den Kings of Leon geschrieben.

Fungibilität ist die Eigenschaft von Gütern, nach Maßeinheit, Zahl oder Gewicht bestimmbar und deshalb innerhalb derselben Gattung durch andere Stücke gleicher Art, Menge und Güte austauschbar zu sein.

Beispielsweise ist ein Zehn-Euro-Schein in deiner Tasche beliebig austauschbar gegen jeden anderen Zehn-Euro-Schein. Fungibilität eines Gutes ist also eine der Grundvoraussetzungen für Geld. Auch die Verrechnungseinheiten von Kryptowährungen wie Bitcoin und Ethereum sind üblicherweise fungibel. Aber in deren Netzwerken, genauer gesagt ihren Blockchains, können auch nicht fungible Einheiten existieren.

Aber mal ganz von Anfang an

Die ursprüngliche Idee von Kryptowährung stammt eigentlich schon aus den neunziger Jahren. Damals wurde sie in einer anonymen Mailingliste einer Gruppe namens “Cypherpunks” diskutiert. Sie verstand sich als Bürgerrechtsbewegung, die für das Recht auf private Verschlüsselung kämpfte. (Mehr darüber hier). Denn noch in den neunziger Jahren befanden sich in den USA sichere Verschlüsselungsalgorithmen auf einer Liste verbotener Waffentechnologie. Die Cypherpunks setzen sich dafür ein, dass private Verschlüsselung erlaubt wird, gewannen diesen Kampf auch, und deshalb können wir heute im Internet sicher verschlüsselte Websites besuchen, sichere Messenger-Apps wie Signal verwenden und unsere E-Mails sicher verschlüsseln, wenn wir das wollen.

Cypherpunks erfanden auch das Filesharing-Protokoll BitTorrent und viele andere nützliche Werkzeuge im heutigen Internet - und dieselbe Gruppe diskutierte eben auch bereits in den neunziger Jahren über die Möglichkeit eines dezentral organisierten Internetbargelds.

Kings Of Leon neues Album "When You See Yourself"

Matthew Followill

Kings of Leon

Nach jahrelanger Diskussion veröffentlichte im Oktober 2008 ein Teilnehmer der anonymen Mailingliste Cypherpunks einen neun Seiten langen wissenschaftlichen Aufsatz namens „Bitcoin: A Peer-To-Peer Electronic Cash System“. Der Autor schreibt darin, er habe ein Grundproblem der Informatik gelöst - das “Double Spend Problem”. Durch die Lösung dieses Problems sei es nun möglich, ein System von elektronischem Bargeld zu erschaffen, das direkt zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern funktioniert (Peer-to-Peer).

Zusammen mit dem wissenschatlichen Aufsatz veröffentlichte der Autor, der sich Satoshi Nakamoto nannte, auch den Quellcode der Bitcoin-Software, die er geschrieben hatte. Wenn man diese Software installiert und auf einem Computer laufen lässt, verbindet sie sich per Zufall mit einigen anderen Computern, auf denen diese Software ebenfalls läuft. Sie erzeugt also ein Peer-to-Peer-Netzwerk für Internetgeld, das nicht doppelt ausgegeben, kopiert oder gefälscht werden kann. Die Skepsis unter den übrigen Cypherpunks war groß, doch schon bald erkannten sie, dass das “Double Spend Problem” tatsächlich gelöst war. Die Erfindung eines fälschungssicheren, dezentralisierten Netzwerks für Geld war gelungen.

Und was hat das jetzt mit Non Fungible Tokens zu tun?

Kryptowährungsnetzwerke wie Bitcoin und Ethereum (das zweitgrößte) verfügen über eingebaute Programmiersprachen. Im Fall von Ethereum ist diese Programmiersprache sogar turing-vollständig, das heißt: Sie kann theoretisch jede Berechnung, die irgendein Computer ausführen kann, ebenso ausführen. Oder anders gesagt: Ethereum ist universell programmierbar.

Kryptowährung ist also programmierbares Geld, und die Programme, die man damit schreiben kann, können sehr komplex sein. Unter anderem werden damit Smart Contracts erstellt. Das sind Computerprogramme, die Verträge abbilden und die Abwicklung eines Vertrags technisch unterstützen oder ausführen. Der einfachste Smart Contract, den du dir vorstellen kannst, ist ein Automat: Wenn du 50 Cent einwirfst und einen Knopf drückst, dann erhältst du Kaffee. Die Smart Contracts, die man in Kryptowährungsnetzwerke wie Ethereum stellt, sind allerdings meistens viel komplexer.

Auf diese Weise können NFTs - spezielle, unverwechselbare Tokens - generiert werden, die dem/der Eigentümer*in das Recht auf eine bestimmte Leistung oder den Zugriff auf bestimmte Funktionen via Smart Contract ermöglichen. Wer sich also z. B. das Album “When You See Yourself” von den Kings of Leon mit einem der speziellen Liveshow-Tokens kauft, erhält den Schlüssel für einen Eintrag in der Blockchain, der einen lebenslangen tollen Sitzplatz bei allen Shows der Band garantiert. Einer der Vorteile für den Fan: Der Token kann nicht verloren gehen oder nachträglich verändert werden, denn die Ethereum-Blockchain ist zensurresistent. Einer der Vorteile für die Band: Ein Kopieren oder Fälschen des “Goldenen Tickets” ist, obwohl digital, nicht möglich.

Alles nur Hype?

Wohl nicht ganz unwesentlicher Nutzen der Aktion für die Kings of Leon ist ihr Marketingpotenzial. Weil Kryptowährung und NFTs derzeit wieder in aller Munde sind, wird das Album der Band dieser Tage nicht nur in Musikmagazinen, sondern auch auf Fintech-Websites, im Business-TV und in IT-Podcasts besprochen. Dabei sind die Non Fungible Tokens gar nicht so neu, wie man vielleicht annehmen könnte. Das Katzensammelspiel Cryptokitties etwa sorgte bereits im Jahr 2017 für Leidenschaft und Verzweiflung (aufgrund der überlasteten Ethereum-Blockchain).

miau

Cryptokitties

Gerade für Nutzer*innen von Onlinecomputerspielen und virtuellen Welten offenbart sich der Nutzen von NFTs am ehesten. Der weltweite Markt für virtuelle Güter in Games setzt rund 50 Milliarden Euro im Jahr um. Doch bisher werden die meisten Avatare, Skins und Extrawaffen über zentral verwaltete, unsichere Plattformen gehandelt. Stattdessen mit derartigen Assets über dezentalisierte Marktplätzen zu handeln und sie auf zensurresistenten Blockchains abzulegen, steht seit Jahren auf der Wunschliste vieler Fans und Trader*innen. Es gibt dafür mittlerweile sogar ganz neue, auf NFTs spezialisierte Blockchains, zum Beispiel WAX (Worldwide Asset Exchange). Für virtuelle Gegenstände in Videogames und VR-Plattformen ist das alles sinnvoll.

Oft allerdings dient ein NFT schlicht als teurer Beweis, dass man selbst Eigentümer*in eines digitalen Gutes ist, das sich andere auch ohne Kauf des Tokens mit einem Mausklick irgendwo herunterladen können. Offenbar hält auch das manche Menschen nicht davon ab, viel Geld auszugeben: Chris Torres, dem Schöpfer des berühmten Memes “Nyan Cat”, ist es gelungen, eine „einzigartige“ Version seines viralen GIF für 300 Ethereum (zum heutigen Kurs rund 372.000 Euro) zu verkaufen. Im Fall des neuen Albums der Kings of Leons gibt es mittels Tokens auch die Möglichkeit, an exklusives Audiomaterial heranzukommen - die Frage ist nur, wie lange es in Zeiten von BitTorrent exklusiv bleibt. Ich schätze mal, zwei Tage.

nyaa

Chris Torres

Dennoch eignen sich NFTs als fälschungssichere und nicht kopierbare Zertifikate für den Nachweis von Eigentum. Deswegen wird vielerorts etwa auch über ihren Einsatz in der Verwaltung von Immobilien nachgedacht. Der Blogger RiveX schreibt: Im Jahr 2018 musste ich 200 km von Kuala Lumpur nach Ipoh fahren, um eine Eigentumsurkunde von einem örtlichen Landamt nachdrucken zu lassen, damit eine Immobilie verkauft werden konnte - nur um zu erkennen, dass ein Mensch gerade Urlaub hatte. Wir mussten ein anderes Mal kommen. Zentralisierte Institutionen haben viele Hindernisse - diesmal brauchten wir nur die Unterschrift von jemandem. Für ein paar Sekunden, in denen ein Stift auf Papier kratzte, hätten wir uns die Notwendigkeit einer weiteren 400 km langen Rundreise ersparen können.

Den Nachweis, wer eine Immobilie besitzt, könnte man auch über einen nicht fungiblen Token auf einer Blockchain erbringen. Jeder kann ihn dort sehen, doch nur der tatsächliche Eigentümer kann ihn an eine andere Person übertragen. Statt stundenlangen Papierkrams für eine einzelne Transaktion können fälschungssichere Übertragungen von Eigentum via Smart Contract in Sekunden sogar für mehrere Unterzeichner*innen erfolgen, unabhängig von deren Standort.

Auf dieselbe Weise könnten NFTs und Smart Contracts auch für das Rechtemanagement von Kunst und Musik eingesetzt werden. Denkbar wäre etwa eine dezentralisierte Variante von Spotify, in der Lizenzen und Tantiemen via Smart Contract automatisiert und im Sekundentakt an die Künstler*innen ausgeschüttet werden. Für Fans wiederum ist das Eigentum an einem ganz speziellen Band-Token spannend, wenn die Künstler*innen es ermöglichen, damit ganz bestimmte Livestreams von Musik zu erleben. Gerade im Pandemiejahr 2020 habe ich viele gute Liveshows in VR-Welten wie Sansar und VRChat erlebt (am 1. Jänner 2021 etwa eine großartige Virtual-Reality-Show von Elektronikurgestein Jean-Michel Jarre).

Für Musikliebhaber*innen kann die NFT-Technologie in Zukunft also bedeuten, dass Musik weniger zentralisiert über Intermediäre wie Apple und Amazon, sondern verstärkt von Musiker*innen selbst bezogen werden kann. Unter anderem auch deshalb, weil sich Kryptowährungen wie Bitcoin und Ethereum derzeit selbst zu einer Art von streamendem Geld weiterentwickeln. Das, in Verbindung mit dem Eigentums- und Rechtemanagement auf der Blockchain, hat also durchaus das Potenzial, unseren Umgang mit digitalen Assets zu verändern - sowohl für Kreative als auch für Fans. Album-NFTs, Cryptokitties und tokenisierte Memes wirken auf uns heute vielleicht noch wie Gimmicks und Marketingschmähs - in einigen Jahren könnte die Technologie Teil unseres Alltags sein.

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