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Szene aus "Fight Club": eine Gruppe durchtrainierter Männer

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FM4 FILMPODCAST

Testosteron und Terror: Welcome to „Fight Club“

David Finchers Verfilmung eines Romans von Chuck Palahniuk ist auf beklemmend gute Weise gealtert.

Von Christian Fuchs

Das Thema hat Kollegin Pia Reiser vorgeschlagen. Warum nicht einen FM4 Filmpodcast über David Finchers „Fight Club“ machen und den Film ganz neu betrachten? Besitzt das einst so kontroverse Werk, vollgepackt mit paranoider pre-millennium tension, im Hier und Heute noch eine Relevanz?

Sich „Fight Club“ anzunähern, heißt in jedem Fall, es mit einem kultartigen Phänomen aufzunehmen. Der Film, der bei seiner Veröffentlichung 1999 floppte und von der Presse in der Luft zerrissen wurde, entwickelte sich via DVD-Verkäufe zum Heimkino-Hit. Mehr noch, irgendwann wurde auch den feinseligsten Kritiker*innen klar, dass Finchers Film in der popkulturellen und politischen Landschaft Spuren hinterlassen hat.

Ein Mann steht vor einer Hauswand, auf der steht: "I like myself"

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Sucht man Vergleiche, kann man beispielweise zu „Easy Rider“ zurückgehen, der den Protest der Sixties-Rebellion 1969 durchaus massentauglich auf die Leinwand brachte. Aktuell kommt einem Todd Phillips’ nihilistische „Joker“-Adaption in den Sinn, ein Film, der dem grassierenden Wutbürgertum in einem höchst erfolgreichen Comic-Blockbuster eine Stimme gab.

Ein breites Publikum will auch immer David Fincher ansprechen, ein Regisseur, der Grenzen zwischen Kunst und Kommerz bewusst überschreitet. Die Streifen des akribischen Amerikaners funktionieren mit ihren verführerischen Oberflächen und subversiv angehauchten Inhalten wie eine perfekte Mainstream-Mogelpackung. Bei keiner Arbeit lehnte sich Fincher aber diesbezüglich soweit hinaus wie bei der Romanverfilmung „Fight Club“.

Ein Mann und eine Frau reden miteinander, sie hat eine Zigarette im Mundwinkel

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This is your life, doesn’t get any better than this

Ein Film als Frontalangriff auf die westliche Zivilisation in der Verpackung eines grellen Musikvideos, diesen durchaus beabsichtigten Kontrast haben anfänglich wenige verstanden. Aber bewusst unauflösbare Widersprüche gehören zu „Fight Club“ wie die schnellen Schnitte - oder die Stakkato-Weisheiten aus dem Off, die die Handlung durchziehen.

Die meisten der ikonisch gewordenen Sprüche verdanken sich Tyler Durden (Brad Pitt), einem charismatischen Prolo-Anarchisten, der eines Tages im Leben des namens- und schlaflosen Protagonisten (Edward Norton) auftaucht. Schmeiß’ den Zivilisationsdreck weg, predigt Tyler, schütte Sand ins Getriebe des Systems, beginne dich wieder selbst zu fühlen, Mann! This is your life!

Durden/Pitt, dieses Kondensat aus Sozialrevolutionär auf tiefstem Punkrock-Niveau und faschistisch angehauchtem Gruppenführer, aus muskelbepacktem Männermagazin-Model und beinhartem Konsumkritiker, trieb die liberalen Rezensent*innen am meisten zur Weißglut, als „Fight Club“ einst in den Kinos anlief.

Ein Mann umarmt einen anderen Mann mit riesigen Brüsten.

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Nur eine Minderheit kapierte die Aussage, die David Fincher mit seiner schizophrenen Kunstfigur transportieren wollte: Tyler, das Phantasiekonstrukt, zeigt die Beliebigkeit, mit der Ende der 90er Rechts/Links/Oben/Unten kombiniert werden können. Er steht auch für die Generation X, die in einem Vakuum taumelt, in dem Ideologien und Werte längst nur mehr als Simulationen herumschweben. Chuck Palahniuk, der Autor der Buchvorlage, schrieb eine Reihe von Romanen über diese existenzielle Tristesse.

I hurt myself today to see if I still feel

In dieser entzauberten, vaterlosen, Ikea-gestylten Welt, wo die Reste des Humanismus längst korrumpiert sind, die Technokratie herrscht und der Reality-TV-Terror omnipräsent ist, scheint Schmerz die letzte Waffe, der Körper der einzige Strohhalm, um der Leere zu entkommen. Schmeck’ dein Blut! Fühl’ wieder, sagt Tyler, warum einen Porno, wenn du echten Sex haben kannst?

Wer diesen Grenzerfahrungs-Phrasen, die direkt dem Nine Inch Nails Song „Hurt“ entliehen wirken, in die Falle geht, so wie Edward Norton in dem Film, bekommt in der zweiten Hälfte des Films die Rechnung präsentiert. Da erklärt uns Fincher dann, wie Chuck Palahniuk im Buch, dass auch die verzweifelte Suche nach dem Echten ein wahnsinniger (ganz wortwörtlich) Irrweg ist.

Vielleicht ist Liebe ein einzig möglicher Ausweg aus der Millennial-Angst, sagt uns die romantischste Konsumwelt-in-Flammen-Schlusssequenz seit Antonionis „Zabriskie Point“. Wobei das Ende den emotionalsten Moment im Film darstellt: Ansonsten bemüht sich Fincher gar nicht um jene Authentizität, die die Figuren mit ihrem Prügelclub verzweifelt einfordern.

Zwei Männer verstecken sich hinter einer Wand

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Im Gegenteil, „Fight Club“ ist ein bewusst selbstreflexives Spiel mit filmischen Ebenen, Klischeebildern, Rollenvorgaben und Erwartungshaltungen. Nicht umsonst hieß Finchers Film davor „The Game“. Was bisher auch nicht erwähnt wurde: Diese zynisch-witzige Abrechnung mit einer Ära ist zuallererst eine sarkastische Komödie. Den düsteren Humor wollten vom Blutgespritze und Männerschweiß verstörte Kritiker*innen aber am allerwenigsten wahrhaben.

Weltraumaffen im Kapitol

Apropos Ende: Im September 2001 änderte sich die Bedeutung von „Fight Club“ zentral. Plötzlich mutete der explosive Showdown mit seinen einstürzenden Neubauten wie ein apokalyptische Prophezeiung an. David Fincher, in dessen Film sogar der Begriff „Ground Zero“ fällt, wurde umgehend vom Geheimdienst kontaktiert. Der white male rage dahinter interessierte aber angesichts des islamistischen Terrors niemand mehr.

Zwei Männer im Gespräch, einer trägt eine rote Lederjacke, der andere einen grauen Business-Anzug

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Filmpodcast

Radio FM4

65. FM4 Film Podcast: Pia Reiser, Christian Fuchs und Jan Hestman blicken auf David Finchers umstrittene Männerstudie zurück. Was machte den Film Ende der 90er zur Popkultur-Provokation? Und warum passt „Fight Club“ so gut in die unmittelbare Gegenwart? Viele Fragen, spannende Antworten, inklusive Einwürfen von Autor Chuck Palahniuk.

2021 ist das anders. Bereits zum runden Jubiläum des Films vor zwei Jahren notierten diverse Autoren, dass Donald Trumps Gefolgschaft, diese Armee frustrierter weißer Männer, perfekt in den Film passen würde. „Fight Club“, der den Zeitgeist der späten 90ies verkörpert, erzählt uns plötzlich auch was über die Gegenwart.

Einer wie der Rattenfänger Tyler Durden könnte mit seinem Charisma locker Coronaleugner*innen-Demos organisieren oder einen Workshop für Verschwörungstheoretiker*innen auf die Beine stellen. Die kahlrasierten Testosteron-Truppen, die im Film für ihn Anschläge ausführen, abfällig Spacemonkeys genannt, wären wohl beim Sturm auf das Kapitol in vorderster Reihe dabei gewesen.

Diese Aktualität nimmt „Fight Club“ derzeit auch etwas von seiner Ambivalenz. Denn die einst ideologisch schwer verortbaren Charaktere, die in einer Szene über die verweichlichten Snowflakes schimpfen, mutieren nun zu rechten Bilderbuch-Bullys.

Die gute Nachricht also: „Fight Club“ wird super funktionieren, wenn du ihn morgen anschaust. Die schlechte Nachricht: Leider.

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