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Suu Kyi erscheint mit Begleitern vor dem Parlamentsgebäude. Filmstill aus "On the inside of a military dictatorship".

First Hand Films

Der Fall der Aung San Suu Kyi

Das Festival This Human World präsentiert bis Mai jeden Monat außergewöhnliche Filme zum Streamen. Zwei Empfehlungen für das Festival: Die erste führt nach Myanmar, die zweite in den Iran.

Von Maria Motter

„Human Rights Hub“ heißt das Streamingangebot des internationalen Filmfestivals This Human World, das jeden Spätherbst in Wien stattfindet.

Aus der Luft, im niedrigen Drohnenflug, tut sich ein Märchenland auf: Palmen wachsen in den Himmel, golden sind die buddhistischen Tempelanlagen. Dann rückt eine Hand einen Zierpolster mit Blättermotiv zurecht und der erste General nimmt Platz. Der Schauplatz ist Myanmar, als „Geheimtipp unter Asien-Reisenden“ gepriesen, einst Birma genannt und nach Amnesty International ein brutales Apartheid-Regime. Im nächsten Wohnzimmer setzt sich der nächste Militär auf ein Sofa. „Sound is good“, stellt die dänische Regisseurin Karen Stokkendal Poulsen fest. „Movie actor is good!“, scherzt ein ehemaliger politischer Gefangener. Die fünfte Person, die für den Hochglanz-Dokumentarfilm „On the inside of a military dictatorship“ vor der Kamera erscheinen wird, ist Aung San Suu Kyi.

Der Fall der Aung San Suu Kyi

Wie Aung San Suu Kyi von der Lichtgestalt zur tragischen Figur geworden ist, zeigt der Film „On the inside of a military dictatorship“.

1945 geboren als Tochter eines Mannes, der für die Unabhängigkeit seines Landes von der britischen Kolonialherrschaft gekämpft hatte und bei einem Attentat ermordet wurde, als das Kind zwei Jahre alt war, gilt sie lange wie der Vater als Freiheitskämpferin. Ihre Mutter wurde die erste weibliche birmanische Botschafterin in Indien.

Suu Kyi studiert in Oxford, arbeitet für die Vereinten Nationen in New York und sie setzt sich in den 1980ern für die Demokratisierung ihres Landes Myanmar ein. 1991 bekommt sie den Friedensnobelpreis, insgesamt lebt sie 15 Jahre unter Hausarrest, weil die herrschende Militärjunta sie fürchtet.

Heute hat sich der Blick auf die Politikerin gedreht. Die systematische Verfolgung und Vertreibung der muslimischen Minderheit der Rohingya hat sie als Staatsrätin hingenommen und sogar noch vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu rechtfertigen versucht. Im Völkermord-Verfahren wies das UN-Gericht Myanmar im Jänner 2020 an, Sofortmaßnahmen zum Schutz der Rohingya zu ergreifen und dafür zu sorgen, dass das Militär Angehörige der Rohingya nicht mehr verfolge. Tausende Menschen sind ermordet worden, Frauen wurden vergewaltigt, Dörfer niedergebrannt, 750.000 Menschen sind ins benachbarte Bangladesch geflohen.

Das internationale Festival This Human World zeigt die meisten Filme im Originalton, meist mit englischsprachigen Untertiteln.

„The situation seems a textbook example of ethnic cleansing”, hält der Hohe Kommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen 2017 fest, und diese knappe Feststellung ist im Film zu hören.

Der Horror des Völkermords und das Leben der Bevölkerung sind in „On the inside of a military dictatorship“ allerdings keine großen Themen im Film, und die Gewalt flackert nur in kurzen Archivsequenzen von TV-Nachrichten auf.

Vielmehr versucht die Doku die Rolle der Aung San Suu Kyi zu ergründen und rollt die jüngere Geschichte auf. Und das auf außergewöhnliche Weise: In „On the inside of a military dictatorship“ kommen reihenweise Generäle zu Wort, die dem einstigen Diktator Than Shwe die Treue gehalten haben, die sich erst auf internationalen Fahndungslisten und dann im Parlament wiederfanden.

Das ergibt zwei Stunden Film, denen ein Kritiker zurecht Shakespeare’sche Dimension zuschreibt. Denn trotz klassischer Machart und vielen Talking Heads ist diese Geschichte mehr als ein Kriminalfall.

Am Ende steht die groteske Erkenntnis, dass Mönche und Astrologen über das Schicksal von Menschen entschieden. Auf deren Aussagen hat der Diktator Than Shwe viel gegeben.

Seit 2. Februar 2020 hat das Militär Suu Kyi erneut unter Hausarrest gestellt. Zuvor hatte die Militärjunta geputscht und Suu Kyi entmachtet. FM4 Reality Check berichtet regelmäßig über die Vorgänge und über die Schwierigkeit, zu berichten.

Hinter den Mauern einer „Korrekturanstalt“ im Iran: „Starless Dreams“ porträtiert Mädchen

Teenager erzählen einander von ihren bewaffneten Raubüberfällen, Drogendeals und Morden. Dann bauen sie einen Schneemann, nehmen gefriergetrocknete Wäsche ab. Der unabhängige iranische Regisseur und Produzent Mehrdad Oksouei hat in einer „Korrekturanstalt“, einer sehr speziellen Jugendstrafanstalt für Mädchen, über Monate gedreht. Mal kudern die Teenager, dann trösten sie einander. Die meisten wollen nichts von einem Entlassungstermin wissen. Das Kabel des Festnetztelefons wackelt bei jeder Aufregung im Gespräch.

Zu seinen Protagonist*innen hat der Regisseur einen guten Draht. Entsetzt sagt ein Mädchen ihm, er hätte ihnen nicht sagen sollen, dass er eine 16-jährige Tochter habe. Dass ein Mädchen mit einem so lieben Vater aufwachse, das schmerze sie zu sehr. Sie sah sich einfach leid.

Die einstündige Doku „Starless Dreams“ ist ein herzliches und erschütterndes Porträt dieser Mädchen, weil sie sich dem Regisseur anvertrauen.

Ein iranisches Mädchen steht mit zwei Plastiksackerln mit ihrem Hab und Gut auf der Straße und lehnt an eine Hauswand.

DreamLab Films

Entlassungstag in „Starless Dreams“ von Mehrdad Oskouei

In knappen Worten wird ein Ausmaß an Gewalt offenbar, das von der Gesellschaft ausgeblendet wird: Süchte und Abhängigkeiten, sexueller Missbrauch und familiäre Gewalt. Eine Ausreißerin, eine Ehefrau, ein Mädchen, das auf der Straße lebt - sie geben Mehrdad Oskouei Antworten auf seine Fragen. Der Filmemacher hat sieben Jahre lang auf die Genehmigung gewartet, in der Jugendstrafanstalt drehen zu dürfen. Jetzt steht „Starless Dreams“ zum Streamen über die Website Thishumanworld.com bereit. Der Nachfolgefilm „Sunless Shadows“ ist beim letzten This Human World Festival zu sehen gewesen.

Das Festival This Human World wird im Herbst wieder stattfinden. Bis Mai gibt es jetzt das Streamingangebot in Form des „Human Rights Hub“ auf der Festivalwebsite. Zusätzlich zu den Filmen soll es Interviews und Themengespräche, Performances und Lesungen geben.

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