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Guardian von heute: "Palace in Crisis"

Robert Rotifer

ROBERT ROTIFER

Überraschung: Monarchie ist nicht modernisierungsfähig

Die staatlich geförderte Zerstreuungsmaschine namens Windsors hat ein paar ernsthaft markenbeschädigende Wahrheiten über Großbritannien zutage gefördert.

Von Robert Rotifer

Und wie hast du gestern so den feministischen Kampftag verbracht?

Ich hab mich besonders intensiv mit den repressiven Strukturen innerhalb von Königshäusern befasst.

Robert Rotifer moderiert FM4 Heartbeat und lebt seit 1997 in Großbritannien, erst in London, dann in Canterbury, jetzt beides.

Ah, sehr gut, das ist ja auch viel mehr sexy als immer der selbe alte Gleichbehandlungskram. ich erinnere mich dunkel, da hat irgendjemand vor drei Jahren hier schon einmal drüber geschrieben:

“Man sollte ja echt nicht erklären müssen, warum es per Definition keine ‚feministischen Prinzessinnen‘ geben kann, aber tun wir es trotzdem: Wer sich in ein System der Weitergabe von Herrschaftsansprüchen durch Geburt einklinkt, kann nicht mehr glaubhaft kritisch von Privilegien reden.“

Nicht unschlüssig! Du willst mir also erzählen, man habe irgendwie kommen sehen können, dass das mit Meghan Markle und der Royal Family nicht gut gehen würde?

Nun ja, der Guardian zum Beispiel behauptete damals, Meghan Markle würde eigenhändig die Royal Family umkrempeln und fragte sich auf der Titelseite ernsthaft, ob „die republikanische Bewegung das überleben“ könnte.

Guardian vor drei Jahren: "Kann die republikanische Bewegung das überleben?"

Robert Rotifer

The Guardian im Mai 2018

Wow, das ist ja dann wirklich nicht ganz so gelaufen. Aber du wirst mir jetzt sicher sagen, vor drei Jahren habe es hier auch schon eine nüchtern präzise Absage an diesen schein-progressiven Selbstbetrug gegeben, der eine Königsfamilie okay finden kann, solange sie sich an die richtigen Diversity-Standards hält.

Ja, jetzt, wo du’s zur Sprache bringst, fällt’s mir wieder ein. Das war ungefähr so formuliert:

“Das, was einmal die Linke war, hat sich in seiner Umarmung des progressiven Institutions-Marketing in eine bequeme Falle begeben. Solange das, was einmal die Linke war, ihren gesellschaftlichen Einfluss nicht mehr von unten, sondern nur mehr von oben üben kann, wird sie nicht mehr gewinnen können als leere Gesten der Scheinmoral.“

Wie prophetisch. Frage mich, wie der Autor das wohl alles kommen sehen konnte. Dabei ist die mediale Berichterstattung über die britische Königinnenfamilie ja sonst so ein legendär verlässlicher Maßstab für den unaufhaltsamen Fortschritt des öffentlichen Diskurses im gesellschaftlichen Wandel.

Guardian vor drei Jahren: "Meghan makes over the Monarchy"

Robert Rotifer

Jetzt aber Schluss mit der gefaketen Dialogform hier als Vorwand für meine performative Rechthaberei. „Die ist doch auch bloß ein Beitrag zur Funktion repräsentativer Monarchie als große, staatlich geförderte Zerstreuungsmaschine“, sagt ihr, und ich gebe euch recht.

Am vergangenen Wochenende hatten in Großbritannien noch alle von ganz anderen Dingen geredet. Zum Beispiel, dass just jenen essenziellen Arbeitskräften, denen wir letzten Frühling hier noch jeden Donnerstagabend im Gleichklang mit Boris Johnson Beifall klatschten, nun von dessen Regierung die finanzielle Dimension dieser viel beteuerten Wertschätzung präsentiert wurde:

Jawohl, die Mitarbeiter*innen des nationalen Gesundheitssystems, die Krankenpfleger*innen und Ärzt*innen, erklärte Voksheld*innen der noch lange nicht überwundenen Krise, werden in den Genuss einer Gehaltserhöhung von einem Prozent, de facto also einer Lohnkürzung, kommen. Denn mehr, so ließ die Regierung sie wissen, könne man sich einfach nicht leisten.

Das müssen auch die (vor allem) Nachfolgestaaten des britischen Empire einsehen, deren Entwicklungshilfe der alte Kolonialstaat laut einem an die Öffentlichkeit gedrungenen Email-Verkehr des britischen Foreign Office um mehr als die Hälfte, ja zum Teil sogar auf null kürzen will.

Während gleichzeitig in einer Kolumne für den Sunday Telegraph der britische Chefverhandler mit der EU, David Frost, die fortwährende Weltoffenheit des Global Britain so zu belegen beliebte: „Wir stärken unsere Streitkräfte mit der größten Erhöhung unseres Verteidigungsbudgets seit dem Kalten Krieg und übertreffen dabei ganz kommod die der NATO gegenüber garantierten zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts.“

Über genau diese vielsagenden Prioritäten schien sich hierzulande wie gesagt schon beinahe eine ernsthafte Debatte zu entwickeln. Bis dann DAS ALLERWICHTIGSTE THEMA dazwischen kam und mit einem Schlag alle News-Ticker und Timelines monopolisierte.

Trotzdem mach ich da mit dieser Kolumne nun erst recht mit, denn wie vor drei Jahren schon hat die Zerstreuungsmaschine auch diesmal wieder ein paar Dinge an die Oberfläche gewühlt, die in mindestens indirektem Zusammenhang zu oben erwähnten, verdrängten Themen stehen.

Wie es sich trifft, habe ich gerade vorhin öffentlich mit einem Kollegen vom deutschen Radio darüber telefoniert und mir vorher aufgeschrieben, was ich dazu zu sagen hatte. Es kam dann im Adrenalinrausch wieder einmal ganz anders über meine Lippen, also kann ich euch ja ganz bedenkenlos faul hier meine Notizen rein kopieren. Wie folgt:

Die von der progressiven Seite der britischen Medienlandschaft rund um die Hochzeit vor drei Jahren verbreitete Idee, dass jetzt der Feminismus und eine post-rassistische Gesellschaft im Buckingham Palace Einzug halten würde, war also eher doch Wunschdenken gewesen. Und wir sind wohl alle nicht so rasend überrascht darüber.

Das Prinzip einer königlichen Familie ist schließlich, dass manche Leute höher geboren sind als andere. Und dieser Herrschaftsanspruch ist eigentlich ja schon eine Definition von Rassismus. Insofern trifft die Debatte rund um Harry und Meghan den Kern des postkolonialen britischen Selbstbetrugs: Man porträtiert das britische Empire gern als die Macht, die die Sklaverei abgeschafft habe, tatsächlich ist man aber das Reich, dessen ganze koloniale Macht und dessen industrielle Revolution dank billiger Rohstoffe auf der Ausbeutung von Sklav*innen aufgebaut wurde.

Vor drei Jahren sah es noch so aus, als ließe sich das per Re-Branding relativieren, als könnten die Windsors sich, indem sie Meghan Markle mit ins Boot holen, zu Modernisierer*innen mit Krone stilisieren. Damals war viel vom angeblich so untrüglichen Instinkt der Royals für den Zeitgeist die Rede.

Guardian von heute: "Palace in Crisis"

Robert Rotifer

Guardian heute. Man beachte übrigens das Marmeladeglas daneben, da ist doch glatt der Federschmuck des Prince Charles drauf, Markenzeichen seiner Bio-Nahrungsmittelfirma Duchy Originals, talk about Markenbeschädigung.

Ich könnte jetzt ausholen und einen Bogen über das international vermarktete, ahistorische Idyll von Downton Abbey bis hin zu Bridgerton schlagen: Da sieht man dank Colourblind Casting ja auch eine fiktive Version der britischen Vergangenheit, in der people of colour Teil der Aristokratie gewesen wären. Diese Fiktion gibt sich als progressive Alternative zum traditionell reinweißen Kostümdrama, ist aber gleichzeitig eine Verklärung der Realität jener Periode, in der genau jene britische Aristokratie von der Versklavung afrikanischer Menschen lebte.

Ja, wie sich herausstellt, geht sich das Modell einer hautfarbenblinden Monarchie nicht einmal in der Gegenwart aus. Und damit zerbricht - endlich - eine globale sentimentale Illusion.

Großbritannien hat nun bald sechzig Jahre lang, de facto seit Auftauchen der Beatles, eine überproportional große Rolle in der internationalen Popkultur gespielt, und der zeremonielle Glamour der Royal Family war dabei von Anfang an involviert: Von der Verleihung der „Member of the British Empire“-Orden an die Beatles 1965 als epochaler Publicity Coup (eine Idee des damaligen Labour-Premierministers Harold Wilson) bis hin zu „The Crown“ (neulich von Harry Windsor bei seiner Busfahrt mit James Corden gelobt, denn im Unterschied zur Boulevard-Berichterstattung wisse man da wenigstens, dass es Fiktion sei. Harry hat schließlich selbst auch einen Netflix-Deal).

Ein wesentliches Element dieser popkulturellen Position von Königin und Hofstaat war ein gewisser ironischer Bruch des imperialen Symbolismus: Hoheitszeichen als Pop-Art, Monarchie als lebendiger Cartoon. Und wenn die Sex Pistols „God Save the Queen“ sangen, machte Jamie Reids Artwork dabei die Queen zur Anti-Punk- und damit erst recht wieder zur Pop-Ikone.

Die Meghan Markle-Affäre, mehr noch als Diana, demaskiert nun diesen kuscheligen Unernst des Union Jack, ohnehin schon reichlich lädiert durch den von außen so gut sichtbaren, hässlichen Nationalismus des Brexit.

Gerade in den USA, auf deren Wohlgesonnensein Großbritannien seit dem EU-Austritt besonders angewiesen ist, wird man sich diesmal wohl auch eher mit der von der britischen Presse gejagten Amerikanerin solidarisieren als mit einer rassistischen Bande unheilbarer Snobs. Und diese Markenbeschädigung könnte das Vereinigte Königinnenreich in Maßstäben sogenannter Soft Power so richtig teuer zu stehen kommen.

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