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Portraitfoto Hanms Platzgumer

©Alexandra Eizinger/Zsolnay

Psychogramm einer Kränkungsgeschichte

Hans Platzgumers neues Buch „Bogners Abgang“ wirkt wie ein Kriminalroman. In Wirklichkeit ist es jedoch ein messerschafes, spannendes und aufwühlendes Psychogramm mehrerer Charaktere, deren Schicksal durch eine affektive Tat miteineinander verwoben werden. Der österreichische Autor spürt damit den Themen Kränkungen, Schuld und Verantwortung nach.

von Andreas Gstettner-Brugger

Andreas Bogner ist freier Künstler und verbringt die meiste Zeit seines Lebens in seinem Atelier in Innsbruck. Sein narzisstischer Wesenszug treibt ihn dazu, sich in seine Projekte und die erhoffte Anerkennung für seine Kunst wahnhaft hineinzusteigern. Dadurch entfremdet Bogner sich immer mehr von seiner Ehefrau und seinem sozialen Umfeld. Als die Ablehnung seiner Kunst in der Szene immer massiver und auch öffentlich ausgetragen wird, lässt Bogner seinen Emotionen eines Nachts freien Lauf. Mit fatalen Folgen.

Auch die Vorarlberger Studentin Nicola Pammer fühlt sich als Außenseiterin. Sie pendelt zwischen Innsbrucker WG und Elternhaus hin und her und findet nur schwer Anschluss in der Studentengruppe. Als sie sich entschließt, einmal doch dazugehören zu wollen, geht sie vor ihrer Heimreise mit dem Auto nach Vorarlberg mit der Clique aus. Ein Fehler, der nicht nur ihr Leben schlagartig verändern wird.

Ab auf die Couch

Ursprünglich wollte der österreichische Autor Hans Platzgumer mit „Bogners Abgang“ einen Gerichtsroman schreiben: „Ich hatte die Geschichte so angelegt, dass ein Strafverteidiger eine große Rolle spielt, der die Figur des Bogner aus dem Gefängnis herausbringen soll, weil er ein Menschenleben auf dem Gewissen hat. Ich habe dann aber gemerkt, dass das nicht mein Genre ist und mich die psychologischen Aspekte solch einer Tat viel mehr interessieren. Deshalb habe ich die Geschichte vom Gefängnis auf die Chouch eines Therapeuten verlagert.“

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Um sich voll und ganz in seine Charaktere einzufühlen, hat sich Hans Platzgumer als Künstler Andreas Bogner selbst auf die Couch eines befreundeten Therapeuten gelegt. In vier Sessions sind jene Dialoge entstanden, die die Grundlage für die Szenen in dem Buch „Bogners Abgang“ bilden und sich deshalb auch sehr wirklichkeitsnahe lesen. Es ist ein spannender Einblick in die Psyche und Denkstruktur eines Künstlers der nachvollziehbar macht, wie Gedankenmuster und -spiralen einen immer tiefer in den Abgrund führen und Intervention von außen nur bedingt helfen können.

Hans Platzgumer: „Mich hat vor allem interessiert, wie sich Kränkungen, die wir alle im Leben erfahren, aufstauen können. Die Kleinen, die man oft gar nicht wahrnimmt und die Großen die man übersteigert wahrnimmt. Und irgendwann kommt der Punkt, an dem die kritische Masse an Kränkungen erreicht ist, wo diese sich dann entladen müssen. Wenn das dann mit einer blinden Tat passiert, war für mich die Frage, welche Konsequenz daraus entstehen und wie auch komplett unbeteiligte Leute da hineingezogen werden.“

Psychologisches Vexierspiel

Parallel zu der Geschichte des Künstlers Bogner lässt Hans Platzgumer auch die Vorarlberger Studentin Nicola Pammer aufgrund einer fatalen Entscheidung in den Abgrund blicken. Mit jedem Versuch, sich aus ihrer schlimmen Situation herauszumanövrieren, gerät sie immer tiefer ins Schlamassel und zieht so auch andere mit hinein.

Hans Platzgumer: „Es wird in diesem Roman das Schicksal von fünf Charaktere immer mehr und enger miteinander verstrickt und sie werden in diese unheilvolle Geschichte hineingezogen. Mich hat dabei auch interessiert, wie die Figuren mit dem Thema Schuld umgehen und ob sie Verantwortung für ihre Taten übernehmen oder eben nicht.“

Buchcover "Bogners Abgang" von Hans Platzgumer

© Zsolnay

Der neue Roman „Bogners Abgang“ von Hans Platzgumer ist am 15. März bei Zsolnay erschienen.

Hans Platzgumer schafft es, moralische Wertungen außen vor zu lassen.
Im Gegensatz zu anderen Büchern von Hans Platzgumer ist in „Bogners Abgang“ eine gewisse Distanziertheit zu den Figuren zu spüren. Dadurch bietet uns der Autor die Möglichkeit, einen urteilsfreien Blick auf eine tragische Geschichte zu werfen und überlässt uns die Schuldfrage, die je nach Sympathie oder Blickwinkel eine andere Antwort hervorrufen kann.

Nachdem Hans Platzgumer für das Buch mehrere Anläufe genommen hat, ist „Bogners Abgang“ im dritten Versuch wie in einem Rausch entstanden, als sich die Puzzleteile in seinem Kopf endlich zusammengesetzt haben. So entwickelt der Roman durch die klare, präzise und knappe Sprache einen unglaublichen Sog. Trotz der wenigen Worte entsteht eine beklemmende, atmosphärische Dichte. Man fühlt sich wie an Bord eines Zuges, dessen unheilvolle Talfahrt immer mehr Geschwindigkeit aufnimmt und sofort ahnt man, dass die Schienen wohl in einer zugemauerten Sackgasse enden werden.

Hans Platzgumer ist mit seinem neuesten Werk ein clever angelegtes, literarisches Vexierspiel gelungen, das an frühe Romane von Paul Auster erinnert. So schnell, wie die Geschichte Fahrt aufnimmt, so schnell ist sie nach 140 Seite auch wieder vorbei. Sie hinterlässt uns mit dem mulmigen Gefühl, dass die gestellten Fragen nach Schuld und Verantwortung, nach dem heilvollen Umgang mit Kränkungen und ob manch sich aus einer negativen Spirale auch wieder befreien kann, nicht klar zu beantworten sind. So taucht das Gefühl auf, diesen komplex aufgebauten Roman doch noch einmal lesen zu wollen mit der Hoffnung, für sich vielleicht doch eine Antwort auf diese Fragen zu finden.

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