FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Collage mit Szenenbild aus "Sunset Boulevard" und "Mulholland Drive"

Concorde/ Paramount

FM4 FILMPODCAST

Hollywoods Abgründe: „Mulholland Drive“ & „Sunset Boulevard“

Im neuen FM4 Filmpodcast tauchen wir in die dunklen Seiten der Traumfabrik ein. Mit gespenstischen Meisterwerken von David Lynch und Billy Wilder.

Von Christian Fuchs

Wir lieben das Weltkino im FM4 Filmpodcast, aber wir gestehen: Hollywood fasziniert uns ganz besonders. Weniger weil wir der süßlichen Idylle erliegen, die uns viele Filme aus der Traumfabrik verkaufen. Sondern weil hinter all dem Schein und Sein eine gespenstische Ambivalenz liegt. „Hollywood Babylon“ heißt ein berühmtes Buch von Kenneth Anger, der Titel steht für die klaffenden Abgründe in Tinseltown.

Zwei Filme, die von Hollywood als Schattenreich erzählen, stehen im Mittelpunkt unserer Reflexionen. „Mulholland Drive“ von David Lynch ist 2001 erschienen und führt seit damals diverse Bestenlisten des 21. Jahrhunderts an. „Sunset Boulevard“ von Billy Wilder wurde 1950 veröffentlicht und gilt als Meilenstein des Noir-Dramas. Nicht nur dass sich beide Meisterwerke auf Straßen in Los Angeles beziehen, haben diese Filme gemeinsam.

"Mulholland Drive"

Concorde

Filmpodcast

Radio FM4

Hollywoods Abgründe, zerplatzte Träume, mysteriöse Cowboys: Zum 20. Geburtstag von David Lynchs „Mulholland Drive“ widmet sich der FM4 Filmpodcast diesem Film und dem Film „Sunset Boulevard“. Nicht nur Filmtitel, die sich auf Straßen in Los Angeles beziehen, haben diese beiden Filme gemeinsam. Montag Mitternacht geht’s auf nach Hollywood Babylon.

Die Straße der Finsternis

Los Angeles bei Nacht. Langsam fährt eine schwarze Limousine durch die schlecht beleuchteten Hollywood Hills. Die Scheinwerfer streifen kurz ein Straßenschild. „Mulholland Drive“ flackert da in fetten Lettern auf, dann verschwindet die Tafel wieder in der Dunkelheit.

Die hypnotische Kino-Reise, die mit dieser nächtlichen Autofahrt beginnt, führt bald zu Destinationen, die auf keiner Straßenkarte eingezeichnet sind. Wir befinden uns in einem surrealen Reich, das gleich hinter dem Boulevard of Broken Dreams beginnt. Willkommen in David Lynch-Land.

Mit „Mulholland Drive“ begibt sich der Langzeit-Exzentriker des US-Kinos 2001 zurück auf den „Lost Highway“. Nicht nur, dass keine der ultra-mysteriösen Nebenhandlungen aufgeklärt wird. Personen verwandeln sich einfach, lineare Strukturen lösen sich auf. Zurück bleibt ein Visionenrausch, der lange nach dem Verlassen des Kinos noch das Unterbewusstsein vernebelt. Und ein Wort: „Silencio“.

"Mulholland Drive"

Concorde

Im irrealen Traum-Universum leben Charaktere, die wie sarkastische Karikaturen aus dem echten Hollywood Dschungel wirken. Die naive Jungschauspielerin Betty etwa, die aus der Provinz nach L.A. kommt, um Karriere zu machen. Oder der Regisseur Adam, dessen hippes Filmprojekt von finsteren Kräften sabotiert wird. Und eine verwirrte Femme Fatale, die sich Rita nennt und nach einem schweren Autounfall bei Betty Unterschlupf findet.

Naomi Watts, Laura Elena Harring und Justin Theroux spielen diese tragenden Figuren, die auf verwirrende Weise miteinander verstrickt sind. Um sie reihen sich seltsame Freaks und Auftragskiller, Mafiosi und abgetakelte Schauspieler. Sogar ein waschechter Cowboy wartet in den Hügeln von Hollywood.

"Mulholland Drive"

Concorde

Fährt man als Filmfan den „Mulholland Drive“ öfter entlang, dann kristallisiert sich doch ein Plot aus dem Bilderrausch heraus. Sogar Vernetzungen zur Welt von „Twin Peaks“ lassen sich finden. Auch „Mulholland Drive“ war einst als Serie geplant, aus dem gescheiterten TV-Pilotfilm machte David Lynch ein Kinowunder.

Wer die Rätsel erst gar nicht dechiffrieren will, bekommt immer noch jede Menge samtige Eleganz und traurigen Glamour, schwülstige Erotik und wundersame Abseitigkeiten. Ach ja, urkomisch ist dieser Film auch noch. Wirklich furchterregend. Und dann ist da noch die Musik von Angelo Badalamenti. Wer braucht schon so etwas Altmodisches wie eine klassische Story? Dream, Baby, dream.

"Mulholland Drive"

Concorde

Der Boulevard der Dämmerung

An dieser Stelle übergebe ich an meine Kollegin Pia Reiser:

16 Jahre bevor John Lennon prophezeit, dass die Beatles populärer als Jesus sind, formuliert in „Sunset Boulevard“ die Stummfilmdiva Norma Desmond einen ähnlich ausgeschlafenen Plan: I am going to be bigger than peanut butter!

Desmond war ein Star der Stummfilmära, die mit dem Aufkommen des Tonfilms – wie viele andere SchauspielerInnen dieser Ära von Hollywood aufs Abstellgleis geschoben worden sind. Mit dem Umstieg auf den Tonfilm ändert sich die Erzählweise des Kinos und somit auch die Art des Schauspiels.

Gloria Swanson spielt Norma Desmond in „Sunset Boulevard“ noch mit den großen Gesten, die Mimik auf Anschlag. Die Augenbrauen hochgezogen, die Augen aufgerissen, die Arme dramatisch erhoben. Wenn sie auch keine Rollen mehr bekommt, in ihrem Haus, dem gleichermaßen staubigen wie mondänen Anwesen am Sunset Boulevard, ist sie immer noch ein Star.

Szenenbild "Sunset Boulevard"

Paramount

Für Gloria Swanson wird die Rolle in „Sunset Boulevard“ das, wovon ihre Figur träumt: Eine triumphale Rückkehr auf die große Leinwand, „Sunset Boulevard“, seine Figuren und seine zugeschliffenen Dialoge gehen in die Filmgeschichte ein. Drehbuchautor und Regisseur Billy Wilder macht hier, was später vor allem Quentin Tarantino zum Markenzeichen erhebt: Meta-Casting. Wilder holt einen Stummfilmstar aus der Versenkung zurück und lässt sie eine Variante ihrer selbst spielen.

Regisseur Cecil B. DeMille spielt sich selbst, ebenso Buster Keaton. Und Regisseur Erich von Strohheim spielt Swansons Butler Max von Mayerling und auch hier ähneln sich Schauspieler und Rolle mehr als man zunächst annehmen möchte. Und mittendrin in dem Karussell des alten Hollywood steckt William Holden als strauchelnder Drehbuchautor Joe Gillis, der durch einen Zufall in Swansons Haus landet und von der Diva in distress engagiert wird, ihr selbstverfasstes Drehbuch für das geplante Comeback, zu überarbeiten.

sunset boulevard

paramount

Desmond findet Gefallen an dem Feschak und er Gefallen an dem Wohlstand, die üblichen Geschlechterrollen hat Billy Wilder hier umgedreht und in seinen teilweise märchenhaften, ungewöhnlichen Film Noir eine destruktive Beziehung hineingestrickt. Wenn Joe aus der Haustür tritt, verhängt sich sein Jackett an der Türschnalle. Hier kommt er so schnell nicht mehr raus.

Gillis salopper Sarkasmus und seine zur Schau getragene Lässigkeit sind der Gegenpol zur Dramatik von Norma Desmond, die sich schließlich immer mehr in Illusionen verlieren wird. Ihre letzte Szene strotzt vor Tragik und Grandezza und wenn man sich dann vom Angesicht zu Angesicht mit Norma Desmond befindet, dann weiß man eines mit Sicherheit: Sowas von bigger than peanut butter.

mehr Film:

Aktuell: