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Japaner mit Regenschirm vor den Olympischen Ringen in Tokio

APA/AFP/Charly TRIBALLEAU

Wie bekommen wir Sport ohne Skandale?

Der Sportfan und Literaturwissenschaftler Klaus Zeyringer hat in seinem „Schwarzbuch Sport“ alle negativen Auswüchse des durchkommerzialisierten Sports dokumentiert und daraus Analysen gezogen. Im Supersportjahr 2021 stellt sich auch die Frage, wie kommt man da wieder raus?

Von Simon Welebil

Klaus Zeyringer lässt sein aktuelles Buch „Schwarzbuch Sport. Show, Business und Skandal in der neoliberalen Gesellschaft“ mit dem Attentat auf den Mannschaftbus des Fußballklubs Borussia Dortmund beginnen und endet mit Korruptionsermittlungen wegen der Vergabe der Olympischen Spiele 2021 in Tokio. Dazwischen packt er dutzende weitere Negativschlagzeilen aus der Welt des Sport, von dekadenten Fußballstars, die goldüberzogene Steaks verspeisen über Dopingbeichten und teure Großmannsucht, wie etwa die gescheiterte Olympiabewerbung von Graz. Er macht das nicht etwa, um eine Chronologie zu entwerfen, sondern um die Strukturen dahinter sichtbar zu machen. Zeyringer hat aber auch Lösungen anzubieten, wie man aus dieser Situation wieder herauskommt, wie er nicht nur im Interview erzählt.

Klaus Zeyringer sitzend an einem Tisch

privat

Simon Welebil: Wenn man die einzelnen Skandalschlagzeilen zusammenfasst, kommen sie ja immer aus den gleichen Themen: Korruption, Kostenüberschreitungen, Umweltzerstörung, Menschenrechtsverletzungen, Doping. In der letzten Zeit ist Missbrauch vielleicht deutlicher hervorgetreten – aber es ändert sich quasi nicht, bzw. es wird sogar schlimmer, wenn man nach Ihrem Buch geht, oder?

Klaus Zeyringer: Ja, das stimmt durchaus und das lässt sich aus meinem Buch auch deutlich herauslesen. Man kann vielleicht am Ende festhalten, dass die Strukturen die gleichen sind, dass die Strukturen solche Zustände hervorbringen und dass die Zustände verschlimmert wurden mit der Kommerzialisierung und der Mediatisierung des Sports ab den Siebzigerjahren, zur gleichen Zeit, als der Neoliberalismus immer stärker zu werden begann.

Die große These ihres Buches sehe ich darin, dass fast all diese negativen Auswüchse auf den Neoliberalismus zurückzuführen sind. Würden Sie mir da zustimmen?

Nein, ich meine nicht, dass das auf den Neoliberalismus zurückzuführen ist. Ich meine, dass es eine Parallelentwicklung gibt und, dass es Verbindungen gibt zwischen der neoliberalen Politik und Wirtschaft und zwischen der Entwicklung der Sportgesellschaft und des Sportbetriebs. Das heißt, der Neoliberalismus greift schon auch in den Sportbetrieb ein. Aber nicht nur. Und die Zustände im Sportbetrieb sind nicht in erster Linie dem Neoliberalismus geschuldet, sondern in erster Linie den Strukturen, den zuständigen Funktionären, die neoliberal beeinflusst sind. Der Neoliberalismus hat die Zustände leichter ermöglicht, kann man sagen.

Der Neoliberalismus ist stark geprägt vom unbeschränkten Wachstum. Im Sport wäre dafür wohl das Aufblähen der großen Cashcows, der Fußballturniere und der Olympischen Spiele wohl das beste Beispiel.

Ja, das sind die deutlichsten Bilder, das heißt Gewinnmaximierung, Selbstoptimierung des Körpers, in erster Linie, um jeden Preis etwas zu gewinnen, zu verkaufen, den Körper zu verkaufen. Das betrifft ja nicht nur den Profisport, sondern auch den Amateursport. Etwa in den Fitness-Centern. Es ist ja diese Fitness-Mode gleichzeitig mit dem Erstarken des Sportbetriebs entstanden.

„Insgesamt kann man feststellen, dass im Sport etwas greift, was im Neoliberalismus ganz stark greift, nämlich dass alle Räume besetzt werden. Deswegen auch immer mehr Spiele, immer mehr Wettbewerbe, immer mehr Athleten. Das heißt ein Immer-mehr in allen Bereichen.“

Jetzt wissen natürlich die großen Verbände etc. von all diesen Skandalen – und sind ja nicht unbedingt daran interessiert, noch mehr davon zu produzieren. Das IOC beschließt eine Agenda 2020, die Spiele kostengünstiger und transparenter machen soll. Die Fußballverbände betreiben sogenannte Ethik-Kommissionen. Greift das alles zu kurz, um die Probleme zu lösen?

Die großen Verbände und die Verbände der sehr reichen Sportarten, insbesondere das IOC, FIFA, UEFA, aber auch andere Verbände sind Spezialisten im Fassadenschwindel und in der Kulissenschieberei. Das heißt, sie geben vor, gemeinnützig zu sein, profitieren aber enorm von der Gemeinnützigkeit, geben der Gemeinnützigkeit wenig zurück. Sie zahlen kaum Steuern. Sie geben vor, moralische Anstalten zu sein, und wenn man es hinter die Kulissen schaut, sieht man, dass sie durchaus nicht moralisch handeln, bzw. zumindest nicht immer und zumindest nicht alle ihre Funktionäre. Das heißt, auch wenn es Ethik-Komitees gibt, muss man sich ansehen, welche Funktion haben die wirklich? Man kann bei der FIFA deutlich erkennen, dass das Ethik-Komitee nicht gegen Funktionäre der FIFA, insbesondere Infantino vorgehen kann. Und man muss sich auch ansehen, wer in diesen Komitees sitzt. Also wenn dort ein Vertreter von Adidas und von Coca-Cola sitzt, kann man sich schon fragen, wie dieses Ethik-Komitee tatsächlich funktionieren sollte.

Buchcover von "Schwarzbuch Sport" von Klaus Zeyringer. Symbolisch mit drei Medaillen verziert

Springer Verlag

„Schwarzbuch Sport. Show, Business und Skandal in der neoliberalen Gesellschaft“ von Klaus Zeyringer ist im Springer Verlag erschienen.

Als Sportfan kennt man natürlich fast all diese Negativschlagzeilen. Trotzdem bleiben die Fans dem Sport treu? Warum ist das so?

Naja, ich bin ja ein gutes Beispiel dafür, denn ich handle ja durchaus fast schizophren, weil ich einerseits vor dem Fernseher sitze und mich der Sport enorm fasziniert, andererseits ich die Zustände beobachte und analysiere und das eigentlich ziemlich problematisch finde. Und da bin ich ja bei weitem nicht der einzige.

Ich hab vor zweieinhalb Jahren mit dem STANDARD-Redakteur Stefan Gmünder das Buch „Das wunde Leder“ publiziert und dafür auch einen Text mit dem Schriftsteller Ilija Trojanow geschrieben. Das war vor der Fußballweltmeisterschaft in Russland. Und wir sind der Meinung, dass sich die Zustände ändern können, wenn die Zuschauer einen Druck ausüben. Das heißt, wenn es weniger Quoten gibt. Also haben wir vorgeschlagen, man möge sich die Spiele bei der WM in Russland nicht ansehen. Ich hab’s mit großer Mühe geschafft. Aber weder Stefan Gmünder noch Ilija Trojanow haben das geschafft, weil sich der eine durchaus die Nati der Schweiz sehen wollte und der andere die deutsche Nationalmannschaft. Also in dieser Situation sind sehr viele, die sich ansehen, wie Sport funktioniert. Und man sieht sich das ja an, weil man fasziniert ist vom Sport. Also es ist ein durchaus fast schizophrenes Verhalten, auch von mir.

Jetzt ist heuer ja auch so was wie ein Supersportjahr: Fußball Europameisterschaften und Olympische Spiele in Tokio, beide Veranstaltungen zumindest großteils in Demokratien, dennoch hochproblematisch, warum?

Also Sie sind erstens hochproblematisch in der jetzigen Situation, weil sie bewirken, dass auf jeden Fall sehr viele Menschen durch die Gegend fliegen müssen. Es sind, auch wenn es in Tokio kein Publikum geben sollte, mindestens 10.000 Menschen unterwegs. Für die Fußball-Europameisterschaft ähnlich. Wenn wir jetzt von Corona abstrahieren, ist es auch ökologisch nicht ideal, dass so viele Leute durch die Gegend fliegen.

Und da komme ich jetzt zur Problematik der Olympischen Spiele in Tokio. Das sind Mega-Events, die enorm viel Geld kosten. Das wird sicherlich nicht das IOC bezahlen. Die werden davon profitieren. Es werden sicherlich die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen in Japan zur Kasse gebeten und es werden sicherlich wieder „Weiße Elefanten“ stehen bleiben, d.h. Sportstätten, die nachher nicht mehr genützt werden und einfach irgendwo verwachsen und verwildern. Dazu kommt das Problem, dass also weder ökologisch gedacht wird, noch nachhaltig gedacht wird. Dass auch nicht, wie das IOC behauptet, weniger Wettbewerbe stattfinden, sondern mehr. Das heißt das, was Thomas Bach (IOC Präsident, Anm.) in der Agenda 2020, die im Übrigen im Titel an die Agenda 2010 von Gerhard Schröder - Neoliberalismus - erinnert, schreibt, dass man wieder zurück wolle zu Wurzeln, das wird gar nicht gemacht. Und das ist ja auch ein Zeichen des Fassadenschwindels und der Kulissenschieberei dieser großen Verbände.

Dabei sind die Probleme dieser beiden Großveranstaltungen ja noch Kleinigkeiten verglichen mit der Fußball WM in Katar 2022. Das ist eine Diktatur, die eine Art Sklavensystem für Arbeitsmigrant*innen unterhält – anscheinend sind schon 6.500 Arbeiter auf den Baustellen für die WM verstorben. Wie soll man damit umgehen? Als Athlet, als Verband, als Medium, aber auch als Fan?

Ja, also da gibts mehrere Antworten Zum einen man könnte aus der Geschichte lernen, aber wie Ingeborg Bachmann sagt, „Die Geschichte lehrt andauernd, aber sie findet keine Schüler.“ Was wir in Katar sehen werden, hat man im Grunde schon über Russland sagen können. Und vor allem konnte man das, was den Fußball betrifft, 1978 in Argentinien beobachten. Wenn in Österreich über die WM 1978 in Argentinien geredet wird, kommt das Wort „Cordoba“. Aber dass dort damals eine Diktatur gewesen ist, die schlimm war und tausende Menschen umgebracht hat, und dass unweit des Stadions in Cordoba ein Lager war, wo Leute gefoltert und umgebracht wurden, während die Österreicher gegen Deutschland gekickt haben, das wird nicht bedacht. Das heißt, die Probleme, die es in Katar geben wird, die hatte man schon 1978 in Argentinien.

„Die Verhaltensweisen werden wieder genau die gleichen sein, die Verbandsleute und die Zuständigen für den Sport, auch die meisten Fußballer werden sagen ‚Wir sind Sportler. Sport ist Sport. Politik ist Politik. Es ist der Dialog besser, als wenn man den abbrechen würde.‘ Und so weiter und so fort.“ (zu Katar 2022)

Also es wird sich dort, glaube ich, nichts ändern. Das ist ein Punkt. Ein allgemeiner Punkt, der nicht nur Katar und nicht nur Russland oder Peking 2026 dann betrifft, ist, dass in all diesen Ländern, einschließlich in Österreich und der Schweiz, als hier die Fußball-Europameisterschaft stattfand, der Staat fünf ganz wesentliche Hoheitsrechte an einen Schweizer Verein abgibt. Das heißt, in Tokio wird es so sein, und in Katar wird es so sein, und in Peking wird es so sein, dass die Steuerhoheit des Staates nicht mehr gilt. Das heißt, das IOC, die FIFA zahlen keine Steuern dort und nicht nur sie, sondern auch alle, die bei ihnen irgendwie dranhängen oder mitarbeiten. Und zwar nicht nur ein Jahr, sondern vier Jahre lang. Es wird die Grenzhoheit außer Kraft gesetzt, denn alle, die auf einer Liste stehen, die die FIFA bzw. das IOC dann geben, müssen ohne weiteres ins Land dürfen. Es werden die Arbeitsrechte kassiert, weil die nicht mehr für diese Veranstaltungen gelten dürfen. Es werden die Medienrechte kassiert, weil alle Rechte in diesem Fall der FIFA oder der IOC oder der UEFA gegeben werden. Das heißt, das ist ein wesentliches Problem, im Grunde schon seit ewigen Zeiten, wenn solche Veranstaltungen abgehalten werden. Und das wird tatsächlich nirgendwo wirklich diskutiert. Wenn nun solche Menschenrechtsverletzungen dazukommen wie in Russland, wie in Peking dann, wie in Katar, dann ist es nochmal schlimmer. Und bei Russland und Katar und auch Tokio kommt ja dazu, dass diese Veranstaltungen praktisch gekauft wurden.

Sie haben für die Fußball WM 2018 in Russland ausgemacht, alles zu boykottieren. Machen Sie das nochmal?

Nein, das mache ich nie wieder, weil das nicht funktioniert. Wir hatten ja nicht nur uns verabredet, sondern es ist ein Manifest, das da am Ende des Buches steht. Also wir wollten ja wirklich dazu aufrufen, dass das Publikum einen Druck ausübt auf Verbände. Mittlerweile geschieht das in erster Linie in Deutschland, in Österreich weiß ich nichts davon, aber in Deutschland gibt’s Fanverbände und -zusammenschlüsse, insbesondere im Fußball, die nun beginnen, Druck auszuüben. Man könnte wie in Deutschland versuchen, medial mehr zu machen. Und dann sollten eben solche Gruppierungen wie das in Deutschland Unsere Kurve gemacht hat, sich ja mal überlegen, was da im Sport passiert und was ihr Interesse, nämlich das Interesse der Fans, ist. Und da sind die deutschen Fans draufgekommen, dass ihr Interesse schon lange nicht mehr irgendeine Art von Priorität genießt und dadurch ist dann ein gewisser Druck von unten entstanden. Ich glaube, die Situation im Sportbetrieb, die ich als gesellschaftlich problematisch erachte, lässt sich ändern durch Druck von unten oder eben durch Druck der Politiker und Politikerinnen, indem die Gesetze entsprechend gestaltet werden. Und da müsste, das schreibe ich ganz deutlich im Buch, die Schweiz natürlich eine Rolle spielen, weil alle großen Sportverbände aus bestimmten Gründen in der Schweiz sitzen.

Und wie sollte man als Medienmacher*in damit umgehen?

Ich finde, man sollte das machen, was Journalisten überhaupt prinzipiell machen sollten, nämlich kritisch-analytisch an die Sache heranzugehen. Und das passiert, um jetzt nur von Österreich zu reden, insgesamt in den österreichischen Medien viel zu wenig, aus mehreren Gründen. Zum einen, weil der Platz in den Medien nicht ausreichend ist, aber zum anderen, weil die Medien eng verbunden sind mit den Sportverbänden. Das heißt, wenn man sieht, dass der Österreichische Skiverband und der Fußballverband, die größten Verbände in Österreich, intensiv verbunden sind mit ORF und Kronenzeitung, dann bedeutet das, dass hier nicht kritisch-analytisch berichtet wird, sondern dass Hofberichterstattung stattfindet. Und zu fordern ist, dass in den Medien eine kritisch analytische Begleitung des Sportbetrieb stattfindet, und das gibt es in Österreich tatsächlich nur in Ausnahmefällen. Und es ist geradezu erschütternd, wie etwa ORF und Kronenzeitung oder auch andere Zeitungen über den Sport berichten.

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