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Hendrik Schneider

Neue Singles und neues Video von Bilderbuch: Chorsingen ist das neue Autotune

Nach eineinhalb Jahren Pause sind Bilderbuch mit zwei sommerlichen Singles, „Nahuel Huapi“ und „Daydrinking“, zurück, die zum Teil während ihrer Argentinien-Reise im Vorjahr entstanden sind. Im Interview verraten sie mehr über den Trip und ihren neuen, tiefenentspannten Sound.

Von Daniela Derntl

„Zwölf-Saiten-Akustikgitarre, Mundharmonika und sehr dreamy. Es geht in die Weite, in die weite Prärie“, so beschreiben Bilderbuch ihre zwei neuen Singles „Nahuel Huapi“ und „Daydrinking“. Verglichen mit ihrer letzten, im Herbst 2019 erschienenen Single „Kitsch“, die noch in grellen Farben – und typisch Bilderbuch - mit Autotune aufgezuckert war, klingen die zwei neuen, sehr sommerlich leichten Songs nach naturverbundener Romantik und geerdeter Geborgenheit, die, ganz ohne Instagram-Filter und Schnickschnack, niemandem etwas beweisen muss. Es geht um echte Gefühle und echtes Handwerk, im Fahrwasser von Classic-Rock-Ikonen wie Tom Petty, einem der vielen Hausheiligen der Band. Die vier Wochen Argentinien am Ufer des idyllischen Nahuel-Huapi-Sees im gleichnamigen Nationalpark in Patagonien haben die Band, umringt von Wasser, Bergen und Natur, zurück an ihre Wurzeln gebracht, wie uns Sänger Maurice Ernst und Gitarrist Michael Krammer im Interview erzählten.

Daniela Derntl: Wie ist es euch im letzten Jahr gegangen?

Michael Krammer: Es war auf jeden Fall das Jahr des Musikproduzierens. Wir haben die Zeit genutzt und uns an verschiedene Orte begeben, um das zu finden, was wir suchen. Vor einem Jahr, kurz vor Corona und kurz bevor der Lockdown kam und wir noch nichts davon wussten, waren wir einen Monat lang in Argentinien und haben dort – unter anderem – den neuen Song „Nahuel Huapi“ geschrieben.

Wie war eure Reise nach Argentinien? Welche Eindrücke habt ihr dort gesammelt und in dem neuen Song verarbeitet?

Maurice Ernst: Wir existieren jetzt echt schon lange als Band, das ist uns wieder einmal aufgefallen. Und wenn man uns die Frage stellt, wie oft oder wann wir eigentlich das letzte Mal zu viert unterwegs waren – ohne Babysitter, ohne Management, ohne Techniker oder whatever –, ist das echt lange her. Diese Frage ist dann wieder aufgepoppt, dass wir wieder einmal was machen sollten miteinander. Nicht nur ein Wochenende in Italien mit dem Manager, sondern einen wirklichen Trip. Nur wir vier, einen Monat, mit Instrumenten, irgendwo, auf uns gestellt. Das komplette Risiko, das man sich nicht mehr zutraut über die Jahre. Wir haben uns dann Akustikgitarren gekauft und wollten im Winter wo hin, wo es wärmer ist, aber auch gleichzeitig, von der Natur her, ähnlich zu den österreichischen Alpen ist, und dann lag Patagonien auf der Hand. Warum auch nicht? Dann haben wir uns dort eine Blockhütte am Nahuel-Huapi-See – nachdem jetzt auch die neue Single benannt ist – gemietet und haben einfach Lieder geschrieben. Wie eine Band aus den siebziger Jahren haben wir einfach gemeinsam Zeit verbracht.

Ich stelle mir das total idyllisch und romantisch vor. Mit einem Lagerfeuer vor der Blockhütte am See, gesäumt von Bergen und Wald.

Krammer: Genau. Mit einem Steg auf den See. Die große Weite vor uns. Das macht dann auch was mit den Songs, die man schreibt, und mit den Ideen und Gedanken, die man hat, wenn man einfach wochenlang gefühlt unendlich weit sieht.

Ernst: Die Zeit steht dann auch für einen, der hinein geschubst wurde in so eine Welt.

Nahuel Huapi Nationalpark in Patagonien. Viele kleine Seen, viel Grün, inmitten von Bergen

Simon Welebil

Nahuel-Huapi-Nationalpark in Argentinien

Ihr seid sehr große Tom-Petty-Fans, wie man auch in der neuen Single „Nahuel Huapi“ hören kann. Inwiefern hat er euch beeinflusst?

Ernst: Tom Petty haben wir viel gehört. Diese Art von Rock war schon eine Inspiration für uns die letzten eineinhalb Jahre, also wie man Akustikgitarren in so ein größeres Rockgewand packen kann, und da war Tom Petty ein extrem guter Ideenvater.

Krammer: Tom Petty hat sich für mich persönlich in „Nahuel Huapi“ eingeschlichen. Wir haben sogar eine Spur im Song nach ihm benannt. Die Rhythmus-Achtel-Gitarre heißt bei uns Tom-Petty-Gitarre.

Es schwingt auch ein bisschen Fleetwood Mac in dem Song mit. Wer waren die anderen musikalischen Paten?

Ernst: Ja, das gibt’s auch. Der Bezug auf die Band stand wieder im Vordergrund. Hip-Hop ist für uns seit drei Jahren attitüdenmäßig am Sterben, und durch Corona macht der inhaltsleere Exzess-Hip-Hop gar keinen Sinn mehr. Uns hat es wieder mehr in die Romantik getrieben, und auch in das Bandleben. Wir haben uns auch wieder an unsere Ursprünge erinnert, und klar hört man dann Fleetwood Mac und Tom Petty. Man denkt sich: „Hey, das ist wieder erlaubt! Man kann es wieder machen, es fühlt sich gut an“, und dann macht man so etwas.

Euer Sound ist wieder sehr geerdet. Autotune ist jetzt kein Thema mehr?

Ernst: Ich wundere mich selbst. Ich habe letztens darüber nachgedacht, ob ich irgendwo bei den neuen Liedern Autotune verwendet habe, und ich habe nirgends einen verwendet. Wir singen viel im Chor!

Krammer: Genau! Das ist der neue Autotune!

Sprechen wir noch ein bisschen über „Nahuel Huapi“. Maurice, was hat dich gereizt, diesen doch ungewöhnlichen Namen in einem Song zu verwenden? Oder hat sich das einfach durch die Entstehung des Songs am Nahuel Huapi ergeben?

Ernst: Nein, gar nicht. Wörter sind für mich immer visuell, und in dem Fall habe ich mir den Namen „Nahuel Huapi“ geschwungen in Füllfederschrift vorgestellt. Das hat mich schon mal attracted, weil es so etwas Romantisches hat. Die Schrift, die ich mir vorstelle, kombiniert mit der Sehnsucht an einen Ort, der so naturverbunden und naturbelassen ist. Das hat super reingepasst, und auf einmal ist es über meine Lippen gekommen. Man jammt ja das, man schreibt ja das nicht wirklich. Man singt einen Refrain, und auf einmal ist das Wort da, und es macht ja auch Sinn. Denn es ist nichts Erfundenes, wir haben dort ja wirklich Zeit verbracht und verbinden etwas damit, was es für uns selber auch glaubwürdig macht.

Nahuel Huapi Nationalpark in Patagonien. Viele kleine Seen, viel Grün, inmitten von Bergen

Simon Welebil

Am Dienstag erscheint das Video zu „Nahuel Huapi“. Sieht man da dann Aufnahmen von eurer Reise?

Ernst: Wir haben Footage von diesem Trip auf unserem Handy, und vor allem Mike ist ein begabter Digicam-Profi, aber das werden wir erst später verjubeln, in dem Video noch nicht. Wir haben einfach eine riesige LED-Wand aufgestellt und haben dann Naturbilder auf diese LED-Wand gespielt.

Krammer: Das Video unterstreicht auf jeden Fall das Gefühl des Songs. Ich hatte schon immer ein sehr starkes Gefühl, was den Song betrifft. Vielleicht kennen das die Leute, wenn man etwas fast schon schmecken kann, weil die Erinnerung daran so stark ist. So ist dieser Song für mich.

Könnt ihr schon verraten, wann das neue Bilderbuch-Album kommt?

Krammer: Momentan arbeiten wir einfach an Songs, und es wird ganz sicher ein Album dabei rauskommen, nur wann es genau kommt, traue ich mich nicht sagen.

Ernst: In Corona-Zeiten ist es schwierig, große Pläne zu fassen. Wir haben schon ewig einen Albumtitel, Inhalte und Songideen. Es gibt ein Potpourri an Möglichkeiten. Aber die Corona-Zeit verlangt von einem, dass man in kleinen Schritten und Etappen denkt. Es tut gut, dass wir uns bei der Arbeit nicht von der Vision fertig machen lassen, weil wir schwer planen können, wann die Tour oder der nächste Auftritt ist. In dieser Zeit ist der Weg das Ziel, denn ein Ziel ist momentan nicht abzusehen, für keinen da draußen.

Ihr seid ja immer im Studio. Mit welchen Produzenten arbeitet ihr gerade – und wie klingt der aktuelle Bilderbuch-Sound? Gehen alle neuen Songs in die Richtung von „Nahuel Huapi“, also in Richtung Classic Rock?

Ernst: Ich glaube, diese Richtung wird bleiben. Wir haben auch versucht, in Deutschland Sachen zu produzieren, bei David Conen, der auch Seeed produziert und auch diesen Song mit produziert hat. Aber Corona macht es uns nicht einfach, und deshalb produzieren wir jetzt wieder relativ viel selbst. Wenn wir eine kreative Idee haben, Gitarren aufzunehmen, dann gehen wir einfach zu Marco Kleebauer und machen eine Gitarrenession, oder zu anderen Leuten, die wir schon an der Hand haben.

Neben „Nahuel Huapi“ gibt’s noch eine zweite, neue Single namens „Daydrinking“. Wie schaut denn das „Daydrinking“ bei Bilderbuch aus?

Ernst: Unter „Daydrinking“ kann man sich mehr vorstellen als je zuvor. Es ist nicht mehr etwas, was man im Urlaub erlebt, sondern es hat sich in den Alltag eingeschlichen, denn die Nacht ist verboten und sehr privat geworden. Jeder Tag ist gleich, und das Wochenende verwäscht sich mit den Montagen. Das ist für mich „Daydrinking“, und da war es dann auch logisch, dass wir das aus diesem Argentinien-Trip auch mitnehmen, denn da war „Daydrinking“ noch gefeiert, aber mittlerweile ist das ein Gefühl, das einfach stehen geblieben ist. Man merkt also, dass sich Corona inhaltlich dann doch in die Songs reinschleicht.

Und was sind eure Day-Drinks der Wahl?

Ernst: Im Sommer ist man da flexibler. Ich bin jetzt ein echter Wein-Mensch geworden, denn zu zweit ein Bier trinken fühlt sich nicht immer geil an. Das geht sich erst ab fünf Leuten im Raum aus.

Krammer: Wenn’s mich im Daydrinking-Finger juckt, greife ich eher auf etwas Herberes zurück. Etwas Erwachsenes, wie ein Gläschen Rum oder Ähnliches.

Worauf freut ihr euch besonders, wenn alles irgendwann wieder einigermaßen normal sein wird? Was fehlt euch am meisten?

Krammer: Dass wieder Sachen passieren, mit denen man nicht rechnet. Und natürlich Konzerte, weil wir erstens daran gewöhnt sind, und zweitens immer sehr, sehr gerne live gespielt haben. Das ist Teil unserer DNA.

Ernst: Mir fehlen die Gesichter, die man zufällig auf einer Tour oder auf einem Festival trifft. Das ist schon krass, denn das habe ich nie so aktiv gemerkt, während wir unterwegs waren. Uns gibt’s jetzt 16 Jahre, und wir haben noch nie so lange keinen Auftritt gespielt. Es ist auch nicht der Applaus oder das rein Performative. Natürlich ist es schade darum, aber was mir wirklich fehlt, weil es im Privaten auch nicht passiert, sind diese zufälligen Begegnungen, die Gesichter, der Austausch – wenn es auch nur für fünf Minuten ist. Dieses Kurz-an-fremden-Menschen-Anstreifen. Dieses Spiegeln geht mir wirklich ab. Das Leben ist ein einziger Spiegel, und irgendwie hat man nur noch zwei oder drei im Moment, und davon sieht man sich selber viel zu oft. Das ist irgendwie die Corona-Zeit.

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