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Digitale Nomaden in Griechenland

Salinia Stroux

Digitale Nomaden auf Kreta: Arbeiten unter der Sonne

Die griechische Regierung versucht, digitale Nomaden mit Steuervergünstigungen anzuziehen. Auf Kreta gibt es insbesondere nach dem Ausbruch der Corona-Krise bereits mehrere digitale Nomaden und auch Unternehmen, die Projekte für diese Arbeitergruppe anbieten.

Von Chrissi Wilkens

Katja Lihtenvalner sitzt auf dem Balkon ihres Zimmers in einem kleinen Hotel ein paar Kilometer außerhalb der Stadt Chania. Während sie einen Artikel schreibt, genießt sie den Blick auf den naheliegenden Strand und die strahlende Frühlingssonne. Die 37-jährige Journalistin aus Slowenien arbeitet seit mehr als 10 Jahren ortsunabhängig. In Deutschland, Ungarn, Österreich oder eben in Griechenland. Hier hat sie mehrere Jahre gelebt, die Sprache gelernt und einen Freundeskreis aufgebaut. Von überall aus arbeiten zu können, ist für sie sehr wichtig. “Ich kann wählen, wo ich bleibe, ich kann wählen, ob ich reisen möchte, ob ich woanders hingehen möchte. Mein Büro ist dort, wo ich gerade wohne, mein Büro ist auf der Straße, mein Büro ist unterwegs“, sagt Katja. Sie hat nur wenige Sachen bei sich: Ihren Computer, wenig Gewand, ein paar Bücher und eine App, um digital Bücher lesen zu können. „Einen 10 kg schweren Koffer und das war’s!“, betont sie.

Der Trend zum digitalen Nomadentum wird in der Corona-Zeit immer größer. Weltweit gibt es schätzungsweise etwa 5 Millionen digitale Nomaden, also Menschen, die Arbeiten und Reisen miteinander verbinden und keinen festen Wohnsitz haben. Experten zufolge könnte diese Zahl rasant steigen. Athen will ein Stück von Kuchen haben und damit die Wirtschaft, die durch die langjährige Schuldenkrise und die Corona-Krise angeschlagen ist, ankurbeln.

Digitale Nomaden in Griechenland

Salinia Stroux

Katja Lihtenvalner

Laut Schätzungen kann Griechenland von 100.000 Digital-Nomaden, die für sechs Monate bleiben, mit 1,6 Milliarden Euro profitieren. Das ist so viel, wie 2,5 Millionen Touristen mit einer Woche Aufenthalt nach Griechenland bringen.

Seit Januar ist Griechenland dynamisch in den globalen Wettkampf um die digitalen Nomaden eingestiegen. Diejenigen, die sich seit Jahresbeginn in Griechenland niederlassen, bekommen eine Steuervergünstigung von 50 Prozent für sieben Jahre. Dies gilt sowohl für Angestellte als auch für Selbstständige, solange sie nicht schon vorher in Griechenland steuerpflichtig waren oder einen bereits bestehenden Arbeitsplatz innehaben. Die Regierung bereitet auch ein Visum für digitale Nomaden vor. Ob dies genug ist, um eine große Anzahl an Menschen anzulocken, bleibt abzuwarten.

Katja ist seit November auf Kreta, seitdem Griechenland im Lockdown ist, um die Verbreitung des Coronavirus einzuschränken. Sie hat sich für diese Insel entschieden, unter anderem weil es zu diesem Zeitpunkt weniger Corona- Fälle gab als im restlichen Europa. Dies war auch der Grund, aus dem sich der 31-jährige Dawid Sobieski aus Polen mit seiner Frau entschlossen hat, nach Kreta zu kommen. Auch er ist seit Herbst in Chania. Sie leben in ein Apartment in einem ruhigen Stadtviertel.

Das Paar besitzt eine Videoproduktionsfirma und arbeitet seit vier Jahren ortsunabhängig. Die Pandemie hat ihren transnationalen Lebensstil beeinflusst. Während des ersten Lockdowns vor einem Jahr waren sie auf den Kanarischen Inseln – auch dort waren sie lokal stark in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Immerhin ist es nicht so schlimm wie in anderen Regionen, sagt er. „Viele unserer Freunde sitzen an Orten fest, die sie nicht verlassen konnten, oder sie werden in ihr Heimatland zurückgeschickt, oder sie sitzen am Flughafen fest, daher ist es für Nomaden sehr, sehr schwierig. Im Moment ist es ein bisschen einfacher, aber am Anfang war es verrückt. Wenn die Grenzen offen sind, sind wir frei, aber wenn sie geschlossen sind, das ist nicht angenehm. Es nimmt deinen Lebensstil weg”, sagt Dawid.

Digitale Nomaden in Griechenland

Chrissi Wilkens

Dawid Sobieski

Ein paar Kilometer weiter befindet sich Workhub, ein sogenannter „co-working space“, ein Gemeinschaftsbüro, das eine beliebte Anlaufstelle für digitale Nomaden ist. Efi Pouli und ihr Bruder haben es vergangenen Sommer eröffnet; es ist der einzige der Stadt. Die Wände sind in Farben gestrichen, die an die Landschaft Kretas erinnern: blau, orange, grün. Die 39-jährige Efi hat mehrere Jahre in England gelebt und beobachtet, wie stark sich der Trend hin zum ortsunabhängigen und flexiblen Arbeiten entwickelt.

Sie hatten sich schon vor dem Corona-Ausbruch entschlossen, diese Geschäftsidee in Chania umzusetzen. “Ich habe bemerkt, dass dieser Trend zur Fernarbeit schon vor langer Zeit existierte, viele Unternehmen im Ausland tun das. Sie schließen ihre Büros und lassen ihre Mitarbeiter*innen von zu Hause aus arbeiten. Der Coronavirus beschleunigt diese Entwicklung, weil wir sehen, dass immer mehr Menschen aus der Ferne arbeiten. Ich glaube, dieser Trend wird wachsen“, sagt Efi. Interesse an Kreta gibt es von digitalen Nomaden aus der ganzen Welt von Lateinamerika bis Asien, aber vor allem aus europäischen Ländern. Auch lokale Arbeiter benutzen derzeit das Büro, da Viele wegen des Lockdowns online arbeiten müssen.

Digitale Nomaden in Griechenland

Chrissi Wilkens

Efi Pouli

Efi begrüßt Anais Zech, eine junge Französin, die gekommen ist, um zu arbeiten. Sie setzt sich an einen der großen Schreibtische mit vielen Steckdosen an der Wand. Die 31-jährige Frau ist Managerin für digitales Marketing für ein US-Unternehmen und verantwortlich für den französischen Markt. Sie arbeitet erst seit einem Jahr aus der Ferne. Solche Gemeinschaftsbüros sind wichtig, damit man sich nicht isoliert fühlt, betont Anais. Sie ist jedoch skeptisch, was die Lebensweise von digitalen Nomaden angeht. "Ich denke, dass es oberflächlich sein kann, ein digitaler Nomade zu sein, wenn man einfach reist und Dinge in einem bestimmten Land genießt und nicht versucht, den Menschen vor Ort zu helfen. Ich glaube, digitale Nomaden gehen [oft] in billige Orte und versuchen nicht wirklich, Teil der [lokalen] Gemeinschaften zu sein. Sie gehen einfach dorthin, um zu genießen. Und ich denke, es ist wichtig, dass sie, wenn sie in ein neues Land gehen, wirklich versuchen, die Menschen, die Politik, die Geschichte des Landes und auch die Sprache zu verstehen”.

Digitale Nomaden in Griechenland

Chrissi Wilkens

Anais Zech

Haz Memon, ein Unternehmer aus Dubai, der selbst digitaler Nomade ist, hat das Projekt Greek Escape gegründet, das Möglichkeiten des Gemeinsam-Lebens und Arbeitens in luxuriösen Apartments in Chania anbietet. Er hat für sein Projekt Kreta ausgewählt, unter anderem wegen der guten Infrastruktur und der großen Auswahl an Freizeitaktivitäten. Das Interesse digitaler Nomaden aus der ganzen Welt für Kreta sei groß, betont er, insbesondere in der Altersgruppe von 25-50-Jährigen und reiche von Softwareentwickler*innen und Ingenieur*innen bis hin zu Schriftsteller*innen. Griechenland müsse sein Angebot erweitern und nicht mehr nur eine Touristendestination sein, findet der junge Unternehmer.

“Wenn es mehr Co-Working-Spaces, Co-Living-Spaces und im Allgemeinen eine bessere Infrastruktur für die Arbeit auch von zu Hause aus gibt, würde Griechenland auf diese Weise viel attraktiver. Dies ist definitiv ein staatlicher Schritt, der unternommen werden muss, aber auch regionale Zielverwaltungsunternehmen müssen diesen Schritt gehen, um auf ihren Websites nicht nur ein touristisches Ziel, sondern auch ein Arbeitsziel zu porträtieren“. Die lokalen Gemeinden rüsten sich. Der Bezirk Kreta hat bereits die erste griechische Website für „digitale Nomaden“ erstellt.

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