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Verschwörungstheorien: Das Millionengeschäft mit der Angst

Seit Beginn der Pandemie erreichen Verschwörungstheorien so viele Menschen wie nie zuvor. Hinter diesen oft bedrohlichen Falschinformationen steckt eine Industrie, die mittlerweile Millionenbeträge umsetzt. Das Geschäft mit der Angst boomt.

Von David Riegler

Egal ob WhatsApp, Facebook oder Telegram – wer soziale Medien nutzt, bekommt früher oder später irgendeine dubiose Kettennachricht mit Verschwörungstheorien zugeschickt. In meinem Fall ist es eine WhatsApp-Nachricht aus der Familiengruppe mit Links zu Webseiten, die von angeblichen Impfschäden berichten. Die Nachricht wurde von WhatsApp als „häufig geteilt“ markiert und beinhaltet 17 verschiedene Bedrohungsschlagzeilen wie: „Gesichtslähmung nach Impfung“ oder „41-Jährige nach Impfung tot umgefallen“. Am Ende der Nachricht gibt es jedoch Grund zur Erleichterung: Der letzte Link führt zu einem Webshop, bei dem man eine Chemikalie und ein Gerät zur Wasserionisierung kaufen kann, die laut Webseite genauso wirken wie die Impfung nur ohne die grausamen Nebenwirkungen, die in der Linkliste beschrieben werden.

Screenshot Verschwörungsnachricht

David Riegler

Ein Problem schaffen, um dann die Lösung zu verkaufen

Was in dieser Nachricht passiert, ist nicht nur das Geschwurbel verwirrter Verschwörungstheoretiker, sondern vielmehr ein gut durchdachtes Geschäftsmodell. Dabei wird gezielt mit der Verunsicherung von Menschen gearbeitet, sagt Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen: „Verschwörungstheorien leben immer davon, dass Angst erzeugt wird und dann ist es natürlich praktisch, wenn man Produkte anbieten kann, die man gleich gegen diese Angst verkaufen kann.“ Beispiele gibt es dafür unzählige, von Stickern, die gegen angeblich schädliche 5G-Strahlung helfen, bis zu teuren Elektrogeräten, die schlechte Energien abhalten sollen.

Doch es gibt längst auch modernere Methoden in der Szene, um Produkte zu verkaufen. Bekannte Personen wie Attila Hildmann sind regelrechte Influencer der Verschwörungsszene und preisen gezielt Produkte unter ihren Anhängern an. In Hildmanns Telegram-Gruppe, die über 100.000 Follower hat, werden nicht nur Hassbotschaften und Corona-Skepsis verbreitet, sondern auch Werbung für seinen veganen Nutella-Ersatz. Wie es sich für einen echten Influencer gehört, haben alle Telegram-Anhänger einen 5-Euro Gutschein für die erste Bestellung erhalten. Bei seinen öffentlichkeitswirksamen Auftritten, zum Beispiel im Gespräch mit dem Comedian Oliver Pocher, öffnet er sich gerne einen Energydrink aus seiner eigenen Produktreihe und trägt einen Pullover mit dem Logo des Getränks.

„Hier könnte Ihre Werbung stehen“

Doch nicht nur der Verkauf der Produkte bringt Geld, sondern auch die Werbung auf den Verschwörungswebseiten. Rund 235 Millionen US-Dollar werden jährlich auf Falschmeldungswebseiten durch Werbung generiert, lautet das Ergebnis einer Untersuchung des Global Desinformation Index. Tendenz seit der Pandemie steigend. In der Studie wurden nur englischsprachige Seiten untersucht, die Dunkelziffer ist also noch deutlich höher. Immer wieder geraten große Unternehmen in Kritik, weil sie Werbung auf Seiten schalten, die gezielt Falschinformationen verbreiten.

Wem das alles zu kompliziert ist: Der einfachste Weg mit Verschwörungen Geld zu verdienen, sind Spenden. Ein Beispiel aus Österreich ist Dr. Peer Eifler, ein Arzt aus Bad Aussee, der ein Berufsverbot bekommen hat, weil er Online-Atteste an Maskenverweigerer ausstellte. Daraufhin hat er kurzerhand eine Fundraising-Kampagne gestartet, bei der schon mehr als 40.000 Euro zusammengekommen sind. „Das sind oft Kleinspender die vielleicht 5 oder 20 Euro einzahlen, doch in der Menge kommt viel zusammen. Einfach 40.000 Euro, ohne, dass sie dafür irgendwas tun müssen, ist erheblich“, sagt Ulrike Schiesser.

Screenshot Fundraising Peer Eifler

David Riegler

Demos als Werbeveranstaltung

Spendenaufrufe gibt es nicht nur online, sondern auch immer öfters auf den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen: „Personen, die sich als Führungspersonen herauskristallisieren kriegen dort im wahrsten Sinne des Wortes eine Bühne geboten. Natürlich sind die Demos auch eine große Werbeveranstaltung“, sagt Ulrike Schiesser. Selbst die Reise zu den Demos wird zum Geschäft, weil einige Busanbieter mittlerweile gutes Geld damit machen, Busfahrten zur Demonstration zu verkaufen.

Viele verschiedene Gruppen und teilweise auch Einzelpersonen verdienen auf unterschiedlichste Weise an Verschwörungen und Falschinformationen. Wieviel Geld genau hinter der Industrie steckt, ist jedoch schwer zu fassen. „In diesem Bereich basiert ganz viel auf dem sogenannten Energieausgleich. Was nobel klingt, heißt einfach, dass man keine Rechnung bekommt. Viel passiert in Schwarzarbeit“, erklärt Ulrike Schiesser. Vieles wird auch über schwer nachvollziehbare Kryptowährungen oder sogenannte „Schenkungen“ gelöst, um Steuern zu vermeiden.

Diese Branche einzuschätzen ist unmöglich, doch immer wieder werden Fälle bekannt, die zeigen, dass es hier auch um Millionenbeträge geht. Ein Beispiel dafür sind die extremistischen und konspirativen Gruppen aus den USA, die Anfang des Jahres das Kapitol gestürmt haben. Laut Expert*innen haben diese Gruppen im letzten Jahr rund 1,5 Millionen US-Dollar eingenommen, ein Großteil davon aus Spenden, berichtet der Guardian.

Wo es gefährlich wird

Jeder Mensch kann mit dem eigenen Geld natürlich machen was er will, doch laut Ulrike Schiesser gibt es zwei Punkte, wo die Geschäftemacherei für einzelne zum Problem wird. Zum einen, wenn es darum geht, sich schwer zu verschulden, denn einige esoterische Geräte können zehntausende Euro kosten und versprechen dafür eine massive Verbesserung der Lebensqualität. Manche Menschen nehmen sogar einen Kredit auf, weil sie hoffen, das Gerät würde ihren Leidensdruck mindern oder sie schützen.

Der zweite Punkt, wo es lebensgefährlich wird ist, wenn Menschen eine wichtige medizinische Behandlung verweigern, weil ihnen eingeredet wird, dass ein alternatives Produkt aus der Esoterik oder Pseudowissenschaft viel besser gegen eine Krankheit hilft, beispielsweise bei einer Krebsdiagnose. Auch Tinkturen, die gegen eine Covid-Infektion schützen sollen, boomen gerade und geben den Menschen den falschen Eindruck, mit dem Produkt vor der Krankheit geschützt zu sein.

Überzeugung oder nur ein gutes Geschäft?

Doch geht es hier wirklich nur ums Geld? Muss man nicht auch irgendwo selbst an die Wirkung glauben? Trotz der zahlreichen Einnahmequellen behauptet die Verschwörungsszene, nicht aus finanziellem Interesse zu handeln, sondern für größere Ziele, wie zum Beispiel die Aufdeckung der vermeintlichen Wahrheit.

Ob die Menschen, die Verschwörungstheorien verbreiten, auch selbst daran glauben oder nur ein Geschäft machen wollen, ist schwer zu beurteilen, doch laut Ulrike Schiesser gibt es vor allem auf der Seite der Konsument*innen sehr viele Menschen, die aus Überzeugung an die Ideologien glauben: „Die Mehrheit macht es sozusagen ehrenamtlich, sie tun es nicht, um Geld damit zu verdienen. Aber speziell Personen, die viel Content produzieren und das Ganze auch immer wieder anfeuern, haben absolut finanzielle Interessen.“ Es sind genau diese finanziellen Interessen, die neben den politischen Interessen, der wohl wichtigste Motor hinter den zahlreichen Verschwörungstheorien und Falschinformationen sind, die jeden Tag verbreitet werden und letztendlich auf WhatsApp in meiner Familiengruppe landen.

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