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Wo beginnt sexuelle Belästigung? Sara Hassan im Interview

Wenn es um sexuelle Belästigung geht, kommt in den Medien immer das Foto vom Frauenhintern mit männlicher Hand drauf. Diese Art von Übergriff gibt es auch, aber sexualisierte Formen von Machtmissbrauch beginnen oft schon viel früher. Die Autorin, Podcasterin, Moderatorin und Anti-Harassment-Expertin Sara Hassan über Warnsignale und Gegenstrategien.

Von Claudia Unterweger & Christoph Sepin

Buchcover zu "Grauzonen gibt es nicht" von Sara Hassan und Juliette Sanchez-Lambert

ÖGB Verlag

„Grauzonen gibt es nicht“ von Sara Hassan und Juliette Sanchez-Lambert ist im ÖGB Verlag erschienen. Der ÖGB-Verlag stellt das Buch hier als kostenlose PDF-Version zur Verfügung.

In GB sorgen dieser Tage wieder #metoo-Schlagzeilen für Aufregung: die Londoner Polizei steht unter Druck wegen 600 Beschwerden gegen sie aufgrund von sexueller Belästigung. In Österreich klagt ein prominenter Medienmanager jetzt eine ehemalige Mitarbeiterin, die ihm sexuelle Übergriffe vorgeworfen hat. Das sind nur zwei aktuelle Fälle aus der Kategorie #metoo.

Seit 2017 betroffene Frauen diesen Hashtag im Zuge des Skandals rund um Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein verbreitet haben, ist sexuelle Belästigung auch in der Öffentlichkeit Thema. Doch oft bleiben Betroffene mit einem Gefühl von Machtlosigkeit und Scham zurück.

Doch wo fängt sexuelle Belästigung an? Wird genug darüber geredet? Was braucht es, um sich davor schützen zu können? Zu all diesen Fragen ist Sara Hassan bei uns via Skype zu Gast. Sie ist Podcasterin, Moderatorin, Anti-Harassment-Expertin und hat gemeinsam mit Juliette Sanchez-Lambert das Buch „Grauzonen gibt es nicht. Muster sexueller Belästigung mit dem Red Flag System erkennen“ geschrieben.

Radio FM4: International hört man viel von der #metoo-Bewegung. Was hat die #metoo-Bewegung in Österreich verändert? Warum hört man jetzt kaum noch was über das Thema sexuelle Belästigung?

Ich denke, dass man gar nicht so wenig darüber hört. Tatsächlich ist es in Österreich vergleichsweise so, dass nicht viele Fälle publik geworden sind. Immer wieder, wie aktuell, tun sie das aber schon. Jetzt z.B. ist von einem Wiener Medienmacher die Rede, gegen den ein Prozess läuft. Ich denke, dass immer wieder, wenn solche Fälle publik gemacht werden, da ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit herrscht - und dann sehen viele Betroffene, wie wird damit umgegangen durch Menschen, die in Machtpositionen sind, in der Legislative usw. Und das motiviert dann entweder Menschen ebenfalls in die Öffentlichkeit zu treten, solche Fälle anzuklagen, oder - wenn diese Fälle sehr demotivierend ausgehen - z.B. wenn sie bagatellisiert werden.

Wenn Betroffenen nicht geglaubt wird, oder weil Menschen, die ihre Macht missbrauchen, in Schutz genommen werden, dann ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass es andere Betroffene gibt, die ebenfalls mit ihren Fällen an die Öffentlichkeit gehen. Darum würde ich sagen, dass überall dort, wo nicht viele Fälle publik werden, ist das kein Indikator dafür, dass sie dort nicht sind, sondern dass es eine sehr ausgeprägte Schweigekultur gibt. Das wäre an und für sich schon eine „Red Flag“ für mich, ein Anzeichen dafür, dass da etwas absolut nicht in Ordnung ist.

Sexuelle Belästigung passiert häufig am Arbeitsplatz, auf der Uni, beim Arzt, in den Öffis: In Zeiten von Social Distancing: Ist derzeit das Thema weniger akut? Oder hat sich die Problematik eher ins Netz verlagert?

Ja, ich glaub die Problematik hat sich nicht nur ins Netz verlagert, sondern ist allgegenwärtig, so wie immer, nur ein bisschen schwerer auszumachen und zu sehen. Tatsächlich ist es ja so, dass es bei sexueller Belästigung eigentlich nie um Sex geht, und sehr wenig darum, Menschen berühren zu können, sondern ganz viel um Macht, um Kontrolle, Ausnutzen von Hierarchien usw. Und das geht natürlich auch in Zeiten von Social Distancing ausgezeichnet, unter den Bedingungen des Homeoffice insbesondere, weil da sind Menschen isoliert, da gibt’s ein hohes Maß an Kontrolle. Z.B. können Arbeitgeber*innen verlangen, dass sie ihre Arbeitnehmer*innen ständig sehen durch die Kamera am Computer. Es gibt sehr wenig Möglichkeiten, sich auszutauschen mit anderen Kolleg*innen, um vielleicht auf machtmissbräuchliches Verhalten hinzuweisen.
Und die Grenzen zwischen dem privaten und dem professionellen Leben sind defacto aufgehoben. Also das sind alles Voraussetzungen, unter denen ich davon ausgehe, dass machtmissbräuchliche Dynamiken sehr leicht greifen können, weil es einfach der optimale Nährboden ist. Es ist ein hohes Maß an Unsichtbarkeit, Isolation, Menschen, die betroffen sind, könnnen nur schwer sich austauschen und es an eine verantwortliche Stelle bringen.
Und es gibt wenige rechtliche Rahmenbedingungen, die einen Schutz gewährleisten würden. Und damit können Täter*innen-Logiken, die behaupten ‚So muss das sein! So gehört das! Für wen das nicht passt, das ist deren Problem!‘, können sehr leicht greifen. Also würde ich tatsächlich davon ausgehen, dass je mehr Isolation, desto mehr können solche Dynamiken angestoßen werden und greifen.

Du hast fürs Europaparlament in Brüssel gearbeitet, dort viele Workshops zum Thema sexuelle Belästigung gegeben und auch ein Netzwerk mitgegründet: Periodbrussels.eu, das ist eine Plattform, an die sich Betroffene wenden können, die sich austauschen wollen. Was war der Auslöser für euer Engagement?

Ja, genau. Ich habe 2015 angefangen, im Europaparlament zu arbeiten. Und da gab es gleich ganz zu Beginn einen Moment, wo einige Kolleginnen und ich in und um die Institutionen herum wirklich so eine Masse an Übergriffen erlebt haben. Und sie sind einfach mit so einer Selbstverständlichkeit, mit so einer Nonchalance ausgeübt worden, dass es uns ziemlich schockiert hat und wir gefunden haben, dass das alles andere als normal ist. Und zu dem Zeitpunkt haben wir dann beschlossen, dass wir dagegen etwas unternehmen wollen, dass wir uns dagegen organisieren wollen und haben kurzerhand dieses Netzwerk gegründet, wo uns innerhalb kürzester Zeit wirklich internationale Feministinnen die Bude eingerannt haben. Und dort haben wir begonnen, Strategien zu erproben und auszutauschen gegen Belästigung, gegen Machtmissbrauch. Sehr schnell haben wir auch sehr viele Fälle gehört und sind draufgekommen, dass die alle gewissen Mustern folgen. Und dann haben wir uns gedacht, wenn es quasi immer überall die gleichen Stufen - Eskalationsstufen nennen wir das - gibt, wäre es dann nicht gut zu wissen, wie das Ganze beginnt, so dass wir ein Wissen darum haben, wie Machtmissbrauch eigentlich aufgebaut ist und wir uns dann gegebenenfalls frühzeitig davon distanzieren können oder Strategien entwickeln können?

Das war dann die Idee für „It’s not that grey“. Das war der englischsprachige aktivistische Guide, auf dem „Grauzonen gibt es nicht“, das jetzt als Buch herausgekommen ist, aufbaut. Und darin systematisieren wir eben diese Momente von Machtmissbrauch, die wir davor in der Form einfach nicht gekannt haben. Also es werden da klassische Techniken von Täter*innen aufgeschrieben, festgehalten. Es werden unsere eigenen Reaktionen als Betroffene, als Indikatoren gesehen, um herauszufinden, dass Situationen einfach schon lange nicht mehr in Ordnung sind, sondern eine machtmissbräuchliche Dynamik annehmen.

Es wird auch das Umfeld in die Rechnung aufgenommen, wo wir uns anschauen ‚Okay, wie schauen da Hierarchien/ Abhängigkeitsverhältnisse aus und wie verhält sich der soziale Raum, wie verhalten sich diese Bystander*innen? Sind sie z.B. gewillt, Täter*innen in Schutz zu nehmen oder sind sie auf Seiten der Betroffenen?‘ All diese Faktoren machen machen Machtmissbrauch aus. Und das nennen wir das „Red Flag System“. Und das ist ein Früherkennungssystem, um machtmissbräuchliche Momente zu erkennen und dann gegebenenfalls etwas dagegen unternehmen zu können.

Du hast gerade die Red Flags angesprochen. Kannst du da ein bisschen Kontext dazu geben oder erklären, was diese Red Flags genau sind?

Also Red Flags sind im Grunde einfach Warnsignale, die anzeigen, dass eine Dynamik bereits in den Bereich von Machtmissbrauch geht, also schon nicht mehr normal ist. Also es gibt einfach so diese klassische Frage: Von wegen ist das noch ein Flirt oder ist das schon ein Übergriff? Man könnte es halt unmöglich herausfinden ist oft so diese Ausrede, die seit #MeToo immer wieder geäußert wird. Tatsächlich, sobald man diese Red Flags mal kennt und weiß, wohin die führen und weiß, wohin sich die entwickeln, ist diese Grauzone absolut nicht so grau.

Im Moment, wo einfach Macht da ist, wo es eine Hierarchie gibt, wo es ein Abhängigkeitsverhältnis gibt, da ist das einfach kein Flirt mehr.
Es gibt viele Techniken, die wir da aufschlüsseln. Zum Beispiel wenn Personen auf ein Podest gestellt werden, nur um dann von dieser seiner Position wieder hinunter geworfen zu werden. Das ist eine ganz gängige Technik, die Täter*innen einsetzen, um Betroffene zu isolieren und schnell emotional abhängig zu machen, um sie dann manipulieren zu können. Und genau das ist quasi so die Dynamik von Machtmissbrauch, Kontrolle, Manipulation, Ausbeutung. Und ja, genauso funktioniert das mit diesem Modell der Eskalationsstufen haben wir das mal systematisiert, sodass man sehen kann ‚Aha, das kommt nicht aus dem Nichts.‘ Sowas passiert nicht im Vakuum, wie das oftmals dargestellt wird. Plötzlich kam ein Übergriff oder so, sondern es baut sich langsam auf. Es gibt Merkmale, anhand derer man ablesen kann, was als nächstes passieren wird und dementsprechend könnte man dann eben auf verschiedenen Ebenen etwas tun. Also Menschen in Machtpositionen/Institutionen können sich dementsprechend verhalten, wenn sie diese Warnsignale richtig lesen können.

Sara, du hast doch einige dieser Red Flags und Erfahrungsberichte zugeschickt bekommen, die du jetzt teilen kannst, oder?

Ja, genau. Ich habe über Instagram dazu aufgerufen und Twitter, mir doch ein paar Red Flags, also Warnsignale zu schicken. Und da habe ich ein paar ganz eindeutige Fälle zugeschickt bekommen. Z.B. es sagt einfach schon mal sehr viel, wenn andere sagen, ‚er sei manchmal ein bissl daneben, aber eigentlich eh vor allem nett.‘ Das ist so der absolute Klassiker. Wir nennen das im Buch „Das Good Guys Syndrom“ oder „der nette Kerl Syndrom“, bei dem andere Leute Täter*innen wegen ihrem guten Image schützen. Also z.B. mögen da andere einfach diese Person, weil sie in ihren Augen ganz tolle Sachen macht, großartige Filmemacher*in ist, wichtige Politik macht, super Pfadfinderführer ist oder was auch immer, weil die eben so großartig ist. Die Person wird für ihr problematisches Verhalten nicht nur entschuldigt, sondern auch verleugnet, wenn es an sie herangetragen wird. Und so macht sich das soziale Umfeld zum Komplizen. Aber nicht nur das, es macht es auch deutlich schwieriger, gegen dieses Image als Betroffene dann quasi einen Case aufzubauen und ins Treffen zu führen, dass es tatsächlich nicht so ein toller Typ ist, sondern dass diese Person zu sehr problematischem, machtmissbräuchlichen Verhalten in der Lage ist und nicht nur in der Lage ist, sondern auch ganz effektiv tut. Und das hab ich vorher gemeint, als ich gemeint habe, das soziale Umfeld muss zur Verantwortung gezogen werden.

Aber ich hab da auch noch eine andere Story, die auch sehr in diese Kerbe schlägt. Also da hat mir eine Userin geschrieben, ich hab eine Story, die im Nachhinein nur so strotzt vor Red Flags: In der Uni hatten eine Freundin und ich so einen Lehrveranstaltungsleiter, der klassisch Schritt für Schritt seine Grenzen ausgelotet hat. Irgendwann kam dann mal eine E-Mail über den Uni Mail-Server so komplett unashamed mit einem Kommentar über ihre Sexual Aura. Für ihn easy zu verwischen war das alles auch noch dadurch, dass er generell von allen als kumpelhafter Lehrertyp gesehen wurde. Also so offenbar. Der ist so witzig und benotet voll fair und dadurch, dass er oft abends in dem Lokal war, wo sie gekellnert hat. Also es war easy für ihn, das Private in den professionellen Kontext zu ziehen und sie dann auch noch zu beschuldigen, sie würde Sachen falsch verstehen. Also auch hier ist es ganz klar einfach dieses „good guys Syndrom“. Der kumpelhafte Lehrertyp wird von allen als netter Typ, der eigentlich mehr wie die Studis selbst ist als eine eine Lehrer*innenfigur gesehen. Damit wird eine Hierarchie verschleiert. Damit wird das Abhängigkeitsverhältnis verschleiert.

Die Tatsache, dass er in einer Machtposition ist und er begibt sich ganz eindeutig in ihren privaten Raum, verwischt hier die Grenzen zwischen Privatem und Beruflichem. Und wenn es dann zu unter Anführungszeichen Missverständnissen, also eine Abwehr von ihr gibt, wo sie eben so lese ich das da raus sich entzogen hat und angedeutet hat, dass sie das nicht will, wird plötzlich sie beschuldigt, ganz klassisch wieder victim blaming betrieben und so. Hier finde ich, sieht man sehr schön, wie aus unterschiedlichen Kontexten sich diese Dynamik zusammensetzt.

Also es gibt die anderen Leute, die dazu beitragen, dass dieses Image aufrechterhalten wird. Es werden die Grenzen von Beruflichem und Privatem ganz bewusst verschoben und verwischt und die Person tut so, als wär sie überhaupt in keiner Machtposition, sondern es wäre das eben wirklich nur ein netter Flirt. Das ist aber ganz eindeutig nicht. Und wenn man einmal über diese Red Flags Bescheid weiß, dann ist das auch „It cannot be unseen“, also du kannst das dann nicht mehr rückgängig machen, sondern siehst sie plötzlich überall.

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