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Hengameh Yaghoobifarah

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Hengameh Yaghoobifarahs starkes Romandebüt „Ministerium der Träume“

Nasrin ist eine lesbische Türsteherin, eine trauernde Schwester, eine überforderte Tante und Überlebende von sexuellem Missbrauch. In Hengameh Yaghoobifarahs Debüt „Ministerium der Träume“ erzählt sie von einer Flucht nach Deutschland, rechtsradikaler Gewalt im Deutschland der 1990er Jahre und den Albträumen, die sie nachts heimsuchen.

von Michaela Pichler

Hengameh Yaghoobifarah ist eine nicht-binäre Autor*in und Journalist*in. Letztes Jahr hat Yaghoobifarah nach der Ermordung an George Floyd und im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung eine satirische TAZ-Kolumne veröffentlicht. „All cops are berufsunfähig“ lautet der Titel - darin denkt Yaghoobifarah über die Abschaffung der Polizei in Deutschland nach und wo Polizist*innen nach dieser landen würden. Yaghoobifarah findet, die Mülldeponie wäre ein geeigneter Ort für das „Berufsauslaufmodell“. Das löst in Deutschland eine große Debatte aus. Deutschlands Innenminister Horst Seehofer hat daraufhin mit einer Strafanzeige wegen Volksverhetzung gedroht. Zur Anzeige kam es aber nicht.

Vor kurzem hat Hengameh Yaghoobifarah einen Debütroman veröffentlicht: Auch in „Ministerium der Träume“ kommt die deutsche Polizei gleich mehrmals vor. Und bringt keine guten Nachrichten mit.

Hengameh Yaghoobifarah ist nicht-binär und benutzt im Deutschen deshalb keine Pronomen.

Tod, Trauer und Träume

Nasrin lebt in Berlin, ist Mitte 40, lesbisch und arbeitet als Türsteherin in einer queeren Bar. Als die Polizei an ihrer Tür klopft, wird Nasrin aus ihrem Alltag gerissen. Ihre jüngere Schwester Nushin wurde tot in einem verbrannten Auto aufgefunden. Die Polizei vermutet einen Unfall, Nasrin glaubt zuerst an Suizid. Oder war es sogar Mord? Während die Protagonistin mit ihrem Verlust erst einmal klarkommen muss, übernimmt sie die Fürsorge für ihre Teenager-Nichte Pavrin, die mit Nushins Tod ihre Mutter verloren hat. Zwischen Wäschestapeln und Elternabenden sorgt das bei Nasrin vor allem für Überforderung. Wäre das nicht schon genug tägliche Herausforderung, löst die Trauer bei Nasrin auch ein Erinnern aus: An die Flucht als Kleinkind, gemeinsam mit ihrer Schwester und Mutter aus dem Iran; an ein Ankommen im Empathie-kalten Deutschland im Flüchtlingsheim.

Dieser Sommer hatte uns gelehrt, dass Deutschland selbst bei einer rekordverdächtigen Hitze die Kälte nicht verlernte, dass grelle Sonnenstrahlen sich nicht immer wie innige Küsse auf der Haut anfühlten und dass alle auch dann nur über das Wetter redeten, wenn es eigentlich um das Klima gehen sollte.

Ministerium der Träume - Yaghoobifarah

Blumenbar Verlag

Der Debütroman „Ministerium der Träume“ von Hengameh Yaghoobifarah ist im Blumenbar Verlag erschienen. Bereits 2019 hat Yaghoobifarah gemeinsam mit Fatma Aydemir den Sammelband „Eure Heimat ist unser Albtraum“ herausgegeben, in dem Autor*innen wie Margarete Stokowski, Max Czollek, Mithu Sanyal und viele mehr zu Wort kommen.

Das „Ministerium der Träume“ ist eigentlich ein Archiv für die Albträume der Protagonistin. Denn nachts träumt Nasrin von ihrem toten Vater, der vom Regime in Teheran hingerichtet wurde. Oder von dem rechtsradikalen Sexualstraftäter, der sie als zwölfjähriges Mädchen vergewaltigt hat. Auch die verstorbene Schwester taucht nachts auf, während tagsüber sowieso kein Vergessen möglich ist.

Die Sache mit der Trauer ist: Du fühlst dich scheiße, und das geht erst mal nicht vorbei. Was kickt, ist Langeweile wegen Depressionen. Zu Hause passiert einfach nichts, ich bleibe nur auf meinem eigenen Film hängen, wie ein Alptraum ohne Wecker, aber halt auch ohne Schlaf.

Rechtsextremer Terror als täglicher Begleiter

Neben all den dunklen Themen im Roman zieht sich rechtsradikale Gewalt wie ein roter Faden durch die Geschichte. Neonazis bedrohen Nasrin und ihren Freundeskreis in der Kindheit in Lübeck, während sie eigentlich nur ein bisschen Spaß auf einem Jahrmarkt haben wollten. Nach der Wende im Deutschland der 1990er Jahre versammeln sich hunderte Rechte in Kleinstädten, tätigen rassistische Übergriffe, werfen Molotowcocktails - Flüchtlingsheime stehen in Flammen.

Nachdem bei einem Anschlag in Mölln drei Leute ums Leben kamen, erreichte die Düsterheit auch bei uns, 30 Kilometer weiter, eine neue Dimension. Die Stimmung war gekippt.

Alltagsrassismus und rechte Gewalt kennt auch Hengameh Yaghoobifarah. Yaghoobifarah wurde 1991 in Kiel geboren und hat Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik studiert, als Journalist*in und Autor*in schreibt Yaghoobifarah für das Missy Magazin oder die TAZ über Antirassismus, Feminismus und Queerness. Im Podcast „Auf eine Tüte“ spricht Yaghoobifarah mit ihren Gästen aus der deutschsprachigen Popkulturlandschaft über Persönliches wie Politisches.

Vor zwei Jahren veröffentlichte Yaghoobifarah gemeinsam mit Fatma Aydemir „Eure Heimat ist unser Albtraum“. Ein Sammelband mit Beiträgen von 14 Autor*innen, die von Perspektiven und Lebensrealitäten in einer rassistischen und antisemitischen Gesellschaft erzählen. Mit der inhaltlichen Ausrichtung und als Kind iranischer Eltern wurde Yaghoobifarah schon oft zur Zielscheibe rechter Trolle, Hasskommentare und sogar Morddrohungen sind nichts neues für die Autor*in. Yaghoobifarah musste deshalb auch schon den Wohnort wechseln, zu Lesungen gibt es Personenschutz als Begleitung. Was in „Ministerium der Träume“ als Fiktion erzählt wird, ist für Personen mit Migrationshintergrund und People of Color harte Realität.

Ein queerer, antirassistischer Popkultur-Krimi

Teilweise als Kriminalgeschichte verpackt, spiegelt das Debüt von Hengameh Yaghoobifarah queere Lebensrealitäten und das migrantische Aufwachsen in der deutschen Mehrheitsgesellschaft wider. Zwischen den Zeilen steckt auch jede Menge gute Musik. Wenn Nasrin zum Beispiel Gigi D’Agostinos „L’Amour Toujours“ in den 90er Jahren entdeckt und für vier kostbare Minuten die kalte Welt doch ein bisschen wärmer wird. Musik gibt es auch in Form von Zitaten aus Popsongs von Robyn, Prince oder Frank Ocean, mit denen die einzelnen Kapitel unterteilt sind und die einen popkulturellen Rahmen spannen. Die Sprache ist jung, voller Anglizismen und oft pointiert. Damit ist „Ministerium der Träume“ ein Roman, der auch nach der letzten Seite noch nachhallt.

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