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The Mall in London dekoriert mit vielen GB-Flaggen

APA/AFP/Glyn KIRK

ROBERT ROTIFER

Hissen müssen!

Die britische Regierung will künftig einen Union Jack von jedem öffentlichen Gebäude flattern sehen. Und noch ein paar nukleare Sprengköpfe dazu. Ein Update zu den neuesten Trends in der Welt des britischen Humors.

Eine Kolumne von Robert Rotifer

Ich hab mich ja immer bemüht, nicht die Art von Kolumnenschreiber zu sein, der aus seinen Kindern Kapital schlägt. Gut also, dass sie schon erwachsen sind.

Als sie das noch nicht waren, war das hier jedenfalls einer ihrer liebsten Youtube-Clips: Eddie Izzard via Lego über die Macht der Flagge des britischen Empire. „That’s the rules... that I’ve... just... made up“ war das bei jeder Gelegenheit zitierte, geflügelte Wort daraus.

Man kann von diesem Sketch tatsächlich lernen, wie Kolonialismus funktioniert.

Ihr wendet da vielleicht ein, die Darstellung wäre ziemlich vereinfacht, und es stimmt schon, der Teil, wo man hunderte Menschen niederknallt und sich bis heute nicht dafür entschuldigt, fehlt in Eddie Izzards Kolonialismuserklärung, aber im Großen und Ganzen trifft er den Kern der Sache: „No flag, no country. Can’t have one.“

Daran musste ich mich erinnern, als Oliver Dowden, der britische Minister für Digitales, Kultur und Sport, diese Woche ein neues Gesetz ankündigte, wonach öffentliche Gebäude ab dem Sommer täglich den Union Jack hissen werden müssen.

Schriebe ich diesen Artikel nun im Vereinigten Königinnenreich, kämen längst Schwadronen eifriger Pedant*innen herangeschwirrt, um mir zu erklären, dass die Fahne eigentlich „Union Flag“ und nicht „Jack“ heiße, wenn sie nicht vom Bug eines Kriegsschiffs flattere.

Allerdings, bevor man sich vom Flag Institute verlässlich erklären lässt, warum diese weitverbreitete patriotische Beschwerde eigentlich auch bloß Unsinn sei, darf man sich auch fragen, was im Leben von Leuten schiefgelaufen sein muss, die sich berufen sehen, ein Flag Institute zu gründen.

Ähnliches gilt für Leute, die im Namen des Project Britain erklären, welche die korrekte Art ist, den Union Jack aufzuhängen, zumal der ja bei genauer Betrachtung eigentlich nicht ganz symmetrisch ist.

Union Jack-Geschirrtuch mit der Aufschrift "1977 - The Queen's Jubilee"

Robert Rotifer

Aus dem Privatarchv des Kolumnisten: Ein Geschirrtuch aus dem Jahr 1977, gedruckt auf Textil zum Anlass des silbernen Thronjubiläums Elisabeths, der II. und vielleicht Letzten.

Solcher Flaggen-obsessiver Zeitvertreib war, als ich dieses Land kennenlernte, bloß einem kleinen Kreis zertifizierter Narren vorbehalten. Aber die haben hier bekanntlich seit einiger Zeit die Macht übernommen, daher also dieses neue Gesetz.

Laut Herrn Minister Dowden verkörpert die britische Fahne eine “stolze Erinnerung an unsere Geschichte und die Bande, die uns mit einander verknüpfen“.

Klingt gut, nur die Flagge allein macht’s natürlich auch noch nicht. Um sicherzustellen, dass die Erinnerung eine stolze bleibt, muss man etwa regelmäßig jede historische Evidenz der Verknüpfung seiner Fahne mit der Sklaverei vernichten, und Gott sei Dank gibt’s in Großbritannien Parlamentarier, die sich solcher dringender Dinge annehmen.

Und selbst dann gibt es immer noch genug Beschäftigung für einen konservativen Abgeordneten wie James Wilde, der neulich eine virtuelle Sitzung des Public Accounts Committee des Unterhauses dazu nützte, den BBC Director General Tim Davie zu fragen, warum ein 268 Seiten langes Strategiepapier der BBC keine Abbildung des Union Jack enthalte.

Der hier vom Fragensteller selbst verlinkte Video-Ausschnitt der Komitteesitzung ist ein gutes Lehrbeispiel für unfreiwillige Komik, die von Patriot*innen bevorzugte Form des berühmten britischen Humors.

Aber natürlich hat diese Geschichte auch einen ernsten Hintergrund, nämlich den britischer Politiker*innen-Interviews der Zoom-Ära, die neuerdings nicht mehr ohne blau-weiß-roten Backdrop auskommen.

Vorige Woche wurde der Housing Secretary Robert Jenrick vom BBC-Frühstücksfernsehen interviewt, da merkte Moderator Charlie Stayt bei der Verabschiedung an: „Ich glaube, Ihre Fahne erreicht nicht ganz die Standardgröße. Ich glaube, sie ist ein bisschen zu klein, aber das ist eher Ihre Abteilung.“

Die Co-Moderatorin Naga Munchetty zuckerte noch ein bisschen nach, indem sie darauf aufmerksam machte, dass Jenrick immerhin auch noch ein Porträt der Königin im Hintergrund hängen habe.

Und das reichte in der derzeitigen Atmosphäre auch schon für einen Schwall an Publikumsbeschwerden, die in Folge dann eben zur Frage James Wilds an den BBC-Director General führten.

Erst hab ich Zyniker ja gedacht, dieser Pseudokonflikt sei dazu gedacht gewesen, der BBC, deren frisch ernannter Chairman Richard Sharp – wie hier bereits berichtet – nebenbei auch ein konservativer Parteispender ist, eine gemütliche Rutsche zu legen, um sich gefahrlos als regierungsunabhängiger Geist zu profilieren.

Stattdessen beweist der von Oliver Dowden angekündigte Flaggenzwang, dass die Fähigkeit zur Selbstironie – hier habt ihr wieder was gelernt – ab nun auch nicht mehr zum berühmten britischen Humor gezählt werden darf.

Meine Quizfrage an euch wäre jetzt, auf welche der beiden Moderator*innen sich via soziale Medien der Volkszorn entladen hat: Den weißen Mann oder die dünklerhäutige Frau mit dem unenglischen Namen?

Richtig.

Ihr habt gewonnen und dürft weiterlesen, dann erfahrt ihr zum Beispiel, was der Konsens der Kommentator*innenkaste zu dieser ganzen Affäre ist, nämlich, dass die Regierung durch die Thematisierung der Flaggenfrage einen Treffer gegen die ohnehin schon geschwächte Labour-Opposition gelandet habe, weil die sich mit dem Patriotismus-Ding traditionell immer etwas schwerer tue als die Tories.

Dabei hat sich doch Labour-Chef Keir Starmer erst neulich selbst die Fahne ins Büro gestellt, nachdem ein parteiinterner Fokusgruppen-Report ihm das angeraten hatte. „Die Verwendung der Fahne, Veteranen treffen, sich bei einem Kriegsmahnmal schön anziehen und so weiter gibt den Wähler*innen einen Sinn der Angleichung an authentische Werte“, hieß es darin.

Doch wieder einmal zeigt sich: Man kann die Konkurrenz nicht in ihrem eigenen Stammrevier schlagen, die legen dann immer noch eins drauf, und kaum hat man sich’s versehen, hat man auch schon wieder mitgeholfen, den Diskurs noch ein Stückchen weiter nach rechts zu rücken.

Um zu demonstrieren wie weit, wurde in der Downing Street unlängst ein neuer Media Briefing Room eingeweiht, der so täuschend retro-Trumpistisch aussieht, dass die Regierung gleich in vier Union Jacks investieren musste, um Verwechslungen mit Amerika zu vermeiden.

Es ist übrigens physisch unmöglich, über diesen Briefing Room zu sprechen, ohne zu erwähnen, dass dessen Ausgestaltung 2,6 Millionen Pfund gekostet hat. Ironischerweise genau der Betrag, den es bräuchte, um einen von Frankreich aus sichtbaren Union Jack auf die weißen Klippen von Dover zu malen.

Und weil ihr das jetzt alle eurem Bildschirm entgegen seufzt: Mir ist ja bewusst, dass auch in meiner alten Heimat Österreich die Fahne neuerdings zur unverzichtbaren Deko jeder Volksbelehrungsveranstaltung geworden ist.

Das kam zumindest für mich auch nicht ganz unerwartet, denn es gibt ja auch Entwicklungen, die fallen einem besser auf, wenn man nur hin und wieder ein Land betritt.

In den letzten Jahren hab ich zum Beispiel bemerkt, dass in Österreich Wurst- und Fleischprodukte nicht mehr ohne rot-weiß-rote Fahnen auf der Verpackung auskommen. Ihr müsst mir glauben, das war früher einmal nicht so. Und wir wissen, es ist nie ein weiter Weg von der Wurst zur politischen Konvention.

Was mich geradewegs zum britischen Nuklearwaffen-Arsenal bringt. Denn das Vereinigte Königinnenreich hat sich angeschickt, die Konvention zur nuklearen Abrüstung zu brechen und in den kommenden Jahren die Zahl seiner nuklearen Sprengköpfe nicht – wie bisher versprochen – von 225 auf 180 zu senken, sondern auf 260 zu ERHÖHEN.

Wenn sich sogar die Typen vom Royal United Services Institute (RUSI) dabei den Kopf kratzen, darf man offiziell an der Logik dieser Vorgangsweise zweifeln.

Jener Aufrüstungsplan der britischen Regierung werde „das Leben für Partner des UK erschweren, die versuchen, andere non-nukleare Staaten zu überreden, den Glauben an eine schrittweise Annäherung zur nuklearen Entwaffnung zu bewahren", schreibt ein Korrespondent im RUSI-Blog, "insbesondere angesichts eines neuen Abkommens zum Verbot von Nuklearwaffen, das Kernwaffen zu delegitimieren sucht, mit dem Endziel ihren Besitz unter internationalem Recht illegal zu machen. Die Kosten dieses Vorgehens stehen in scharfem Widerspruch zur anderweitigen Betonung der Wichtigkeit des Multilateralismus und der internationalen Partnerschaften und Allianzen des UK.“

Ja, alles wahr, aber es geht hier doch nicht um ernsthafte Strategie, sondern eindeutig und ausschließlich darum, was die Brit*innen gern so treffend „willy waving“ nennen (ein „willy“ ist genau, was ihr denkt). Und was könnte je wichtiger sein als das?

Wenn ihr nun findet, meine Assoziationskette hier sei heillos überspannt, schließlich ging es zu Anfang dieser Kolumne doch nur um einen rot-weiß-blauen Fetzen, und mein Gott, lasst sie ihn halt wedeln, wenn sie unbedingt wollen, dann will ich zum Abschluss noch eine Geschichte nacherzählen, die ich heute im Guardian gelesen habe (man könnte sie nämlich nicht erfinden):

Im September letzten Jahres wurde vor einer öffentlichen Sekundärschule in Pimlico, einem sozial diversen Londoner Viertel, eine Fahnenstange samt daran flatterndem Union Jack installiert. Die Schüler*innen stahlen darauf hin die Fahne und verbrannten sie feierlich im Hof eines nahegelegenen Gemeindebaus namens Churchill Gardens (wie gesagt, kannst du nicht erfinden).

Im Nachhinein stellte sich heraus, dass dieselbe Schule vier Wochen zuvor neue Uniform-Vorschriften eingeführt hatte, die „allzu farbenfrohe“ Hijabs bzw. Frisuren verbieten, welche „anderen die Sicht blockieren“ (damit waren unzweifelhaft die Afro Hairstyles schwarzer Schüler*innen gemeint).

Der Guardian zitiert Lucinda Merritt, eine Lehrerin, die im Future Institute (!) der Schulbetreiber-Firma Future Academies (!!) ausgebildet wurde, nach diesen Ereignissen aber beschlossen hat, lieber doch nicht für die Pimlico Academy zu arbeiten: „Das Flaggenthema ist zu einem bizarren Symbol geworden“, sagt Merritt, „Die Schule war sich bewusst, was für Gefühle das in Schüler*innen und Lehrer*innen auslösen würde. Das Timing war so unsensibel und unangebracht, dass die Schüler*innen sich ins Eck gedrängt fühlten, und deshalb haben sie die Fahne entfernt.“

Wie man sieht, ist es also NICHT GANZ so, dass alle nur „stolz“ auf die Geschichte wären, an die der Union Jack erinnert, ganz zu schweigen von den „Banden“, mit denen man ihre Vorfahren zu „verknüpfen“ pflegte.

Und da hab ich noch nicht einmal die Schott*innen, Nordir*innen oder Waliser*innen erwähnt, die in letzter Zeit immer lauter an der Union zweifeln, die dieser Jack symbolisiert.

Nennt mich einen Schwarzseher, aber ich könnte mir vorstellen, dass, wenn der Flaggenzwang im Sommer tatsächlich in Kraft tritt, die Fahne vor der Schule in Pimlico nicht das letzte Ziel symbolischer Proteste gewesen sein wird.

Das würde den Nationalist*innen, die derzeit dieses Land regieren, natürlich bloß umso besser in ihr altes Teilen-und-Herrschen-Konzept passen, weil sie dann wieder wen zum Dämonisieren gefunden hätten.

Aber es würde das Königinnenreich auch noch einen Schritt weiter in Richtung Spaltung treiben. Bis vom ganzen großen Empire am Ende nur mehr Little England übrigbleibt.

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