Ein Tonikum für verletzte Seelen
Von David Pfister
Seit Anfang der 2000er Jahre zeigt die amerikanische Band Xiu Xiu wie innovativ man mit dem Genre Indie Pop umgehen kann. Electronica, New Wave, Goth Rock, Klangwolken, Noise und gleichzeitig zärtliche Melodien und große Popmomente.
Xiu Xiu
Auch inhaltlich pendeln Xiu Xiu zwischen den Extremen. Ekstatische Selbstentäußerungen, das Ringen mit vermeintlichen Schwächen und selbst beschädigendem Nihilismus auf der einen Seite, auf der anderen Seite legt Sänger und Bandchef Jamie Stewart große Empathie an den Tag und beschäftigt sich in seinen Texten mit moralischen und existentialistischen Fragen aus einer queeren Perspektive.
Krise&Heilung
Dabei trennt Jamie Stewart kaum zwischen Kunst und privatem Alltag. Im letzten Jahr konnten Online-Follower Jamie Stewart durch eine Phase der Depression beobachten und begleiten, die der Musiker fast tagebuchartig auf seinen virtuellen Kanälen darstellte und auch das begleitende Pressematerial zur neuen Platte benennt diese Umstände recht deutlich. Trotzdem bildet das neue Xiu Xiu-Album „Oh No“ primär nicht die Krise ab, sondern die Heilung.
Krisenbewältigung durch offensive Zurschaustellung des Leidens und offensive Kommunikation. Nach diesem Prinzip wurde auch das neue Xiu Xiu Album gebaut. Und deshalb singt nun die experimentelle Elite der Indie-Welt mit Jamie Stewart Duette, die man inhaltlich als Suche nach Transzendenz eines Atheisten bezeichnen könnte. Ästhetisch führt sich Jamie Stewart gemäßigter auf als in der näheren Vergangenheit und nähert sich umgänglichen Indie Pop so nahe an, wie er das nur kann. Seine berühmte, waidwunde Raserei ist diesmal oftmals nur als Ahnung im Nacken spürbar, wir haben es hier mit einem erschöpften Frieden nach einem Kollaps zu tun.
Großartige Gastauswahl
Großartige Kompositionen und eine top-notch Gastauswahl. Allerdings fügen sich all die Gast-Kaliber wie etwa Chelsea Wolfe, Sharon Van Etten, Owen Pallett, Twin Shadow, Deerhoof, Liars, Drab Majesty oder Shearwater dem ästhetischen Kosmos von Xiu Xiu. Niemals anders rum. Das wäre noch einen Tick spannender gewesen. Denn immer, wenn Jamie Stewart gezwungen wurde, sein selbst geschaffenes Biotop zu verlassen, war er am besten. Nichtsdestotrotz ein fantastisches Album und tatsächlich so etwas wie ein Tonikum für verletzte Seelen.
Publiziert am 27.03.2021