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Nina Hoss trägt einen Schal und schaut.

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„Bei Lars wusste ich, wir können miteinander tanzen“

Nina Hoss und Lars Eidinger spielen in „Schwesterlein“ Zwillinge, die das Leben und die Kunst lieben, aber mit einer Leukämieerkrankung konfrontiert sind. Nina Hoss erzählt im FM4-Interview vom magischen Moment, wenn die Kamera läuft.

Von Maria Motter

Manchmal ist es ihre Augenbraue, die kurz hochgeht. Dann wieder das Lächeln und ein zielgerichteter Blick. Nina Hoss ist eine der beeindruckendsten deutschsprachigen Schauspielerinnen der Gegenwart. Und im neuen Spielfilm „Schwesterlein“ brilliert sie erneut.

Der Kinofilm der Schweizer Regisseurinnen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond erzählt von Zwillingen aus einer Künstlerfamilie: Die Diagnose Leukämie erfährt der Bruder spät. Lars Eidinger als Sven trägt T-Shirts über Rollkragenleiberl über Ekzemen, erst blonde, dann blaue, dann dunkle Perücke und schirmt sich bei seiner Schwester Lisa, einer Theater-Autorin, und deren Familie im ehemaligen Kurort Leysin in den Bergen erstmal von der Welt ab. Es ist an Lisa, da zu sein - mehr als zuvor.

Aufgeregtheit und Verzweiflung, Hoffnung und Bangen, vor allem jedoch die große Liebe zum Leben und zur Kunst samt komödiantischen Ansagen finden sich in dieser Geschichte, die vor wenigen Tagen beim Schweizer Filmpreis als bester Spielfilm 2021 ausgezeichnet worden ist - und gleich noch vier weitere Preise gewonnen hat. Dabei hat beim realistisch erzählten „Schwesterlein“ am Anfang der Zufall die Hauptrolle gespielt.

Wir haben die Schauspielerin Nina Hoss zum Interview getroffen.

Maria Motter: Nina Hoss, die Geschichte, wie die beiden Regisseurinnen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond zu Ihnen kamen, klingt wie aus einer fernen Zeit. Die beiden haben Sie einfach angesprochen. Wie oft passiert Ihnen das im Alltag?

Nina Hoss: Tatsächlich nicht oft. Wenn, dann läuft das über die Agentur. Hier war ich in einer Boutique und habe nach einem Geburtstagsgeschenk für eine Freundin gesucht. Und ich sah zwei Frauen, die vor dem Schaufenster hin- und herliefen, diskutierten und immer wieder zu mir guckten. Dann kamen die auch noch rein. Ich dachte schon, ach je, was passiert jetzt. Ich war allein in dem kleinen Laden. Irgendwie haben sie rumgedruckst, dann haben sie sich ein Herz gefasst: „Wir müssen Sie jetzt einfach ansprechen, das ist jetzt so ein Zufall, weil wir gerade an etwas schreiben und das für Sie schreiben. Wir haben Sie in ‚Barbara‘ gesehen und Sie gehen uns nicht aus dem Kopf! Und jetzt sehen wir Sie hier - wir können nicht einfach vorbeigehen“. Ich fand das irgendwie so entzückend, aber auch so glaubwürdig. Es war zur Zeit der Berlinale, darum waren Stéphanie Chuat und Véronique Reymond in Berlin. Die beiden sind so sympathische Menschen, also Angst brauchte ich nicht zu haben vor denen. Ja klar, wir können einen Kaffee trinken. Aus dem Kaffee sind vier Stunden geworden.

Erst fünf Jahre später war dann Drehbeginn für Sie und Lars Eidinger für „Schwesterlein“.

Nina Hoss: Es war eine lange Geburt, weil Deutschland kein Geld reingeben wollte. Auch nicht mit Lars und mir im Boot. Da hieß es immer nur: Das Thema Theater ist zu nischenhaft und interessiert niemanden. Ich dachte nur: Wahnsinn, eine Nation, die so stolz auf ihr Theater ist. Die Schweizer Produzentin Ruth Waldburger hat dann gesagt, sie wuppt das.

Lars Eidinger trägt eine blonde Perücke und dunkle Brillen und lehnt sich bei Nina Hoss an. Sie fahren im Taxi. Szene aus "Schwesterlein".

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„Schwesterlein“ hatte auf der Berlinale 2020 Premiere, ist jetzt on demand verfügbar und hoffentlich bald auch im Kino zu sehen.

In „Schwesterlein“ spielen Sie die Zwillingsschwester von einem Mann, der ein gefeierter Schauspieler ist und Leukämie hat, gespielt von Lars Eidinger. Sie spielen eine Dramatikerin, die mit ihrem Ehemann in der Schweiz ist, der an einer Eliteschule arbeitet. Wie haben Sie sich getan mit all der sogenannten Care-Arbeit, die im Film „Schwesterlein“ auf Ihren Charakter zukommt? Diese Frau soll auf allen Seiten zur Verfügung stehen, unterstützen und tun, und sie selbst kommt da sehr zu kurz.

Nina Hoss: Ja, ich fand eben interessant, dass ihr das zu Beginn gar nicht so bewusst ist. Das wird ihr erst durch die Umstände bewusst, durch die sie da geworfen wird: Ihr Bruder ist schwer krank. Es zeigt sich, dass die Mutter unfähig ist, sich in irgendeiner Form mit ihrem kranken Sohn zu befassen, geschweige denn, ihm zu helfen. Sie entscheidet, den Bruder mit zu sich und ihrem Ehemann mit in die Schweiz zu nehmen, damit sie auf ihn aufpassen kann sozusagen. Und sie überfordert sich nicht, denn ich glaube, in diesen Momenten ist es so, dass man weiß: es gibt keine andere Möglichkeit. Das ist überhaupt keine Frage. So ist es bei ihr, dass sie sich jetzt für diesen Zeitpunkt für den Bruder zur Verfügung stellt, aber natürlich auch versucht, ihre Familie am Laufen zu halten. Doch der Bruder mit seiner starken, auch exzentrischen Persönlichkeit treibt sie immer wieder dahin, hinzusehen, warum sie nicht mehr schreibt. Das macht sie doch aus.

Es gibt einen Moment im Film, wo ihr Ehemann sagt: Ich habe jetzt eine Entscheidung für unsere Zukunft getroffen und ich weiß, du bist ein bisschen sauer, aber du wirst sehen, dass ich die richtige Entscheidung für uns getroffen habe, du bist jetzt nicht ganz bei dir. Und dann sagt sie: Ich war noch nie so sehr bei mir wie jetzt. Also das ist so eine schöne Verquickung.

Wenn man eine Zusammenfassung des Films liest, könnte man immer denken, um Himmels Willen, das ist so ein Krebsdrama. Aber da steckt so viel Lebensenergie und Kraft auch drinnen. Es ist ein Film über das Loslassen. Darüber, gemeinsam diesen Weg zu gehen, aber eben auch, was so ein Abschied für Energien freisetzen kann. Wenn nicht ein Nochmal-Überdenken, so ein Spüren, dass man Dinge vielleicht hat laufen lassen. Und man hat nur dieses eine Leben, vielleicht muss man doch nochmal zugreifen. Und das fand ich so toll an diesem Drehbuch, dass es auch um die Kraft der Kreativität geht. Dass man sich nicht so sacken lässt und in so festgefahrene Bahnen zwingen lässt vom Leben.

„Schwesterlein“ ist zärtlich und innig, aber es gibt auch Witz. Auch als Stress Relief?

Nina Hoss: Ja, in der nächsten Szene passiert wieder was Alltägliches, das einen zum Lachen bringt, weil die Trauer, also das Weinen und Lachen ja so nah beieinander liegen. Für beides muss man offen sein. Für beides muss der Körper, die Seele sich öffnen.

Nina Hoss in einer Szene aus "Schwesterlein" mit Kindern, alle lachen und schauen auf die Couch, wo der Bruder und Onkel im Film sitzt.

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Lars Eidinger und Sie waren gemeinsam an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, sogar in einer Klasse, und Sie sind dann beide richtige Schauspielsuperstars geworden. Ist „Schwesterlein“ auch ein Moment des Sich-Aneinander-Messens gewesen?

Nina Hoss: Im Gegenteil. Vielleicht hat das auch etwas damit zu tun, dass wir aus demselben Stall kommen. Ich habe mich eher drauf gefreut und ich glaube, so ging es Lars auch. Ich finde faszinierend, was er in seiner Arbeit macht und wonach er sucht. Ich kann mich darauf verlassen, dass er nicht schnell klein beigibt! Und von seinen Theaterarbeiten weiß ich, dass man auch mal in eine Szene gehen kann und man sich überraschen kann - gegenseitig. Und dass der andere immer mitziehen wird und dass man einfach was erlebt miteinander! Und nicht alles vorab abstecken, besprechen und in Stein einmeißeln muss und der andere ist dann sauer, wenn du nicht so reagierst, wie er gedacht hat. So was gibt es ja auch. Selten, aber so etwas gibt es.

Bei Lars wusste ich, wir können miteinander tanzen. Wenn die Kamera läuft, wissen wir beide nicht, was passiert. Und man kann aber auch sicher sein, dass der andere einen mitträgt. Da gab es überhaupt kein Gegeneinander, sondern einfach nur die gemeinsame Suche nach dem Kern. Und das ist ja so ein magischer Moment, wenn die Kamera läuft, ist es fast wie so ein Befreiungsmoment: Dann guckt man manchmal und macht manchmal die mutigsten Dinge.

Lars Eidinger spielt in "Schwesterlein" einen an Leukämie erkrankten Schauspieler. Er trägt eine blaue Perücke, steht im Schnee auf Schweizer Bergen und fotografiert mit einem iPad.

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Jetzt ist Lars Eidinger der nächste Jedermann bei den Salzburger Festspielen und Sie waren schon die Buhlschaft. Tauscht man sich da aus? Haben Sie ihm noch Tipps gegeben für Salzburg?

Nina Hoss: Während der Dreharbeiten, glaube ich, stand das zur Debatte, ob er das machen soll oder nicht. Ich habe ihm gesagt: Auf jeden Fall! Ich freu mich einfach, dass er den Jedermann spielt. Weil das wird was anderes werden.

Sie haben ja auch was ganz Eigenes daraus gemacht. Ich habe die Kritiken wieder nachgelesen: Die erste Buhlschaft, die so richtig ‚Nein‘ sagt und diese Frauenfigur umdreht und in eine andere Richtung bringt.

Nina Hoss: Ich dachte, man kann was mit ihr machen, aber man kann diese Figur nicht richtig umdrehen. Ich würde lieber auch den Jedermann spielen. Ich habe probiert, der Buhlschaft Distanz zu geben. Aber irgendwann dachte ich auch, also Nina, es ist ein bisschen schwierig einfach. Also ich war nicht so zufrieden, ehrlich gesagt. Birgit Minichmayr hat das auch gesagt: Man versucht da rauszuholen was geht, aber es steckt nicht so viel drinnen. Aber ich hatte eine irre tolle Zeit. Und ich hatte das so gerne mit Peter Simonischek gemacht. Wir waren eine tolle Truppe und ich habe das genossen! Besonders das zweite Jahr, das war eine Wonne, da auf dem Platz zu stehen und auch überhaupt in Salzburg zu sein. Deswegen habe ich auch zu Lars gesagt: Auf jeden Fall! Das sind so schöne Erfahrungen, die du da hast, das erlebst du nirgendwo sonst. Das ist so was Besonderes da.

Sie sind auch immer wieder in großen internationalen Serien zu sehen, etwa in „Homeland“ und „Shadowplay“. Wie ist es Ihnen im letzten Jahr ergangen? Es kam sehr vieles zum Stillstand. Gerade, was große internationale Produktionen betrifft, ist Corona ja ein Rieseneinschnitt.

Nina Hoss: Ja, das hat mich auch getroffen. Ich habe ein Jahr überhaupt nicht gearbeitet, bis auf kleine Sachen wie Dinge einzulesen. Alle Projekte, die angedacht waren, waren verschoben oder abgesagt. Ich spiele in irgendeiner Form, seit ich vierzehn bin und hatte noch nie ein Jahr nicht gearbeitet. Irgendwann merkte ich, wie ich körperlich nervös werde, weil ich in keinem Austausch bin, mich nicht über Charaktere, über das Leben für ein Theaterstück oder eine Filmrolle unterhalte. Das ist ja immer auch eine Forschungsreise.

Aber es ist eine Pandemie, die man versucht, in den Griff zu kriegen. Da laufen Dinge schief, deswegen dauert das noch länger. Man muss sich einfach auf alles einstellen. Aber es wird aufhören. Für viele Kolleg*innen ist es eine existenzielle Frage und dann wird es problematisch. Ich bin jetzt glücklicherweise gerade wieder am Arbeiten. Ich kann leider nicht sagen, was es ist, aber es ist eine andere internationale große Serie wieder. Das geht jetzt bis Ende August. Toi, toi, toi, man weiß ja nie, was mit den Mutationen passiert, aber es sieht so aus, als könnten wir das fertig drehen. Da bin ich sehr, sehr glücklich!

Als Zuschauerin freut man sich auch sehr darauf!

Nina Hoss: Danke! Das ist gut, für euch macht man’s ja auch!

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