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Abtreibungsdemonstration

Mehdi Rahmati / mehdirahmati.me

Die „Wiener Tanten“ helfen beim Schwangerschaftsabbruch

Die polnische Regierung hat die ohnehin strengen Abtreibungsgesetze weiter verschärft. Weil ein Schwangerschaftsabbruch in Polen kaum mehr legal möglich ist, hilft die Wiener Initiative Ciocia Wienia mit Information und Organisation, um Abtreibungen hier legal durchzuführen.

Von Florian Bayer

Seit 1993 hat Polen eines der strengsten Abtreibungsgesetze Europas: Schwangerschaftsabbrüche waren nur bei Vergewaltigungen, Gefahr für das Leben der schwangeren Person und bei zu erwartenden schweren Missbildungen des Fötus erlaubt. Seit einem Urteil des polnischen Verfassungsgerichtshofs vom Herbst letzten Jahres, gegen das Hunderttausende Frauen auf die Straße gingen, ist auch die Abtreibung von Föten mit Missbildungen nicht länger straffrei.

Florian Bayer ist freier Journalist und schreibt u.a. für FM4, Der Standard, Die Zeit, usw.

Schon seit Jahren fahren tausende Polinnen aufgrund der strengen Gesetze ins Ausland, um dort abzutreiben – auch nach Österreich. Zwischen Wien und Krakau liegen nur fünf Autostunden. Seit Herbst informiert die Gruppe Ciocia Wienia („Wiener Tanten“) über Schwangerschaftsabbrüche und hilft beim Zugang zu Abtreibungen in Wien. Wir haben mit einer Aktivistin der Organisation gesprochen. Sie möchte anonym bleiben.

Florian Bayer: Wer wendet sich an euch?

Die meisten, die aus Polen nach Wien kommen, haben eine medizinische Indikation für eine Abtreibung. Sie haben erfahren, dass es voraussichtlich zu einer schweren gesundheitlichen Schädigung des Embroys kommen wird. In solchen Fällen ist eine Abtreibung in Polen nun nicht mehr legal möglich, auch Ärzte, Personal und Kliniken machen sich strafbar, wenn sie dennoch abtreiben.

Wir helfen aber auch jenen, die ein Kind anonym gebären und zur Adoption freigeben wollen. Das ist in Österreich komplett anonym möglich. Zwar gibt es auch in Polen Babyklappen, allerdings wird dort als erstes die Polizei informiert, die eine Anzeige legt. Viele biologische Mütter werden ausfindig gemacht. Sie sind dann ein Leben lang stigmatisiert, denn viele Fälle landen in den Fernsehnachrichten.

Kannst du uns über eure Anfänge erzählen?

Wir, eine kleine Gruppe, kommen aus Polen und haben uns großteils bei LGBTQI+-Demos in Wien kennengelernt. Wir sind Feministinnen und wollten etwas für die Rechte von Frauen* tun, als die Regierung sehr konkret über Verschärfungen der Gesetzgebung nachdachte. Offiziell haben wir am 28. September 2020 mit unserer Arbeit begonnen, dem internationalen Safe Abortion Day.

Die Vorbereitungen gehen aber noch länger zurück: Wir mussten erst eine Wiener Klinik finden, der wir vertrauen. Auch mussten wir einen sicheren Kommunikationskanal aufbauen und haben uns dabei auch viel von unserer Berliner Schwesterorganisation Ciocia Basia abgeschaut. Insgesamt haben wir etwas über 20 Abtreibungen in Wien begleitet.

Wie helft ihr konkret?

Die meisten erfahren über Social Media, dass es uns gibt, viele von Bekannten oder auch Ciocia Basia. Zuerst informieren wir sie über ihre Optionen: Medikamentöser und/oder chirurgischer Schwangerschaftsabbruch. In einem frühen Stadium empfehlen wir die Abtreibung mit Tabletten. Die Organisation „Women help Women“ verschickt sie auch nach Polen. Wir sind auch in diesen Fällen in Kontakt mit den Personen und beantworten Fragen.

Wenn die Abtreibung aber chirurgisch oder unter Aufsicht stattfinden muss, etwa in einem fortgeschritteneren Stadium der Schwangerschaft, machen wir einen Termin in einer Wiener Klinik aus.

Die polnische Regierung hat Abtreibungen stärker denn je kriminalisiert. Wurden schon Strafen ausgesprochen?

Noch nicht, doch das Gesetz ist ja erst seit Kurzem in Kraft. Kürzlich wurde aber etwa ein Mann zu sechs Monaten Haft verurteilt, weil er Abtreibungstabletten für seine Partnerin besorgt hat. Die neue Gesetzgebung kriminalisiert ja nur die Helfer, nicht aber die abtreibende Person. Schon jetzt gibt es aber Forderungen und Gesetzesanträge, auch sie strafrechtlich zu verfolgen.

Anti-Choice-Gruppen sind in Polen sehr einflussreich, an fast jeder Straße hängen momentan Poster mit Föten und Botschaften wie „Ich wäre jetzt fünf Monate alt.“ Auch die katholische Kirche spielt natürlich eine große Rolle.

Abtreibungsdemonstration

Mehdi Rahmati / mehdirahmati.me

Könnt auch ihr strafrechtlich verfolgt werden?

Glücklicherweise erstreckt sich das Abtreibungsgesetz nur auf Polen. In Österreich ist unsere Arbeit legal, hier sind wir relativ sicher. Allerdings gibt es auch hier einige Anti-Choice-Gruppen und wir glauben, sie haben uns schon auf dem Schirm.

In Deutschland dürfen Kliniken Abtreibungen übrigens nicht online bewerben. Bei uns schon, weswegen die Abtreibunsgegner vor den entsprechenden Häusern demonstrieren. Auch deshalb sagen wir nicht, mit welcher Klinik wir zusammenarbeiten, denn sonst haben wir österreichische und wohl auch polnische Anti-Choice-Aktivisten am Hals.

Inwieweit erschwert Corona eure Arbeit?

Es gibt eine Menge bürokratische Hürden: Für die Reise benötigt man meist einen negativen Coronatest für die Schwangere und ihre Begleitung. Auch braucht es die nötigen Einreiseformulare und auch eine Bestätigung, dass die Reise für einen medizinischen Zweck erfolgt. Wir helfen dabei.

Auch unterstützen wir bei praktischen Dingen, etwa dem Kauf des Zugtickets oder der Autobahnvignette, dem Parken in Wien oder dem Benutzen der Teststraßen. Weil die Hotels nur für Geschäftsreisende geöffnet sind, nehmen wir die Betroffenen bei uns in den Wohnungen auf. Viele kommen auch mit dem Auto an und fahren am selben Tag wieder, nachdem alles gut über die Bühne gegangen ist.

Was ist die größte Hürde?

Für die meisten sind die rund 550 Euro, die eine Abtreibung kostet, viel Geld. Wegen Corona haben viele nun finanzielle Probleme und brauchen deshalb Unterstützung. Wir helfen dabei, sei es bei den Kosten für das Zugticket oder einem Zuschuss für die Abtreibung. Das ist vielen unangenehm, doch genau dafür sammeln wir ja Spenden und das erklären wir ihnen.

Abschreckender noch ist aber die Stigmatisierung. Viele erzählen niemandem davon, vielleicht gerade einmal dem eigenen Partner oder der Partnerin. Von allen werden sie gefragt: Warum reist du jetzt nach Wien, mitten in der Pandemie? Sie erfinden Geschichten, erzählen der Familie, dass es für die Arbeit ist und den Arbeitskolleg*innen, dass es einen familiären Grund gibt. Sie lügen notgedrungen und sind oft sehr allein mit ihrer Situation. Wir sind dann die einzigen, mit denen sie darüber sprechen können.

Diese Einsamkeit ist oft herzzereißend. Auf der anderen Seite ist es immer wieder beeindruckend, wie stark diese Personen sind – trotz der vielen Hindernisse, die ihnen von Staat und Gesellschaft in den Weg gelegt werden.

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