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Sharon Dodua Otoo Portrait

ORF/ Ralf Steinberger

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Sharon Dodua Otoo erzählt Globalgeschichte weiblich

Die britische Autorin und Bachmann-Preisträgerin hat ihren ersten Roman herausgebracht – auf Deutsch. Darin wird die Hauptfigur Ada immer wieder neu geboren, in verschiedenen Jahrhunderten und an verschiedenen Orten. Jedes Mal muss sie sich aufs Neue mit vielen Kämpfen herumschlagen: weil sie eine Frau ist, eine Migrantin ist oder einfach nicht in die Gesellschaft passt. „Adas Raum“ heißt dieses umfassende und ergreifende Romandebüt von Sharon Dodua Otoo.

Von Melissa Erhardt

Ein eigenes Zimmer. Ein Ort, an den man sich zurückziehen kann, Ruhe findet vor dem Trubel, nachdenken kann, schreiben kann. Dass das die Grundlage der weiblichen Unabhängigkeit ist, die uns Frauen dazu befähigen würde, Weltliteratur schreiben zu können, wie es bisher nur den Shakespeares und Prousts dieser Welt vergönnt war, zu dieser Erkenntnis ist die britische Schriftstellerin und Symbolfigur der Frauenbewegung Virginia Woolf schon 1929 in ihrem Essay „A Room of One’s Own“ gekommen:

Eine Frau muss Geld und ein eigenes Zimmer haben, um schreiben zu können.

Fast 100 Jahre sind seither vergangen und die Metapher hat bis heute nicht an Relevanz verloren. Das weiß auch die britisch-deutsche Literatin Sharon Dodua Otoo, denn auch in ihrem Debütroman geht es um das Verlangen nach „dem eigenen Zimmer“: In „Adas Raum“ sucht die aus Ghana emigrierte Informatikerin Ada im hippen Berlin eine Bleibe für sich. Aber von Wohnung zu Wohnung wird ihre Hoffnung kleiner, als sie merkt, dass sie als Schwarze, schwangere Frau kaum Chancen auf dem ohnehin überfüllten Wohnungsmarkt hat:

Buchcover Ada's Raum

Fischer Verlag

Sharon Dodua Otoos Debütroman Adas Raum ist am 24. Februar im Fischer Verlag erschienen.

„Die Abwertung, die sie in Ghana erlebte, hatte eine andere Qualität. Sie war leichter, erträglicher. In Accra war Ada zwar weiblich, aber doch auch ein kostbarer, liebenswerter Mensch. In Berlin erfuhr sie außerhalb ihrer Welt nur selten Wertschätzung. Viel zu oft hatte ihr Körper sie verraten, bevor Ada überhaupt den Mund aufmachen konnte. Und es kostete sie jedes Mal noch ein bisschen mehr Kraft, den Riss in ihrem Hals zu spüren.“

Verknüpfung vielfältiger Kämpfe

Ada in Berlin ist aber nur eine von vier Adas, die uns Dodua Otoo im Buch näherbringen wird: Einmal lebt Ada im 15. Jahrhundert an der Westküste Afrikas und flüchtet vor den portugiesischen Kolonialherren, die ihr Dorf niedergebrannt und ihren Bruder versklavt haben. Dann wird sie im Großbritannien des 19. Jahrhunderts wiedergeboren, wo sie, angelehnt an die reale Ada Lovelace, das erste Computerprogramm weltweit entwickeln wird. Für das wird später aber nicht sie, sondern der Mann an ihrer Seite kreditiert werden. Die Ada des 20. Jahrhunderts ist polnischer Abstammung und muss sich, als Zwangsprostituierte im Konzentrationslager Mittelbau-Dora, im Auftrag der SS zur Sexarbeit verpflichten. Die Freier sind Aufseher oder besser gestellte Häftlinge, jüdische Freier gibt es nicht.

Im Buch kämpft jede Ada ihre eigenen Kämpfe, und doch lassen sich diese zusammenfassen als eine Art Schutzmechanismus gegen die vorwiegend männliche und vor allem weiße, westliche Überlegenheit. Man könnte fast sagen, „Adas Raum“ ist die intersektionale Antwort auf Virginia Woolf. Mit der Verknüpfung der vielfältigen Kämpfe kommt Sharon Dodua Otoo einem ihrer eigenen Leitsätze nach, den sie auch letztes Jahr bei der Eröffnungsrede zum Bachmannpreis wiedergegeben hat:

"Mir erscheint es unabdingbar, die Kämpfe gegen Antisemitismus und Anti-Schwarzen Rassismus zusammenzudenken. (...) Wie können wir auf Allianzen bauen, im Dialog bleiben und zu einem Verständnis kommen, das der Komplexität von Erinnerung und Mahnung gerecht wird? Ich begreife meine Arbeit als Teil eines solchen Austausches. Erst durch die Rezeption wird das, was ich schreibe, zu Literatur. Vorher ist es bestenfalls ein Monolog.“

Dazu gehört auch, die antisemitische Vergangenheit Deutschland nicht als schrecklichen Ausreißer der Geschichte zu sehen, sondern sie einzubetten in die koloniale Geschichte Europas und sie zu verknüpfen mit dem bis heute existierenden Rassismus.

Hoffnungen, Erwartungen und die Wurstmetapher

Aber „Adas Raum“ ist kein politisches Pamphlet, zumindest nicht nur. Es ist eine Geschichte über das Leben und das „Ding“, das danach kommt und das wir oft weder verstehen können noch verstehen wollen. Ein Konzept, das Dodua Otoo aus der präkolonialen Ashanti-Kultur übernommen hat und mithilfe einer netten Metapher für alle verständlich macht:

„Dort, wo die bereits Verstorbenen und die noch nie Geborenen verweilen, sind wir alle so was wie ein Brät. Wie eine Fleischmasse – eine, die aus einzelnen Teilen besteht, unter anderem aus quirligen Persönlichkeiten, skurrilen Vorlieben und widersprüchlichen Gewohnheiten. Wenn es an der Zeit ist, uns zu Lebenden zu machen, werden wir gemeinsam durch eine Maschine, so etwas wie einen Fleischwolf, durchgepresst. Ihr müsst jetzt versuchen, den Schmerz, die Enge und das Blut wegzudenken, darum geht es gerade nicht. Behaltet einfach im Kopf: erst zusammen, dann getrennt.“

Es sind aber auch Geschichten über Mütter und Väter, die sich für ihre Kinder quasi selbst opfern, über Hoffnungen und Erwartungen, die mit der Migration in den Westen entstehen - und oft schnell wieder zerplatzen – und über die starken Bindungen, die zwischen Frauen existieren, seien es Schwestern, beste Freundinnen oder Tanten. Ein Gefühl für die diversen Schauplätze hat Sharon Dodua Otoo aus ihrer eigenen Geschichte: Geboren in London als Tochter ghanaischer Eltern ist sie 2006 nach Berlin immigriert, wo sie bis heute mit ihren vier Söhnen lebt. Was sie erlebt hat, aber auch was sie nicht erlebt hat und nur aus Geschichten und Erzählungen kennt, verarbeitet sie in ihrem Werk.

„Adas Raum“ ist ein umfassendes und ergreifendes Buch, das aber nie zu viel wird. Sollte es doch mal schwerer werden, lockert Dodua Otoo es wieder auf: Indem zum Beispiel ein Türklopfer oder ein Besen die Position des erzählerischen Ichs einnimmt, oder Gott auf einmal als Berliner in Erscheinung tritt. Sie hält sich nicht zu lange mit Nichtigkeiten auf und schafft es, in wenigen Sätzen Stimmungsbilder zu kreieren und sogar die sonst so stille Natur mit behutsam gewählten Worten zum Leben zu erwecken. Mit Sicherheit einer der besten Romane des Jahres.

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