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Straße in Bosnien

CC0/Pixabay

Lana Bastašić „Fang den Hasen“: Erinnerungskultur in Ex-Jugoslawien

Die Kindheitsfreundinnen Sara und Lejla begeben sich auf einen ereignisreichen Trip von Mostar nach Wien, quer durch das, was einmal Jugoslawien war. Metaphorisch steht ihre Heimat für ihre gemeinsamen Kindheits- und Jugenderlebnisse, an die sich beide ganz unterschiedlich zurückerinnern.

Von Alica Ouschan

Zwölf Jahre hat Sara nichts von ihrer Kindheitsfreundin Lejla gehört. Plötzlich bekommt sie einen Anruf und fällt in ihrem neuen Leben in Irland aus allen Wolken. Wenn Lejla etwas braucht, dann wird Sara springen - so war es schon immer. Ohne zu wissen, warum sich das nach all der Zeit nicht verändert hat, macht sie sich sofort auf in ihre alte Heimat – das, was früher einmal Jugoslawien war. Mit der Rückkehr nach Bosnien und dem Wiedersehen mit Lejla kommen auch all die Erinnerungen wieder hoch, vor denen Sara davongelaufen ist.

Buchcover Fang den Hasen

S.Fischer Verlag

„Fang den Hasen“ von Lana Bastašić ist im S.Fischer Verlag erschienen und wurde von Rebekka Zeinzinger aus dem Bosnischen ins Deutsche übersetzt.

„Ihr Name war dem Aussehen nach harmlos – ein winziger Stängel inmitten von totem Land. Ich riss ihn aus meinen Lungen heraus, als wäre es nichts. Lej-la. Aber mit diesem kurzen Zweig tauchte aus dem Sumpf die längste und dickste Wurzel auf, ein ganzer Wald an Buchstaben, Wörtern und Sätzen. Eine ganze Sprache, tief in mir begraben, die geduldig auf dieses kleine Wort gewartet hatte, um ihre verknöcherten Extremitäten auszustrecken und aufzustehen, so als hätte sie nie geschlafen.“

So beginnt der Roman der bosnischen Autorin Lana Bastašić. Anstatt der erwarteten Geschichte über zwei Freundinnen, die sich auseinandergelebt haben und wieder zueinander finden, schreibt sie mit „Fang den Hasen“ eine ungewöhnliche Road-Novel, die quer durch das führt, was sie selbst das „Schwarze Herz Europas“ nennt.

Komplexe Charaktere und vielschichtige Erinnerungen

Die Geschichte wird in ihrem Verlauf immer vielschichtiger. Zwischen Gegenwärtigem und Vergangenem wechselnd werden die Erinnerungen der Ich-Erzählerin Sara dargelegt. Die 1980 geborene Frau erinnert sich an den Zerfall Jugoslawiens, ans Aufwachsen in einer von Gewalt geprägten Familie als Tochter des Polizeichefs und an die tiefschürfenden Konflikte zwischen Serb*innen und Bosnier*innen in ihrer Heimatstadt Banja Luka, einer Hochburg des serbischen Nationalismus.

Dieser machte auch vor der Freundschaft der beiden jungen Frauen nicht halt: Saras Eltern wünschten sich für ihre Tochter eine bessere Freundin als die muslimische Bosniakin Lejla, deren Name im Laufe des Buchs von Lejla Begić zu Lela Berić wird, um serbischer zu klingen. Sara selbst scheint den gesellschaftlichen Aspekt des Konflikts in ihrer Ich-Erzählung völlig auszublenden und konzentriert sich stattdessen auf die zwischenmenschlichen Schwierigkeiten und Unstimmigkeiten in der Freundschaft. Dabei wird nicht nur symbolisch, sondern auch erzählerisch immer deutlicher, dass die Erinnerungen der Frauen sich teilweise unterscheiden, vieles verdrängt, beschönigt oder schwarzgemalt wurde, bis am Schluss niemand mehr weiß, was wirklich passiert ist.

„Vielleicht ist das Erinnern für mich auch wie ein zugefrorener See – trüb und glatt -, an dessen Oberfläche sich von Zeit zu Zeit ein Riss auftut, durch den ich meine Hand stecken und ein Detail, eine Erinnerung im kalten Wasser fassen kann. Doch zugefrorene Seen sind heimtückisch. Mal erwischt man einen Fisch, ein anderes Mal bricht man ein und ertrinkt. Aus Erfahrung weiß ich, dass fast alle Erinnerungen an sie die Tendenz zu Letzterem haben. Deshalb hatte ich mich zwölf Jahre lang bemüht, mich nicht zu erinnern.“

Die Jagd nach dem Phantom

Was beide eng miteinander verbindet, ist die Erinnerung daran, wie Lejlas älterer Bruder Armin ein Jahr nach Beginn des Kriegs spurlos verschwunden ist. Jetzt sei er angeblich in Wien. Österreichs Hauptstadt ist auch das Ziel dieses Road-Trips in einem alten Volvo, währenddessen all die Erinnerungen und die Hassliebe, welche die Freundschaft dominiert und hinter der sich ein Konflikt nach dem anderen verbirgt, immer weiter aufgedröselt werden. Dabei verwendet die Autorin eine Vielfalt an Bildern und Metaphern, vor allem das Motiv des Hasen kommt immer wieder vor, dem die beiden Frauen nachlaufen und von dem sie gleichzeitig nicht wissen, ob es ihn wirklich gibt - Albrecht Dürers Hase ziert passenderweise den Buchdeckel.

Lana Bastasic

Radmila Vankoska

Die bosnische Autorin Lana Bastašić erhielt für ihr Debüt „Fang den Hasen“ den Literaturpreis der Europäischen Union.

Versteckte Kritik?

Obwohl die Jugoslawienkriege in der Geschichte gar nicht so weit zurückliegen, sind sie nach meiner eigenen persönlichen Erfahrung in der österreichischen Schulbildung selten bis nie Thema. Dass Menschen, die keine persönliche oder familiäre Bindung zum ehemaligen Jugoslawien haben, meist kaum etwas darüber wissen, ist eine Problematik der europäischen Erinnerungskultur, der Wissensweitergabe und unsichtbaren Barrieren, die Lana Bastašić in ihrem Roman deutlich macht.

Sie erklärt den historischen Kontext kaum bis gar nicht, setzt stattdessen Vorwissen voraus und arbeitet stilistisch viel mit jugoslawischen Eigennamen und Begriffen, die im Glossar am Ende des Buchs nachgelesen werden können. Lana Bastašić zeigt mit ihrem Debütroman subtil, aber spürbar eurozentristische Strukturen auf und hat damit zurecht den Literaturpreis der europäischen Union abgeräumt.

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