FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Grafik: Pass

Radio FM4 | ge

Erneut Aufregung um doppelte Staatsbürgerschaft

Wieder einmal untersucht die MA35 in Wien Fälle von angeblichen türkisch-österreichischen Doppelstaatsbürgerschaften. Die Verfahren weisen auf ein strukturelles Problem hin.

Von Ali Cem Deniz

Kein Dokument ist für Migrant*innen in Österreich so wertvoll, wie der österreichische Pass. Wer österreichischer Staatsangehöriger werden will, muss strenge Voraussetzungen erfüllen. Der österreichische Pass gibt ein Gefühl der Sicherheit und Zugehörigkeit. Für viele türkeistämmige Österreicher*innen änderte sich das vor drei Jahren mit einem Schlag.

Nach langen Debatten über den Einfluss der türkischen Politik auf die austro-türkische Community, wurde der FPÖ damals eine vermeintliche türkische Wählerevidenzliste zugespielt. Auf Basis dieser Liste nahmen dann die Einwanderungsbehörden in Österreich Verfahren auf und überprüften die Staatsbürgerschaft von Zehntausenden Menschen. Allein in Wien waren mehr als 60.000 Menschen betroffen. Die Umstände, unter denen die Liste an die Öffentlichkeit gelangt war, und auch die Qualität der Liste - eine Excel-Tabelle - sorgten für massive Kritik an den Verfahren.

Die Landesgerichte aller Bundesländer gaben trotzdem grünes Licht für die Prüfungen. In den darauffolgenden Wochen häuften sich Meldungen über verlorene Staatsbürgerschaften, obwohl Verfassungsrechtler wie Bernd-Christian Funk weiterhin Zweifel an den Verfahren äußerten. Besonders problematisch waren die Verfahren, weil die Betroffenen aufgefordert wurden zu beweisen, dass sie keine türkische Staatsbürgerschaft besitzen. Das war nicht nur eine Beweislastumkehr, sondern ein unmögliches Unterfangen, weil die türkischen Behörden sich für die Menschen, die die türkische Staatsbürgerschaft abgelegt hatten, nicht mehr verantwortlich fühlten.

Am Ende wurden die Verfahren durch eine höchstgerichtliche Entscheidung gestoppt. Ein Mandant des Wiener Anwalts Kazim Yilmaz hatte beim österreichischen Verfassungsgerichthof Beschwerde eingelegt und Recht bekommen. „Das Gericht hat entschieden, dass diese Excel-Tabelle schlichtweg als taugliches Beweismittel nicht geeignet ist. Auch das Bundeskriminalamt hat einen Zugriff auf die Tabelle festgestellt“, so Anwalt Yilmaz. Das Gericht betonte außerdem, dass die Beweislast nicht bei den Betroffenen, sondern bei den Behörden liegt.

Viele legale Doppelstaatsbürgerschaften

Österreich ist verglichen mit anderen Ländern strenger, wenn es um Doppelstaatsbürgerschaften geht. Trotzdem haben die meisten Doppelstaatsbürger*innen ihre Staatsangehörigkeiten legal bei der Geburt erworben.

Es ist auch möglich, eine ursprüngliche Staatsbürgerschaft zu behalten, wenn man aufgrund von besonderen Leistungen die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen bekommen hat, so wie es bei der russisch-österreichischen Sängerin Anna Netrebko der Fall ist.

Nach dem Urteil konnte die austro-türkische Community, in der über Monate große Verunsicherung herrschte, aufatmen. Doch für einige Betroffene sollte das nicht das letzte Kapitel in der Causa um Doppelstaatsbürgerschaften gewesen sein.

Ein neues Urteil

Im März letzten Jahres hat der Verwaltungsgerichtshof eine weitere Liste mit Abfragen aus einer Datenbank der türkischen Wahlkommission für authentisch befunden. So wurden einige Hundert Verfahren in Wien, die nach der höchstgerichtlichen Entscheidung von 2018 zunächst ruhend gestellt wurden, erneut aufgerollt.

Für die Magistratsabteilung 35, die in Wien für den Bereich Einwanderung und Staatsbürgerschaft verantwortlich ist, ist das eine pragmatische Angelegenheit. „Bei einer Gruppe von einigen Hundert Verfahren war unklar, ob eine weitere Beweislage verwendet werden kann oder nicht. Das ist dann März 2020 entschieden worden und diese Verfahren werden jetzt sukzessive abgeschlossen“, sagt Abteilungsleiter Georg Hufgard-Leitner.

Nicht zuletzt wegen der deutlich niedrigeren Zahl an Betroffenen kam es dieses Mal zu keiner großen öffentlichen Debatte über die Verfahren. Dabei bringt der Verlust der Staatsbürgerschaft für die Betroffenen enorme Konsequenzen mit sich. Deshalb müsse man den Personen auch die Möglichkeit geben, eventuelle Verwechslungen zu klären, und sehr gründliche Verfahren führen, sagt Hufgard-Leitner von der MA35.

Kritik an Verfahren

Nicht nur die MA35 beschäftigt sich aktuell mit diesen Fällen. Auch der Wiener Anwalt Kazim Yilmaz, der 2018 beim Verfassungsgerichtshof Erfolg hatte, vertritt wieder einen betroffenen Mandanten. „Jetzt gibt es offenbar eine Internetseite einer türkischen Wahlbehörde, die angeblich zeigt, ob jemand in der Türkei wahlberechtigt sei oder nicht“, sagt der Anwalt, der diese Abfragen kritisiert. Es sei unklar, ob diese Internetseite tatsächlich der höchsten türkischen Wahlbehörde gehöre.

Dass die Einwanderungsbehörde sich nur an die Entscheidung des Gerichts halte, würde nicht ganz stimmen, meint Kazim Yilmaz: „Die erste Instanz ist die Staatsbürgerschaftsbehörde, also die MA35.“ Zunächst trifft also die MA35 die Entscheidung, ob die Abfragen als Beweis für eine Doppelstaatsbürgerschaft zu werten sind oder nicht. Er glaubt auch, dass der Verwaltungsgerichtshof sich nicht intensiv mit der Wählerdatenbank beschäftigt hat. Außerdem kritisiert er die Intrasparenz der Verfahren. Viele Betroffene wüssten nicht mal, warum es ein Verfahren gegen sie gibt.

Ein strukturelles Problem

Das österreichische Staatsbürgerschaftsrecht gehört zu den restriktivsten auf der Welt. Der Migrant Integration Policy Index hat bei einem Vergleich Österreichs Migrationspolitik als besonders streng kritisiert. Vor allem die Zukunftsperspektiven für Menschen mit Migrationshintergrund seien nicht ausreichend.

Auch beim Aufspüren von illegalen Doppelstaatsbürgerschaften ist Österreich verglichen mit anderen Ländern besonders engagiert. Die Debatte um den Einfluss von türkischer Politik auf türkeistämmige Menschen in Österreich hat in den letzten Jahren eine neue Dynamik gewonnen und damit auch die Sorge um Doppelstaatsbürgerschaften.

In den meisten Fällen tauchen solche verbotenen Doppelstaatsbürgerschaften auf, wenn Menschen beispielsweise am Flughafen einen zweiten Pass vorlegen, den sie eigentlich gar nicht haben dürften. Im Unterschied zu einem Pass sei ein Eintrag bei einer Wahlbehörde kein handfester Beweis, deswegen glaubt Kazim Yilmaz, dass die Betroffenen auch dieses Mal in letzter Instanz Recht bekommen könnten.

Ohne eine gesetzliche Änderung wird es wohl keine nachhaltige Lösung geben und auch in Zukunft könnte es immer wieder zu ähnlichen Verfahren kommen. Nicht nur Einwander*innen, auch österreichische Expats hoffen seit Jahren auf eine Modernisierung des Staatsbürgerschaftsrechts. In der österreichischen Politik ist der Gedanke an Lockerung eine Art Tabu, dabei könnte in einer globalisierten Welt gerade ein flexibles Staatsbürgerschaftsrecht ein Gefühl von umfassender Zugehörigkeit vermitteln.

Aktuell: