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Jenn Wasner inmitten einer Pflanze

Graham Tolbert

Die US-Musikerin Jenn Wasner nennt sich Flock of Dimes

Jenn Wasner betreibt seit rund 15 Jahren das Duo Wye Oak. Außerdem spielt sie bei Bon Iver, machte Musik zusammen mit den Future Islands oder Sharon Van Etten. Nun ist ein Soloalbum unter dem Namen Flock of Dimes erschienen.

Von Eva Umbauer

Rosen haben Dornen, sagt Jenn Wasner im FM4 Interview. Es tut weh, wenn einen diese Dornen stechen. Die Schönheit der Rose und auch den Schmerz, den sie einem zufügen kann. Es geht um Liebesdinge auf dem neuen Album von Jenn Wasner aka Flock of Dimes: Mein Herz wird gebrochen, aber auch ich habe schon einmal eines gebrochen.

Als Texterin ist Jenn Wasner vielleicht letztlich ein klitzeklein wenig interessanter als als Musikerin. Auf ihrem neuen Soloalbum „Head of Roses" lebt die profilierte Multiinstrumentalistin, Produzentin und Songwriterin aus Baltimore ihre experimentierfreudige Seite für ausladenden und hochmelodischen elektro-akustischen Indie-Pop aus.

Die aus der Großstadt Baltimore, Maryland stammende Musikerin ist eine fast schon manische Komponistin. Schon einmal veröffentlichte sie ein Album unter dem Namen Flock of Dimes, letzten Sommer ein Mini-Album, und nun eben wieder ein komplettes Album, das auf dem legendären Plattenlabel Sub Pop in Seattle erscheint. Früher die Heimat von Grunge, bringt Sub Pop heute allerlei interessante Musik heraus. Früher liebte auch Jenn Wasner die Musik von Kurt Cobain und seiner Band Nirvana - jene Band, die Sub Pop bekannt gemacht hat -, jetzt ist sie selbst Teil der Sub-Pop-Familie.

Plattencover mit abstrakter Malerei

Sub Pop

„Head of Roses“ von Flock of Dimes ist am 2.4.2021 bei Sub Pop erschienen.

Bei „Head of Roses“ macht auch Andy Stack mit, Jenn Wasners langjähriger Partner bei Wye Oak, die vor zehn Jahren mit dem Album „Civilian“ ihren Indie-Rock-Durchbruch hatten, um gleich darauf mit dem nächsten Album, „Shriek“, in eine experimentellere, elektronischere Richtung zu gehen. Auf „Shriek“ fand sich etwa ein Song mit dem Titel „Schools of Eyes“. Jenn Wasner verwendet gerne Mengenbegriffe, aber im ungewöhnlichen, eigentlich nicht passenden Zusammenhang.

Es gibt zum Beispiel eine „school of dolphins“, also eine Gruppe Delfine - eine Delfinschule, aber keine „school of eyes“. Es gibt etwa „a flock of sheep“, also eine Schafherde, aber nicht wirklich „a flock of dimes“. Der „dime“ ist der „Groschen“, das Zehn-Cent-Stück in der US-Währung. Das Wort „flock“ kann aber auch für „Kleinvieh“ stehen, also ein Beutelchen voller Kleingeld macht sozusagen auch Mist. Das mit dem Musikprojektnamen Flock of Dimes hätten wir also geklärt.

Der Sound ist immer wieder recht komplex, etwa die Arrangements oder die Taktbezeichnungen. Eigentlich ist Jenn Wasner eine Studiotüftlerin, eine akribische Komponistin sowieso, und gar nicht so sehr, wie sie jedenfalls im FM4 Interview meint, eine Live-Performerin. Das musste sie erst lernen, weil, wie sie sagt, ihr das Unterhalter*innen-Gen eigentlich ein wenig fehlt. Obwohl sie von Kindesbeinen an zusammen mit ihrer Mutter bei Familienfeiern Songs von Neil Young vortrug.

In Zeiten, wo es keine Konzerte gibt, ist das aber eine Art Segen, sie ist nicht abhängig von Auftritten, obwohl sie ihr natürlich mittlerweile schon ein wenig fehlen. Dass sie letztes Jahr etwa hundert Konzerte in der Band von Bon Iver gespielt hätte, diese aber nicht stattfinden konnten, das ist natürlich schon etwas schade, aber Jenn Wasner nutzte die Zeit und machte ihr neues Album fertig.

„Head of Roses“ wurde von Jenn Wasner zusammen mit Nick Sanborn von Sylvan Esso produziert. Letztere - Nick und Amelia Meath - sind ein Electronic-Duo aus Durham, North Carolina, wo auch Jenn Wasner mittlerweile wohnt. Ebenfalls gastieren auf „Head of Roses“ Musiker*innen wie Matt McCaughan von Bon Iver oder Meg Duffy von einer anderen US-Band, nämlich Hand Habits. Meg Duffy sagt über Jenn Wasner, dass sie eine unglaubliche Musikerin und Künstlerin ist, die es quasi schafft, Algebra-Aufgaben zu lösen, während sie Ballett tanzt. Ein schönes Bild einer Multitalentierten, ja, Hochbegabten, die ein weiteres ihrer musikalischen Projekte Dungeonesse nennt.

„I do feel as though it’s all songs. The difference between Wye Oak and Flock of Dimes is that Flock of Dimes is something I’m doing on my own or with other collaborators. But there aren’t really aesthetic rules. I don’t like putting aesthetic rules on myself when I’m trying to make things. The thing I was musically excited about exploring when I first made that first Flock of Dimes record were these electronic, synthetic textures, expanding my skill set in that area. But that’s only one kind of thing I’m interested in. The main reason behind all these different outlets and alter-egos is because it allows me to release more music. I want to make as much music as I can and I want to share as much music as I make. There are real hard limits to how much of that you are able to do with one band.“

Welcher der Songs, die Jenn Wasner kreiert, wird nun ein Song für Wye Oak und welcher einer für Flock of Dimes? Das ist gar nicht so klar. Sie entscheidet es intuitiv. Das letzte Album mit Wye Oak ist drei Jahre her, letzten Sommer gab es aber ein Mini-Album. Soviel steht fest, es wird wieder einen kompletten Wye-Oak-Longplayer geben.

Bis dahin hören wir die Songs von Flock of Dimes, Tracks wie den vom Piano definierten Titelsong „Head of Roses“, den Synth-Track „2 Heads“, den Psychedelic-Rock-Song „Price of Blue“, das poppige „Two“, die Electro-Pop-Elegie „One More Hour“, den Americana-Song „Awake For The Sunrise“ und den Cosmic-Country-Song „Walking“, wo Jenn Wasner singt: „We are walking just to walk.“ Eine Beziehung ohne Sinn. „My life belongs to me“, stellt sie schließlich fest.

Die Musikerin arbeitet gerne mit anderen zusammenarbeitet, in der Vergangenheit etwa mit der New Yorker Band The Dirty Projectors rund um den Songwriter Dave Longstreath, mit den Future Islands aus Baltimore, der alten Heimatstadt von Jenn Wasner, gleich zwei Mal („The Great Fire“ und „For Sure“) sowie mit der New Yorkerin Sharon van Etten.

Freundin Sharon Van Etten

Mit Sharon van Etten verbindet sie eine längere Freundschaft: Jenn Wasner arbeitete in Baltimore in einem Restaurant, wo abends dann Musiker*innen auftraten. Einmal wollte sie rasch hinaus aus der Arbeit, doch da begann diese Musikerin zu spielen, es war Sharon van Etten. Ihre Songs berührten Jenn Wasner so sehr, dass sie den ganzen Abend über blieb, und seither sind die beiden Freundinnen. Jenn Wasner spielt auf Sharon Van Ettens „Serpents“ von 2012 Gitarre und singt mit.

Auch mit einer anderen US-Musikerin ist Jenn Wasner eng verbunden, nämlich mit Madeline Kenney aus Seattle. Sie hat zwei Alben von Madeline Kenney produziert: „Perfect Shapes“, 2018, und „Suckers Lunch“ vom letzten Jahr. Wissen und Erfahrung an jüngere Musiker*innen weiterzugeben ist ihr wichtig. Es ist etwas, das sie selbst früher leider nicht wirklich erfahren hat.

Jenn Wasner spielt Gitarre - manchmal klingt sie dabei wie der große britische Klangkünstler Brian Eno, Bass, Piano und Keyboards. Während der Lockdowns brachte sie sich dann noch das Schlagzeug bei. Sie spielte zu dieser Zeit drei oder vier Stunden am Tag Drums - es half ihr, nicht verrückt zu werden.

„Head of Roses“ vom Multitalent Jenn Wasner aka Flock of Dimes ist eine Platte wie eine musikalische Skulptur, ein abwechslungsreiches und ambitioniertes Album, in dem man sich richtig gut verlieren kann.

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