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Filmstills aus beiden Dokus

Amazon/Kevin Higley

„Framing Britney Spears“ & „Crazy, Not Insane“ porträtieren umstrittene Frauen

Zwei sehenswerte Streaming-Dokus über eine kämpferische Gerichts-Psychiaterin und einen Popstar in der Krise.

Von Christian Fuchs

Die Menschen, die da am Anfang dieses Films in einer amerikanischen Großstadt lautstark demonstrieren, kämpfen nicht für den Klimawandel oder Black Lives Matter. Es sind Anhänger*innen der #freebritney Bewegung. Der Zustand von Britney Spears treibt ihre Hardcore-Fans nicht nur in Internetforen, sondern auch auf die Straße.

Vor 13 Jahren wurde die Popsängerin aufgrund ihrer angeblichen instabilen psychischen Befindlichkeit durch einen Eilantrag ihrer Eltern entmündigt. Seither verwaltet ihr Vater mit einem Anwalt das Konto von Britney Spears. Gleichzeitig funktioniert der scheinbar auf derartige Hilfe angewiesene Superstar in dieser Zeit, tritt in Las Vegas auf und veröffentlicht Platten.

Britney wird geschminkt

Felicia Culotta

TV-Ausschnitte und endlose Fan-Analysen

Was steckt hinter der Unmündigkeit von Britney, fragt sich diese Doku, die mit dem hochseriösen Stempel „Präsentiert von der New York Times“ wirbt? In knappen 74 Minuten kristallisiert sich nicht nur ein kaltblütiges Familiendrama heraus. Vor allem thematisiert „Framing Britney Spears“ auch den geballten Sexismus und die Frauenverachtung im Musikbusiness.

Man kann nur betroffen nicken, wenn Regisseurin Samantha Stark aufrollt, wie hier eine junge Frau blitzschnell zu einem Stereotyp degradiert wurde. Was man aber auch sagen muss: Tiefergehende Erkenntnisse gewinnt der Film nicht aus den gezeigten Collagen aus TV-Ausschnitten und Interview-Fetzen. „Framing Britney Spears“ wirkt formal wie eine Fließband-Doku aus dem Popfernsehen oder einem Entertainment-Channel.

Wir hören also, neben einigen wirklichen Zeugen der „Britney-Verschwörung“, vor allem endlos selbsternannte Spezialist*innen reden und besorgte Fans analysieren. Die Sängerin selbst oder gar ihr Vater haben nie auf die Interviewanfragen geantwortet. Trotz der kritischen Message reiht sich „Framing Britney Spears“ damit letztlich auch nur in den Reigen der Skandalberichterstattung ein.

Abseits der üblichen Killerklischees

Apropos Mündigkeit: Wann ist ein Mörder nicht mehr für seine Taten verantwortlich? Und warum werden Menschen überhaupt zu Mördern? Diese zentralen Fragen stellt Oscar-Preisträger und Doku-Vielfilmer Alex Gibney in seinem aktuellsten Werk. "Crazy, Not Insane“ diskutiert die Thesen der forensischen Psychiaterin Dorothy Otnow Lewis. In ihrer langjährigen Laufbahn begutachtete die Amerikanerin über 22 Serienkiller, darunter auch den berüchtigten Ted Bundy, der 1989 hingerichtet wurde.

Bundy, der grausige Popstar unter den Mördern, nimmt noch immer eine Art Sonderstatus ein. Der kultiviert und intelligent wirkende Mann, unlängst erst von Sunnyboy Zac Efron gespielt, erhielt noch in der Todeszelle Liebesbriefe von weiblichen Fans. Bundy passte offensichtlich gar nicht zu den üblichen Killerklischees, die mit desolaten Verhältnissen verbunden sind.

Aufgewachsen in einem Mittelklasse-Haushalt, ohne offensichtliche Traumata, mutierte er für Kriminologen wie auch den Boulevard zur Verkörperung des puren, bewusst motivlosen Bösen. Alles falsch, meint Dorothy Lewis vor laufender Kamera. Einen Tag vor seiner Exekution führte sie ein vierstündiges Gespräch mit Ted Bundy. Und sie forschte, recherchierte, wühlte tief.

Dorothy Otnow Lewis

Kevin Higley / Democrat and Chronicle-USA TODAY

Plädoyer gegen die Todesstrafe

Es gab sehr wohl heftigen Missbrauch in Bundys Kindheit, sagt Lewis in „Crazy, Not Insane“. Und möglicherweise, weil die Verdrängung Monster gebiert, litt der Killer dadurch an einer multiplen Persönlichkeitsstörung. Auch Bundy, beharrt die Psychiaterin, wurde jedenfalls definitiv nicht böse geboren. Und obwohl sich der wortgewandte Mörder sogar selber vor Gericht verteidigte, war er Lewis’ Meinung nach nicht vollständig zurechnungsfähig.

Framing Britney Spears“ ist via Amazon zu sehen, „Crazy, Not Insane“ ist bei SKY erschienen.

Dorothy Lewis lacht viel in diesem Film, erweist sich als aufgeweckte ältere Dame mit einem speziellen Humor. Das Dauerschmunzeln ist aber offensichtlich auch eine Distanzierungsgeste. Denn nicht nur der Horror ist in ihrer Arbeit dauerpräsent, Lewis gerät auch immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik.

Die Kontroversen entzünden sich erwartbarerweise an dem Schema, in das sie Serienmörder einteilt. Ein Mix aus traumatischen Kindheitserfahrungen, neurologischen Störungen und einer dissoziativen Identitätsstörung führt fast zwangläufig zu einem brandgefährlichen Menschen, ist sich die Psychaterin sicher. Die Ermittler*innen aus der großartigen True-Crime-Serie „Mindhunter“ würden Dorothy Otnow Lewis kollektiv zustimmen.

Auch Alex Gibney bebildert ihre Schlußfolgerungen ohne schlüssige Gegenstimmen. Egal, auch wenn man nicht alles unterschreibt, was die Killer-Expertin sagt, ihre Thesen sind faszinierend. Schließlich dekonstruieren sie radikal den Mythos vom kühl kalkulierenden Serienkiller á la Hannibal Lecter. Dass „Crazy Not Insane“ auch ein deutliches Plädoyer gegen die Todesstrafe ist, macht den Film doppelt sehenswert.

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