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Foto Sommer Lake

CC0/pexels

Buch

„Im Wasser sind wir schwerelos“ ist ein polnisches „Call Me By Your Name“

Der polnische Autor Tomasz Jędrowski erzählt in seinem Debütroman „Im Wasser sind wir schwerelos“ die Liebesgeschichte von zwei jungen Männern in Polen im Jahr 1980. Es ist eine Geschichte über eine verbotene Liebesbeziehung, verknüpft mit historischen Ereignissen.

Von Philipp Emberger

Ludwik, der Ich-Erzähler des Romans, ist 22 Jahre alt, schwul und kurz davor sein Studium abzuschließen. Bevor es jedoch so weit ist, muss er zum verpflichtenden Ernteeinsatz auf das polnische Land. Im sozialistischen Polen ist es auch für Intellektuelle Pflicht sich am sozialistischen Kampf der Arbeiterklasse zu beteiligen, wie es der Lagerleiter des Erntecamps in einer Ansprache bezeichnet.

„Ich war mir nicht sicher, was ich dort eigentlich machte, ich wusste nur, dass ich nicht gehen wollte. Schließlich tauchtest du auf, das Wasser lief an deinem Körper hinab, deine Haare klebten am Kopf, und dich so vor mir zu sehen, traf mich bis ins Mark.“

Neben der Ernte der Roten Beete zieht aber schnell etwas anderes Ludwiks Aufmerksamkeit auf sich: der schwarzhaarige Schönling Janusz. Die beiden Studenten freunden sich beim Schwimmen am Teich an, verbringen den Rest ihres Sommers miteinander und verlieben sich. Die Schwerelosigkeit, die sie in diesen Sommertagen verspüren, ist aber nur von kurzer Dauer und sobald sie wieder zurück in Warschau sind beginnt Janusz einen Job in der staatlichen Zensurbehörde. Der regimekritisch erzogene Ludwik ist davon alles andere als begeistert.

Buchcover im Wasser Sind Wir Schwerelos

Hoffmann und Campe

„Im Wasser sind wir schwerelos“, Tomasz Jedrowski, Verlag Hoffmann und Campe, 228 Seiten. In einer Übersetzung von Brigitte Jakobeit

Eine politische Liebesgeschichte

Der Autor Tomasz Jędrowski erzählt in seinem Roman im Rückblick und aus der Perspektive des Protagonisten Ludwiks nicht bloß die schwierige Liebesgeschichte der zwei jungen Männer. „Im Wasser sind wir schwerelos“ hat auch einen politischen Ton. Das ergibt sich alleine aus dem politischen Charakter ihrer Liebesbeziehung. Es war undenkbar, dass im Polen des Jahres 1980 zwei schwule Männer eine öffentliche Beziehung miteinander führen. Zwar waren gleichgeschlechtliche Beziehungen zu diesem Zeitpunkt in der Volksrepublik Polen nicht explizit verboten, 1970 wurden sexuelle Beziehungen zwischen gleichgeschlechtlichen Personen entkriminalisiert. Das Land galt in dieser Hinsicht im Vergleich zu anderen Ländern als äußerst modern.

In der Realität wurden schwule Männer vom Sicherheitsdienst überwacht und das gesellschaftliche Klima galt als ausgesprochen homophob. Öffentlich eine homosexuelle Liebesbeziehung zu führen, war, und ist es teils bis heute, in dem Land mit stark christlich-konservativer Prägung undenkbar. „Als ciota, als Schwuchtel wirst du immer einsam sein“, fasst es eine Zufallsbekanntschaft Ludwiks in einem Cruisingpark im Buch traurig treffend zusammen.

Jędrowski verknüpft in „Im Wasser sind wir schwerelos“ aber auch die Lovestory mit politischen Ereignissen und wirft einen Blick auf das historische Polen. 1980, zum Zeitpunkt des Romans, haben in Polen große Arbeiter-Streikbewegungen gegen das kommunistische Regime stattgefunden. Diese führten später zur Gründung der erfolgreichsten freien Gewerkschaft im ehemaligen Ostblock, der Solidarność.

„Dann drehte ich meine Tasche um und entleerte ihren Inhalt über der Straße. Die Flugblätter flatterten im Wind, schwebten hoch und weiter, wie eine auseinanderstiebende Taubenschar.“

Autorenfoto Tomasz Jedrowski

Tomasz Jedrowski

Tomasz Jędrowski

Nach der Flucht seiner Eltern aus Polen Anfang der 80er-Jahre ist der Autor Tomasz Jędrowski in Bremen geboren und aufgewachsen. „Im Wasser sind wir schwerelos“ ist zuerst in englischer Sprache erschienen. An der polnischen Übersetzung hat der Autor selbst mitgearbeitet, eine intensive Erfahrung wie er in Interviews erzählt.

Nach einem Rechtsstudium in Großbritannien arbeitete Jędrowski zunächst als Anwalt in London, bevor er seinen schriftstellerischen Ambitionen nachgegeben hat und seinen Debütroman schrieb. In seinem Buch stellt der Autor nun auch die Frage, wie es ihm selbst als homosexuellen Mann gegangen wäre, wäre er etwas früher im Land seiner Eltern auf die Welt gekommen.

Beeinflusst in seiner Tätigkeit wurde der Autor stark von James Baldwin und dessen Kult-Roman „Giovannis Zimmer“. Ein Umstand, der kaum zu überlesen ist. Ludwik hat den Roman bei seinem Ernteeinsatz mit in seiner Tasche und folglich gibt es gleich mehrere Referenzen auf den 1956 erschienen Roman. Für Ludwik und Janusz wird das Buch auch ein Zeichen, dass sie sich und ihre Sexualität nicht voreinander verstecken brauchen.

“Call Me By Your Name” made in Poland

Zwei verliebte junge Männer, ein malerischer Sommer, die 80er Jahre. Der Vergleich zum Roman „Call Me By Your Name“ des amerikanischen Schriftstellers André Aciman samt erfolgreicher Hollywood-Verfilmung drängt sich förmlich auf. Die Leichtigkeit, die Elio und Oliver im italienischen Sommer 1980 verspüren, liegt für Ludwik und Janusz aber in weiter Ferne. Die beiden Männer sind stetig von einem Gefühl der Angst begleitet.

"Aber wie Steine, die man mit voller Kraft in den Himmel wirft, kehrten die Bilder jenes Abends – die Jungs, die Männer, die sie begehrten, das Flirten, die Codes der Verführung, die ich nur erahnen konnte – noch stärker und intensiver zurück, als ich sie erlebt hatte. Das Gravitationsgesetz gilt auch für Erinnerungen.“

Mit beeindruckend akkurater Sprache beschreibt Jędrowski das Begehren der beiden jungen Männer auf der einen Seite, und die Angst ihre Gefühle auszuleben auf der anderen Seite. Der Roman kommt zu einem sehr aktuellen Zeitpunkt. In der jüngsten Vergangenheit erklärten sich immer mehr Regionen Polens zu sogenannten „LGBT-freien-Zonen". Ein Versuch, die LGBTIQ-Community Polens zu diskriminieren, und ihre Mitglieder*innen zu stigmatisieren und auszuschließen.

Umso wichtiger ist nun der Roman Jędrowskis, der queeren Personen in Polen Mut zuspricht und eine Stimme für ihre Anliegen ist. Jędrowski fängt punktgenau das Begehren und die Gefühlswelt der Männer ein und setzt es in seinem Romandebüt in einen historischen Kontext. Das macht „Im Wasser Sind Wir Schwerelos“ zu einem etwas anspruchsvolleren und auch politischeren „Call Me By Your Name“.

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