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Auwald

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Jana Volkmanns zweiter Roman ist ein düsteres Märchen

Eine verschrobene Protagonistin und die Donau-Auen als Schauplatz: In „Auwald“ erzählt Jana Volkmann die ungewöhnliche Geschichte von Judith, die sich zwischen Bratislava und Wien im Wald verliert und in eine Welt zurückkommt, die nicht mehr dieselbe ist.

von Michaela Pichler

Alle Zelte abbrechen, nur das Nötigste einpacken, die Vergangenheit hinter sich lassen und ein neues Kapitel aufschlagen: Geschichten vom Aussteigen gibt es viele. In einigen spielt die Natur als Alternative zur Schnelllebigkeit eine große Rolle, wie im Film-Klassiker „Into The Wild“ zum Beispiel, in dem Alaska als Sehnsuchtsort mit Emile Hirsch in der Hauptrolle inszeniert wurde. Jana Volkmanns zweiter Roman spielt auch zu großen Teilen in der Natur, allerdings nicht in Nordamerika, sondern quasi vor der eigenen Haustüre, an der Donau. In „Auwald“ entschließt sich die unnahbare Protagonistin Judith, einfach zu verschwinden. Zwischen Bratislava und Wien taucht sie im Wald unter, wo sie Tauwasser zum Trinken sammelt und sich nach Tagen des selbst erlegten Survival-Trips nur noch nach Limonade sehnt.

Jana Volkmann "Auwald"

Verbrecher Verlag

Der Roman „Auwald“ von Jana Volkmann ist im Verbrecher-Verlag erschienen. Ihr Debütroman „Das Zeichen für Regen“ ist 2015 in der Edition Atelier erschienen.

Halb Mensch, halb Holz

Judith ist eine Eigenbrötlerin. Sie fühlt sich in der Gegenwart von Menschen eher unwohl und lässt niemanden so wirklich an sie ran. Nicht einmal Lin, ihre Partnerin, mit der sie zwar in Wien zusammenlebt, zu der sie aber trotzdem Distanz hält – sicher ist sicher. Während ihre Freund*innen zu Silvester auf Parties ins neue Jahr rutschen, verliert sich Judith lieber in den Straßen der Stadt, alleine. Nur in ihrer Werkstatt ist die Tischlerin sie selbst, die unterschiedlichen Holzarten kann Judith am Geruch erkennen. Holz ist geduldig, Holz ist auch still, so wie es Judith am liebsten mag.

„Ich lege meine Hand auf die Holztäfelung und reibe. Wie gern würde ich mir einen Splitter einziehen. Ihn einwachsen lassen und so ein Stück vom Haus mitnehmen, wenn ich gehe. Wie viele Splitter ich mir schon eingezogen habe, könnte ich gar nicht zählen, nicht alle sind wieder herausgekommen, manche nur halb. Wahrscheinlich bestehe ich schon zu einem hohen Prozentsatz aus Holz.“

Vom Mensch zum Höhlentier

Als Judith sich völlig gedankenverloren in einem Auftragsstück an der Werkbank verliert, macht sich sogar schon ihr Chef langsam Sorgen und schickt sie in den Urlaub. Judith fährt mit einem Schiff nach Bratislava. Die Rückreise tritt die Protagonistin aber niemals an. Denn wie der Zufall es will, wird ihr die Brieftasche gestohlen, das Rückfahr-Ticket ist weg und für Judith tut sich auf einmal eine einmalige Gelegenheit auf. Statt sich einfach einen neuen Fahrschein zu besorgen, beschließt sie, unterzutauchen, von der Bildfläche zu verschwinden. Judith gibt niemandem Bescheid und macht sich zu Fuß auf den Weg, der Donau entlang Richtung Auwald.

„Sie war ein Höhlentier geworden, eine Chimäre, der Rucksack ihr Schneckenhaus, Hose und T-Shirt ihr Exoskelett. Im Tageslicht kehrte sich die Metamorphose um und auf der Wiese wurde wieder ein Mensch aus ihr, welcher, wusste sie noch nicht. Nichts roch so gut wie diese Landschaft, die sich nicht darum scherte, dass sich ein paar hundert Meter weiter ein gewaltiger Riss in der Wirklichkeit offenbarte. Hier gab es niemanden, nur sie. Also gab es niemanden.“

Jana Volkmann

Alain Barbero

Jana Volkmann ist in Kassel geboren und schreibt nicht nur Romane, sondern auch Gedichte, Kurzgeschichten und Literaturkritiken. Zuletzt ist gerade ihr Gedichtband „Investitionsruinen“ erschienen. Volkmann arbeitet und lebt mittlerweile in Wien, wo sie wohl auch für ihren zweiten Roman inspiriert wurde. Das Sujet des Neuanfangs und Zurücklassens ist der Autorin nicht fremd. Auch in ihrem Debütroman „Das Zeichen für Regen“ verlässt die Protagonistin eine Stadt, und reist in die Ferne, nach Japan.

In ihrem neuen Roman inszeniert Jana Volkmann den nahen Wald als Gegenentwurf zum geregelten Alltag von Judith. Während die Protagonistin sich im Unterholz dem Rhythmus der Natur anpasst, verändert sich auch die Welt im Draußen. In Wien sind die Straßen leer, das Burgtheater spielt keine Stücke mehr, eine Ausgangssperre lähmt die Stadt. Davon weiß Judith aber noch nichts. Zwischen Bratislava und Wien tut sich für sie ein Paralleluniversum auf, das aus der Zeit gefallen scheint.

In einer Welt ohne Menschen geboren, dachte sie, was für ein Glück. Und sie dachte, dass sie ihren Namen wohl in einer Höhle gelassen hatte, in der Dunkelheit, im Vorbeihuschen in eine feuchte Ritze geschoben.

Rätselhaftes Märchen-Feeling

Mit „Auwald“ ist der Autorin Jana Volkmann ein ungewöhnlicher Roman gelungen. Denn erzählt wird unzuverlässig. Mal aus Judiths Ich-Perspektive, mal in der dritten Person, erleben wir eine Welt, die nicht alles verrät und einiges im Unklaren lässt. Es passieren Katastrophen, die nicht beim Namen genannt werden und nicht nur die Protagonistin in der Schwebe lassen. Damit ist „Auwald“ als dunkles Märchen inszeniert, das die Lesenden auf eine rätselhafte Reise mitnimmt.

Investitionsruinen

Am Donnerstag, den 15. April 2021, liest Jana Volkmann bei einer Lesung vom Literaturhaus Wien. Die Autorin präsentiert ihren neuen Gedichtband „Investitionsruinen“, der im Limbus Verlag erschienen ist. Die Lesung startet um 19.00 via Livestream auf der Literaturhaus-Website! Ein lyrischer Vorgeschmack auf die Lesung ist Jana Volkmanns Gedicht „bandipur“:

wie ein streuner siehst Du aus
hungrig und uns menschen entwöhnt
mit stummen fingern isst Du
und zeichnest und ich wünschte
ich könnte Deine sprache nachahmen
und mit leisten händen meinen namen
in Dein skizzenbuch schreiben

stattdessen schreibst Du Dich mir
in den weg als ich durchs dorf gehe
hinter mir hör ich Deine schritte
drehe mich um und seh eine frau
die eine gasflasche auf der schulter trägt
und um die ecke schleicht eine katze
sie hat den gleichen rücken wie Du

[aus Jana Volkmann: Investitionsruinen, S. 29]

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