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London Grammar

Alex Waespi

Der majestätische Pop von London Grammar

Das englische Indie-Trio London Grammar begeisterte mit seinen ersten beiden Alben. Mit ihrem langerwarteten dritten erfindet sich die Band rund um Hannah Reid fast ein wenig neu. „Californian Soil“ ist ein tolles Comeback.

von Eva Umbauer

London Grammar veröffentlichen alle vier Jahre ein neues Album. Da steckt natürlich kein Plan dahinter, aber nach dem 2009 erschienen Debüt „If You Wait“ vergingen bis zu „Truth Is A Beautiful Thing“ vier Jahre. Auch auf die neue Platte ließen uns Hannah Reid, Dan Rothman und Dominic „Dot“ Major wieder genau diese Zeitspanne warten. Dabei war erst überhaupt gar nicht klar, ob es ein drittes Album von diesem so erfolgreichen Londoner Indie-Pop-Trio geben würde, denn Sängerin und Texterin Hannah Reid war ziemlich angefressen auf das Musikbusiness. Sie fragte sich, ob sie denn überhaupt dafür geschaffen sei.

Wo viel Licht ist ja meist auch größerer Schatten. Das erste Album von London Grammar erreichte in den britischen Albumcharts die Nummer Zwei, und der Nachfolger wurde gar Nummer Eins. Dennoch dachte Hannah Reid daran, aufzuhören. Es gab für sie viele unangenehme Erlebnisse als Musikerin, als Sängerin, als Frontfrau einer Band - von sexistischen Tweets eines wichtigen britischen Radiosenders bis zu Securities, die sie vor einem Konzert nicht in die Garderobe lassen wollten, weil sie meinten, sie wäre nicht die Künstlerin selbst, sondern bloß ein aufdringlicher Fan. Dinge, mit denen Hannahs beide Bandkollegen nicht zu kämpfen hatten.

„This record is about gaining possession of my own life. You imagine success will be amazing. Then you see it from the inside and ask, ‚Why am I not controlling this thing? Why am I not allowed to be in control of it? And does that connect, in any way to being a woman? If so, how can I do that differently?‘“

Anstatt sich aber von der Musik zurückzuziehen, hat Hannah Reid dann aber all ihre Kraft zusammengenommen und Vieles was falsch läuft, Frauen im Musikgeschäft betreffend, in Songtexten thematisiert. Daraus entstand das neue Album von London Grammar. „Californian Soil“, so der Albumtitel, eignet sich auch als London-Grammar-Einstiegsalbum. Es geht hin zum Dancefloor, zu klassischem House, 00er Jahre R&B, Ambient-Pop, lässt aber den melancholischen Songwriter-Sound von London Grammar nicht komplett weg - dezente Gitarren, ein klassischer Konzertflügel, düstere Synths.

„We shut the world away“, sagt Hannah Reid im FM4-Interview über die Entstehung von „Californian Soil“. Das kleine Londoner Studio von Dan Rothman wurde zum Mittelpunkt für die Band. Hannah Reid sang in ein nicht besonders teures Mikrofon, und überhaupt fühlte sich alles wieder ein wenig an wie zum Beginn von London Grammar. Dan, Dominic und Hannah spürten wieder, dass sie noch immer eine richtige Band waren und kein Produkt der Musikindustrie.

London Grammar: Californian Soil Albumcover

Metal & Dust/Ministry Of Sound/Universal

„Californian Soil“ von London Grammar ist bei Metal & Dust/Ministry Of Sound/Universal erschienen.

Wenn du Erfolg hast mit deiner Musik, wollen plötzlich alle möglichen Leute dabei mitreden, sagt Hannah Reid. Jeder hat dazu eine Meinung. London Grammar haben sie nun alle ausgesperrt, außer ein paar Menschen wie Charlie Andrew, George FitzGerald und Steve Mac, die bei der Produktion halfen. Ersteren kennt man vielleicht von seiner Arbeit mit Alt-J, zweiteren von britischen Musiker*innen wie Tracey Thorn oder Bonobo, und letzterer ist ein höchst erfolgreicher britischer Pop-Producer, der mit Westlife genauso wie mit Ed Sheeran im Aufnahmestudio war.

Das letzte Album von London Grammar wurde vom Briten Paul Epworth produziert, den man von Bands wie Maximo Park, Mumford And Sons oder Florence And The Machine kennt. Und manchmal heißt es, London Grammar würden wie eine Art Mix aus Massive Attack und Florence & The Machine klingen: Trip-Hop trifft auf Dramatik-Pop. Das stimmt zum Teil. Bei einem der neuen Songs, „Lord It´s A Feeling“, in dem es um eine toxische Freundschaft geht, erinnert Hannah Reid tatsächlich ein wenig an Florence Welch, aber insgesamt ist ihre Stimme anders, weniger „anstrengend“, beruhigender. Die superbe Stimme von Hannah Reid ist eine ganz besondere, eine Alt-Stimme, also tiefer als der Sopran.

Schon früh nahm Reid Gesangsstunden, wollte aber Schauspiel studieren, nachdem sie ein Stipendium dafür bekommen hatte, und sie dachte auch daran, überhaupt etwas ganz anderes zu werden, nämllich Psychoanalytikerin. Die Londonerin studierte schließlich im nordenglischen Nottingham Englisch und Kunstgeschichte. Währenddessen traf sie Dan Rothman, der sie am Campus Gitarre spielen gesehen hatte. Dan fragte Hannah, ob sie nicht mit ihm eine Band gründen wollte. Der Rest ist London-Grammar-History.

Die erhabene Stimme von Hannah Reid ist der rote Faden durch die neuen Songs von London Grammar. Würdevoll und feierlich geleitet sie durch recht unterschiedliche Tracks wie „Lose Your Head“, „America“ oder „I Need The Night“. Das neue Album von London Grammar fühlt sich tatsächlich wie eine nächtliche Reise an, oder auch wie ein Film, in den man einsteigt und der einen bis zum Schluß mitreißt.

Es gibt aber auch Atempausen, etwa „Talking“ mit seinem wunderschönen Konzertflügel. Im Text von „Talking“ heißt es: „All of these roads are leading to nowhere you see, when this world ends as we know it (...), so all of these changes are the visions of futures I see.“

In „America“ singt Hannah Reid Zeilen wie „all of our time chasing America, but she never had a home for me, all of our time chasing a dream, a dream that meant nothing to me... I´ll just be left here in America, but she never had a home for me.“ Ein Song, der ein Abgesang auf den amerikanischen Traum ist und der ein wenig an Lana Del Rey erinnert.

„I left my soul on Californian soil“, singt Hannah Reid im Albumtitelsong „Californian Soil“, einem Art-Rock-Track. Sie mochte, wie sie sagt, einfach den Klang der Worte „Californian“ und „soil“ zusammen. Eine Referenz an die amerikanische Jazz-Sängerin Marlena Shaw und ihren 1969er Klassiker „California Soul“ ist der Albumtitel dennoch.

„Californian Soil“ von London Grammar ist ein beeindruckendes, emanzipiertes Comeback - fließend, opulent, reichhaltig, und trotz ernster Themen auch mit einer gewissen Leichtfüßigkeit. Ein wunderschönes, majestätisches und oft tanzbares Pop-Album, mit dem London Grammar in ihrer ganz eigenen Liga spielen.

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