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Gesichter aus Stein: eines lacht, eines weint

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das magische auge

Die Geschichte der Welt – Die Improkriege

Nur wenige wissen, dass der Horror der Improvisation früher noch wesentlich schlimmer war als heute. Das Magische Auge erkundet erstmals ein genauso dunkles wie spontanes Kapitel der Menschheit, das wohl aus Mangel an narrativer Tragkraft aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht wurde.

Von Elias Hirschl von Das magische Auge

Wir alle haben ein eher zwiespältiges Verhältnis zum Improtheater. Die sektenhafte Dauermotivation, die endlose Freude über alle eingebrachten Vorschläge und Ideen und vor allem der Enthusiasmus über die eigene Spontanität lassen uns bei jedem Theaterbesuch an unseren Lebensentscheidungen und der Menschheit im Allgemeinen zweifeln.

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Eingeführt von einer Wiener Laienschauspielgruppe von dementen Senioren, die 1734 bei einer Aufführung von Romeo und Julia ihren Text vergessen hatten und stattdessen drei Stunden lang nur fragten, wo sie seien und was das Publikum von ihnen wolle, revolutionierte das Improvisationstheater seit seiner Erfindung die moderne Dramatik und schickte einen ganzen Haufen Theaterautoren für immer in die Arbeitslosigkeit. Das neue Bühnenformat fand in seinen Anfangsjahren reges Interesse vor allem bei Laienschauspielern und endete nur selten in einer unabsichtlich in Gang gesetzten Inquisition, wenn einer der Schauspieler auf der Bühne wieder einmal unbedacht jemanden in einem Aufwärmspiel als Hexe bezichtigt hatte.

Jahrzehntelang sollte das Improtheater blühen und gedeihen, bis es im Jahr 1813 am Wiener Burgtheater schließlich zu einem Skandal kam: Die Improtheaterschauspielerin Hermine Weißwurstäquator sammelt eines Abends vom Publikum die drei zugerufenen Begriffe „Haus“, „Militäroffizier“ und „hinterhältig“ ein und weigert sich, sie wieder herzugeben.

Hinterhältig, wie sie als kriegstreibende Militäroffizierin nun mal ist, hat sie die Begriffe von den Zuschauern gestohlen und hinterlässt ihr Publikum verwirrt, ausgezehrt und verraten vor den Ruinen seines Lebens. „Sie hat einfach meine Immobilie gestohlen!“, ruft eine der verzweifelten Zuschauerinnen in einem Geschichtsbuch. „Und meinen Job als Militäroffizier!“, ruft ein weiterer. „Und meine Hinterhältigkeit!“, ruft ein dritter. „Meine Hinterhältigkeit ist weg! Jetzt bin ich auf einmal ganz aufrichtig. [weint] Da schauen Sie, ich füll schon wieder einen Dauerauftrag für Ärzte ohne Grenzen aus! [weint] Why nur why?!“

Ein offenes Auge als Logo für den Podcast "Das magische Auge"

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Das Magische Auge: Surreale Comedy und paranormale Reportagen aus dem Paralleluniversum von und mit Berni Wagner, Leopold Toriser, Elias Hirschl und Antonia Stabinger gibt es auch als Podcast.

Die Improschauspielerin, der nun die unbegrenzten Mittel eines Hauses sowie die Gewalt über das österreichisch-ungarische Militär anheimgefallen sind, erklärt sofort Krieg gegen jedes Land, das ihr vom Publikum zugerufen wird. Surinam, Tadschikistan, Nauru, Äquatorialguinea – kein Land, dessen Wikipedia-Artikel von einem stolzen Bobo gelesen worden ist, der nun vor einem Theaterpublikum mit seiner Weltoffenheit prahlen will, ist vor ihnen sicher. Ohne Erbarmen ziehen die Improtheatergruppen durch die Lande und verwüsteten alles, was ihnen in die Finger kommt. Schwarz uniformiert in Rollkragenpullovern und dazu passenden Slim-Fit-Hosen marschieren die Improschauspieler durch die Straßen und improvisieren alles und jeden weg, der nicht so tut, als ob er angenagelt wäre.

Aus weiter Ferne hört man ihre autoritären, krankhaften Slogans schon durch die Gassen hallen. Sie rufen: „Spiel das Spiel einfach mit! Setz dich zu uns und steig einfach ein! Akzeptiere die Ideen, die dir vorgeschlagen werden! Vorschläge abzublocken ist zwecklos!“ Selbst wenn man vor Angst wie eingefroren vor ihnen steht, kennen die Improschauspieler keine Gnade, sondern tippen einem nur auf die erstarrte Schulter, um eine neue Szene zu beginnen. Sie werden nicht aufhören, Wörter aus dem Publikum einzufordern, bis alle Namen, Berufsbezeichnungen, Orte, Tätigkeiten und Charaktereigenschaften Teil ihres zusammenhanglosen Stückes geworden sind. Und das letzte, was man hört, bevor man von tosenden Rauchschwaden eingehüllt wird, ist: Aufwärmrunde! Zip! Zap! BOING!!!!“

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