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Portrait Musikduo Don't Go

Hanna Fasching

musik

Elektro-Pop der Gegensätze

Ein neues Leben zwischen digitalen Beats und analogen Klängen, zwischen Pop und experimentellem Sound. Das Ehepaar Don’t Go verzaubert uns mit ihrem Debüt „Jasmine“ und erschafft neues, musikalisches Leben.

von Andreas Gstettner-Brugger

Der Hirnforscher und Autor Gerald Hüther hat es in letzter Zeit des Öfteren schön auf den Punkt gebracht. Wie immer sich die Pandemie auch entwickeln mag und wie hoch auch immer unser Verlangen ist, alles kontrollieren zu wollen: Das Leben wird sich unaufhaltsam entfalten. In welche Richtung auch immer. Manchmal müssen wir also auch loslassen können, um den Dingen ihren Lauf zu lassen.

Das hat das Ehepaar und musikalische Duo Nina Jukić und Alexander Forstner alias Don’t Go gleich auf mehreren Ebenen gemacht. Denn mit „Jasmine“ ist nicht nur ihr Debüt-Album auf die Welt gekommen, sondern während den Aufnahmen auch ihre kleine Tochter. Die natürliche und freie Art und Weise, Musik zu machen, spiegelt sich in allen Songs ihres Werks wider.

Unsicherheiten und Ängste vs. Hoffnung und Mitgefühl

Schon die erste Single „Maybe We’re Just Getting Younger“ enthält den wichtigsten Aspekt des Werks von Don’t Go: Die Gegensätzlichkeit. Denn der Song handelt trotz des melancholischen Grundtons eigentlich von der Hoffnung, dass das Leben ein Gutes wird, selbst wenn wir älter werden. Gedreht im nie in Betrieb genommenem Atomkraftwerk Zwentendorf, erzeugt das Video eine unheimliche Atmosphäre als Kontrapunkt zu dem ermutigenden Aufruf, mit unseren Unsicherheiten leben zu lernen, die wir alle in uns tragen. Es geht auch um’s Loslassen.

Albumcover Don't Go "Jasimne"

Don't Go/Seayou Records

„Jasmine“ von Don’t Go ist bei Seayou erschienen

So ist auch die musikalische Ebene geprägt von scheinbaren Gegensätzen. Dem organischen Sound stehen elektronische Beats gegenüber. Zur manchmal Band-haften Instrumentierung werden als Gegengewicht field recordings und spontane, akustische Momentaufnahmen in die Waagschale geworfen. So zupft bei dem instrumentalen „Prelude“ die ein paar Monate alte Tochter des Ehepaars die Saiten einer akustischen Gitarre. Ganz leise ist auch ihr liebes Schnaufen bei dieser klanglichen Entdeckung zu hören, dieser erste Moment der Berührung mit Musik. Dazu läuft eine sanfte Klaviermelodie wie ein leiser Gebirgsbach stromabwärts und lässt selbst in dieser schönen Situation an die Vergänglichkeit des Lebens denken.

Die speziellen Aufnahmen für den Song „What If“ entstanden bei der Intertonale in Scheibs 2018. Bei dem Festival lernten Nina und Alexander Sophie Lindinger von Leyya kennen, die dann die Produktion des Debüts von Don’t Go übernehmen sollte. In den von ihr und Marco Kleebauer geleiteten Workshops hat sich Nina zum ersten Mal mit field recordings beschäftigt. So sind in dem Song der Klang von auf einen Tisch fallendem Studentenfutter oder das Klopfen des Bleistifts auf verschiedenen Gegenständen zu hören. Auch mit der Stimme haben Don’t Go experimentiert, sie zerschnitten und geloopt, sodass hier eine ganz spezielle, etwas unheimliche Stimmung entsteht.

Inhaltlich geht es in „What If“ um die Angst als ständige Begleiterin im Leben, um die Auseinandersetzung damit und zum Teil auch um das Akzeptieren der Angst, um eine Veränderung zu erreichen. Der sehr reduzierte Track lässt uns genug Raum zwischen den Tönen und den Wörtern, um unseren eigenen Gefühlen nachspüren zu können. Dadurch entsteht eine Verbindung zu der Musik und den beiden Menschen dahinter. Mitgefühl, ausgelöst durch diesen intimen und persönlichen Song, bei dem die beiden Musiker*innen keine Masken tragen und sich nicht hinter dick aufgetragener Produktion oder allgemeinen oder abstrakten Phrasen verstecken, sondern uns in ihre Seele blicken lassen.

Weniger Denken, mehr Leben

Die Geburt ihrer Tochter hat nicht nur das Alltagsleben von Alexander und Nina nachhaltig verändert, auch Ninas Angstzustände sind weniger geworden. An ihre Stelle ist ein tiefes Gefühl der Zuneigung und Liebe zu ihrer Tochter und eine gewisse Erdung getreten. Auch wenn das junge Elternpaar vor Herausforderungen steht, ist eine gewisse Ruhe im Inneren eingetreten.

Dazu passend ist das Stück „Think Less“ die Aufforderung an uns, weniger verkopft an das Leben heranzugehen, sondern in den flow einzutauchen und sich selbst mit allen Ecken und Kanten anzunehmen. Auch das farbenfrohe Video transportiert die Grundstimmung des Songs auf sehr sympathische und humorvolle Weise.

Das Album von Don’t Go zeichnet eine profunde Tiefe aus. In den oft sanften Songs, der dichten Atmosphäre und den auf das Wesentliche reduzierten Klängen ist jederzeit zu spüren, dass es hier um mehr geht als eine vereinfachende Schwarz/Weiß-Sichtweise. Don’t Go beschäftigen sich mit den Grau- und Zwischentönen des Lebens, den Spannungsfeldern zwischen Fröhlichkeit und Trauer, Angst und Leichtigkeit. Zudem ist ein immer wieder auftauchendes Thema die Zeit. Schließlich leben wir alle in diesem von Menschen erfundenem Konzept, das unseren Alltag bestimmt und oft erst die Relation von Erfahrungen und damit deren Einordnung möglich macht.

So sind wir häufig damit beschäftigt, in die Vergangenheit zu schauen oder aber wenden unseren Blick in die Zukunft, mit schönen Wunschvorstellungen oder sorgenvollen Ängsten. Es ist eine große Herausforderung, gerade in der heutigen Zeit der „alles unter Kontrolle halten Wollens“ dem Leben auch seinen Lauf zu lassen, im Hier und Jetzt anzukommen und dadurch vielleicht wieder eine Spur mehr Vertrauen schöpfen zu können. Dafür müssen wir manchmal in die Tiefe gehen, um herauszufinden, was unsere Bedürfnisse und Wünsche sind.

Dass dieser Blick nach innen auch schmerzhaft sein kann, macht der Song „Deep“ hörbar, wobei auch deutlich wird, dass wir uns durch Vergleiche und dem „Aufschauen“ oder dem Orientieren am Leben der Anderen oftmals das Unglück begraben liegt.

Don’t Go machen mit „Jasmine“ das Leben in all seinen unterschiedlichen Fassetten hörbar, ohne zu Werten. Es die achtsame und wohlwollende Haltung gegenüber all unseren Erfahrungen, die hier in wunderschöne Songs transformiert worden ist und deshalb dieses Debüt zu etwas ganz Besonderem gemacht hat. Ein Album zum Träumen, Aufwachen und Genießen.

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