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Was wenn wir einfach die Welt retten?

Kiepenheuer & Witsch

Wir sind in einem Thriller!

Frank Schätzing, der erfolgreichste Krimiautor Deutschlands, hat ein Klimabuch geschrieben. Aber auch „Was, wenn wir einfach die Welt retten? Handeln in der Klimakrise“ ist eine Art Thriller. Und die Akteure sind wir.

Von Boris Jordan

Frank Schätzing sitzt während des Pandemie-Jahres zuhause und schreibt an einem weiteren Buch. Eines Tages platzt ihm dann in mehrfacher Hinsicht der Kragen:

„So richtig es war – und natürlich immer noch ist – dass man die Lösung der Coronakrise mit allen nur erdenklichen Anstrengungen verbindet, dass man alles dafür tut, dass man sie natürlich auch zu einer gewissen Monothematik erklärt, darf man dieses viel größere Bedrohungsszenario Klimawandel nicht aus den Augen verlieren. Aber genau das passierte: Das einzige was man im letzten Jahr vom Klimawandel noch hörte, waren dann plötzlich so Diskussionen, man müsse die Kosten für den Klimaschutz runterfahren, weil Corona jetzt so teuer wird. Das ist natürlich völliger Schwachsinn. Ein Schlüsselerlebnis hatte ich im Oktober auf einer virtuellen Konferenz zur Zukunft der Klimabewegung. Dann drehte sich das Ganze aber unentwegt nur um den angeblichen Alt-Jung-Konflikt, in der ersten Hälfte des Gesprächs wurden nur Fronten hochgezogen, in der zweiten, wo es dann um Lösungsansätze ging, war alles dominiert von ‚Ja, aber ...‘, also das, was wir uns in Deutschland so angewöhnt haben, ‚diplomierte Bedenkenträgerschaft‘. Ich hatte zu der Zeit einen Thriller in Arbeit, war schon auf Seite 250, völlig anderes Thema. Dann habe ich zu meiner Frau gesagt: ‚Ich halte das nicht aus, ich muss jetzt ein Klimabuch schreiben‘. Und so ist es passiert.“ (Frank Schätzing im Interview mit Radio Eins.

Von der „diplomierten Bedenkenträgerschaft“ ist Schätzings Buch „Was, wenn wir einfach die Welt retten? Handeln in der Klimakrise“ jetzt wirklich ein Stück entfernt. So sehr uns der Erfolgsautor mit allen Tricks, die einem Krimiautor zur Verfügung stehen, in das Szenario hinein zieht, so sehr er uns mit unabwendbaren Fürchterlichen Untergangsfakten bombardiert, so sehr vermittelt er uns seinen Optimismus und sein letzliches Vertrauen in die Machbarkeiten der Klimabewegung, die Möglichkeiten von Wissenschaft und Technik und die Einsicht des Einzelnen, seine Lebensweise an die Erfordernisse des Klimawandels anzupassen.

RCP 8.5 – Der Thriller

Frank Schätzing kommt aus der Werbung. Dass er relativ komplexe Inhalte verständlich und spannend rüberbringt, hat er schon mit seinen Krimis bewiesen, denen umfangreiche Recherchen zu den Themen Ozeane, Künstliche Intelligenz, Medien, Big Data, Weltraum-Kolonisation usw. zugrunde liegen.

Der scheinbar optimistische aktuelle Titel überschreibt ein Buch voller Fakten und Dystopien, aber es beschreibt auch genau die Handlungsspielräume, die uns als Gesellschaften und Individuen gegeben sind, um das Unheil abzuwehren. Schon zu Beginn erklärt uns Schätzing den Unterscheid zwischen Krimi und Thriller:

„Anders als beim Thriller steht beim Krimi die Eskalation am Anfang. Jemand wird gemeuchelt, verdächtige marschieren aus, wo waren sie gestern Abend, die Schlinge zieht sich zu, Showdown , Fall abgeschlossen. Nichts beruhigt so wie ein schöner Krimi. Thriller funktionieren andersrum. Am Anfang steht Normalität. Heile, kleine Welt. Familie, Nachbarn, Freunde. Dann bricht etwas ein. Unheimlich, Unerklärlich. Die Ordnung erodiert, und je weiter das Ganze voranschreitet, desto schlimmer wird es. Sicher geglaubte Strukturen zerfallen. Gewissheiten enden. Vertrautes wendet sich gegen uns. Thriller erzählen vom Kontrollverslust. Bei Roland Emmerich pflegt das im Weltuntergang zu enden.“

Wir ahnen schon: Unsere Geschichte gleicht einem Thriller. Und in diesem spielen wir die Hauptrollen, wir sind die Akteure des gegenwärtigen Klimathrillers. Die alles überschattende Hauptvision trägt den an Science Fiction gemahnenden Titel RCP 8.5 (für „repräsentativer Konzentrationspfad“).

Diese stammt nicht von Schätzing, sondern vom Weltklimarat IPCC der für seine Arbeiten zur globalen Erwärmung 2007, gemeinsam mit Al Gore, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. RCP 8.5 beschreibt den Zustand der Welt im Jahr 2100, wenn die menschliche Zivilisation so weiter machen würde wie bisher.

Wie in einer Serie wird die Leser*in zur Hauptfigur von Schätzings Thriller-Experiment, wird auf Reisen durch Zeit und Raum mitgenommen, vom Dezember 2015 bei der 21. UN-Klimakonferenz bis zum Untergang des meisten Lebens auf der Erde und dem faktischen Aussterben der Menschheit in 2100. Wir hören in jeder der „Staffeln“ der Serie Wissenschaftlerinnen zu, die das Beschriebene untermauern. Am Ende, wie bei Roland Emmerich, ist die Welt, wie wir sie kennen untergegangen.

„Aber muss es soweit kommen? Noch können wir RCP 8.5 gegen ein erquicklicheres Szenario eintauschen: Langfristig vielleicht gegen die glitzernden Visionen der Utopisten. Ein Jahrzehnt , den Kurs zu ändern, bleibt uns, dann wird es eng.[…] Einiges haben wir vermasselt. Aber sehr viel mehr können wir richtig machen.“

Was wenn wir einfach die Welt retten?

Kiepenheuer & Witsch

„Was, wenn wir einfach die Welt retten? Handeln in der Klimakrise“ von Frank Schätzing ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Und dann geht es los. Schätzing entführt uns auf die vielleicht faktendichteste Reise durch die Szenerie. Er beschreibt die Situation der Ozeane, von Eismassen und Meeresströmungen, von Winden, Wäldern und dem Artensterben., Er nennt die Schuldigen: Kohle, Öl, Flugreisen, Bodenversiegelung, Autos, Fischerei, Plastik, Müll, Fleisch, in allen bekannt brisanten Technologien und Produktionsabläufen. Er empfiehlt im Umgang mit ölfinanzierten Klimaleugnern und den Echsenmenschen-Stories der VerschwörungstheoretikerInnen wissenschaftliche Akribie und Fokussierung, Langmut – und das letztliche Ignorieren von Idioten: Die sich ständig wiederholende Diskussion von bereits Bewiesenem sei irgendwann mal Zeitverschwendung und bringe uns nicht weiter.

Er erklärt uns mit Hilfe der Chaostheorie so genannte „Kipppunkte“, unvorhersehbare Momente, nach denen Systeme nicht mehr berechenbare, chaotische und eskalierende Sprünge beschreiben, die nicht mehr aufhaltbar sein werden. Mit Hilfe der Spieltheorie zeigt er auf, wieviel einzelne Akteure - von der einzelnen Schülerin mit Pappschild bis zum US-Präsidenten - bewirken können, wie die Fülle der negativen Informationen und Szenarios in eine fatalistische Untätigkeit kippen kann, und wie Gesellschaften mit einem System aus Bestrafung, Besteuerung und Belohnung auch die Hartnäckigsten zum richtigen Handeln bewegen könnten.

Er erörtert nicht allen geläufige Begriffe wie den Rebound Effekt, ESG Investments, SRM Forschung und Carbon Management. Er listet auch all die Wundertechnologien auf, mit denen wir der Erderwärmung Herr werden können, von der E- Mobilität bis zum Geo-Engineering, wie es Norwegen vorschlägt - freilich nicht, ohne auch auf ihre Kehrseiten hinzuweisen.

Und dabei insistiert Schätzing immer wieder, dass die Hauptschuldigen „wir selbst“ und unsere wenig nachhaltige Lebensweise seien. In diesem Punkt stimmt er auch mit dem anderen umweltbewegten Erfolgsautor, Jonathan Safran Foer, überein. In einem aktivierenden Plauderton, der ein wenig an die Einleitungskapitel Erich Kästners zu seinen Kinderbüchern erinnert (nicht die schlechteste Referenz für einen deutschen Autor mit Auftrag und gewiss ein Gegenstück zu erwähntem „Bedenkenträgerschaft“) besteht er darauf, dass Einzelne auch innerhalb eines (wenn auch modifizierten) kapitalistischen und wachstumsbasierten Systems mittels Konsumverhalten die Wende maßgeblich gestalten und das drohende Unheil noch abwenden können. Dabei ist er auch mit einem umfassend recherchierten Handlungsanleitung behilflich. Wir seien in diesem Thriller wahrhaftig nicht die Zuschauer, sondern die Akteure.

Innerhalb des Spektrums der eher pessimistisch argumentierenden Klimabewegung ist Schätzing ein Zweckoptimist - im Dienst der LeserInnen und mit dem pädagogischen Auftrag, die Leute dort abzuholen, wo sie noch erreicht werden können.

Von der von Greta Thunberg eingeforderten „panic“ hält er wenig, dass er das wachstumskritische Konzept von „Suffizienz“ (also „Genügsamkeit“ als Gegensatz der derzeit beherrschenden und immer belohnten, egoistischen Gier nach „mehr“ ) als „indigenen Kitsch“ bezeichnet und meint, dass es keinen Sinn mache, sich das sonntägliche Fleisch, den Morgenmacchiato oder die gelegentliche Reise zu versagen, dürfte ihm innerhalb der von ihm so gelobten, wachstums- und kapitalismuskritischen Jugendbewegung FFF aber dann doch nicht gerade wenig Kritik einbringen.

Schließlich schließt das Buch so kölnisch jovial und optimistisch, wie es düster begonnen hatte:

„Vielleicht sollten wie weniger Trübsal blasen und einfach lachend den Arsch hochkriegen, dem anderen auf die Schulter Klopfen und sagen: let’s do it and have fun. Probleme zu lösen kann nämlich auch Spaß machen. Gibt es ein Best-Case Szenario? Ich weiß es nicht. Lohnt es sich, dafür zu kämpfen? Unbedingt!“

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