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Ja, Panik

Max Zerrahn

„Die Gruppe“ von Ja, Panik ist Comeback, Jubiläum und irgendwie auch erste Platte

Ja, Panik sind endlich zurück: Nach sieben Jahren Pause veröffentlichen die Diskurspopper ihr sechstes Album „Die Gruppe“. Im Interview spricht Sänger und Songwriter Andreas Spechtl vom Kollektiv als Lebensentwurf und vom gemeinsamen Singen als Gruppentherapie.

Von Michaela Pichler

„It is the past that will return / from the future this time / hier ist so lang nichts passiert / hier kann nur eines passiert sein“ - mit diesen Zeilen haben uns Ja, Panik am ersten Tag des Jahres 2021, exakt um Mitternacht, ein erstes Lebenszeichen geschickt. Die Single „Apocalypse Or Revolution“, die sie auch beim FM4 Geburtstagsfest präsentiert haben, war der erste Release nach sieben Jahren Pause. 2014 erschien der letzte Langspieler „Libertatia“, dann sind die einzelnen Mitglieder in Soloprojekten und Buch-Releases verschwunden. Vom schlimmsten konnte man ausgehen, Ja, Panik schien wohl Popkultur-Geschichte zu sein. Nun heißt es endlich Aufatmen. Denn das sechste Studioalbum „Die Gruppe“ ist endlich da.

Everybody wants to own the end of the world

Die Texte für die elf Songs auf „Die Gruppe“ sind über die Jahre hinweg entstanden. Andreas Spechtl hat einzelne Zeilen in sein Notizheft gekritzelt, bis es eben genug waren für etwas Neues. Fertiggestellt wurden die Songtexte in Tunesien, wo Spechtl kurz vor Ausbruch der Coronavirus-Pandemie noch seinem einsamen Songwritingprozess fristet. Als er zurückkommt, werden die Grenzen schon geschlossen, die Pandemie ist ins Land gezogen.

Es ist bemerkenswert, wie sehr die „Dystopian Dreams“ in den Texten der Band Ja, Panik der aktuellen Covid-Situation gleichen. Und doch sind alle Songs noch vor der Pandemie entstanden, auch wenn in den Liedern das Leben im Livestream besungen wird, die Straßen leer sind und der Doktor als einziger Gesprächspartner herhalten muss. Doch die Musik von Ja, Panik war schon immer ein Marker für Systemkritik, ein Aufzeigen und Hinterfragen der allgegenwärtigen Zustände. „All das, was gerade mit dem Wort ‚Krise‘ überschrieben wird, schläft ja unter der Oberfläche schon seit einigen Jahren“, meint Ja, Panik-Gründungsmitglied Andreas Spechtl im FM4-Interview.

„Weil eine Gruppe möcht’ ich sein“

Der Albumtitel „Die Gruppe“ steht für die Essenz von Ja, Panik. Schon immer haben sich die Musiker*innen anstatt als Band lieber als Gruppe bezeichnet. Im gleichnamigen Song „Die Gruppe“ ist auch von einer Gang die Rede. „Es gibt schon die Band Ja, Panik, aber die ist nur ein Teil der Gruppe Ja, Panik! Das ist der Teil, der Musik macht, der im Proberaum steht und auf Tour geht. Und dann gibt es dieses Modell und diese Interessensgemeinschaft - die Gruppe Ja, Panik - und die ist auch erweiterbar“, erklärt Andreas Spechtl. Momentan zählen zur Band neben Spechtl auch noch Stefan Pabst, Laura Landergott und Sebastian Janata.

Für Ja, Panik war das Musikmachen immer schon mehr Lebensentwurf als „nur“ das Produzieren von neuer Musik. So hat die Gruppe einst auch schon als WG zusammengelebt und sogar ein Buch gemeinsam geschrieben. Die neue Platte „Die Gruppe“ ist ein Statement gegen das Alleinsein in der bösen Welt und für das kollektive Zusammenschließen. Im deutschsprachigen Pop-Universum kennt man das auch anders, wie zum Beispiel bei Die Sterne oder FOTOS. Bands mit langer Geschichte fransen durch die Jahre aus, einzelne Mitglieder verabschieden sich und werden ausgetauscht, bis irgendwann nur noch eine Band-Urgestalt übrigbleibt, die ab da streng genommen Solo-Platten veröffentlicht und keine Band-Langspieler mehr. Ja, Panik sind anders. Gut so.

Ja, Panik haben schon immer das Einreißen und neu Aufbauen geliebt. Hier steht Andreas Spechtl mitten in der FM4-Baustelle, kurz nach dem Interview.

Katharina Seidler

Ja, Panik haben schon immer das Einreißen und neu Aufbauen geliebt. Hier steht Andreas Spechtl mitten in der FM4-Baustelle, kurz nach dem Interview.

„Die Gruppe ist ein Ort, an dem man auch einfach so wieder andocken kann. Auch Christian war wieder viel dabei, der offiziell schon ausgestiegen ist“, erinnert sich Spechtl an die Aufnahmesessions. Christian Treppo steht seit 2012 nicht mehr mit Ja, Panik gemeinsam auf der Bühne. Auf der neuen Platte singt er allerdings in mehreren Songs mit. Die Grenzen zwischen Gruppe und Band sind fließend und interagieren trotz Systemkritik mit der echten Welt da draußen, wie Sänger und Songwriter Andreas Spechtl meint: „Ich halt es immer für sehr schwierig, wenn man sich innerhalb eines kaputten Systems einen Ort schafft, wo man sich dann auch Mauern hochzieht und dieses ‚draußen interessiert mich nicht‘ praktiziert. Ich sehe das eher als Spielwiese, wo man Dinge ausprobieren kann, die man dann in die böse Außenwelt trägt.“ Dazu gehört bei Ja, Panik auch immer das Diskutieren, das Streiten, das alles Einreißen und wieder Aufbauen.

Ein emanzipatorischer Akt

Die Gruppe als Alternative und Überlebensstrategie in unserer kaputten, kapitalistischen Welt, das macht sich am neuen Album auch bemerkbar in der Produktion. „Die Gruppe“ ist das erste Album, das von Ja, Panik selbst produziert wurde. Für die Band war das ein emanzipatorischer Akt, die Fäden nun komplett selbst in der Hand zu halten, im aufgebauten Studio im burgenländischen Deutsch Jahrndorf, das ansonsten nur 600 Einwohner*innen zählt. „Das ist für uns so eine Sache: Nach all den Jahren löst sich endlich das letzte Puzzle-Teil ein. Wenn wir gekonnt hätten, hätten wir schon mit Anfang 20 unsere Platten selbst produziert, damals haben uns das technische Knowhow und auch die Mittel gefehlt, aber vom Selbstverständnis her wollten wir das immer schon.“

Cover Ja, Panik "Die Gruppe"

Ja, Panik / Bureau B

Das sechste Studioalbum „Die Gruppe“ von Ja, Panik erscheint am 30. April 2021 via Bureau B.
Mehr zur neuen Ja, Panik-Platte gibt es am Sonntag, den 2. Mai, mit Katharina Seidler ab 21 Uhr in „FM4 Im Sumpf“ zu hören.

Der selbst produzierte Sound klingt nach schwebenden Drones, traumhaften Sphären und einem neuen Instrument: Ex-Die-Heiterkeit-Musikerin Rabea Erradi bespielt als erweitertes Bandmitglied das fiebrige Saxofon. Auch der kollektive Zusammenhalt manifestiert sich musikalisch, und zwar in Chorpassagen. „Das hatte auch für uns als Band fast was Therapeutisches. Nach so vielen Jahren, ohne miteinander Musik zu machen und dann – die meiste Zeit war es ja wirklich warm und Hochsommer im Burgenland, verschwitzt in so einem kleinen Studio zu stehen und einfach nur gemeinsam zu singen, das hat einen auch wieder zueinander gebracht!“

In seiner schönsten Form präsentiert sich dieser Gruppengesang im Song „The Cure“. Anfangs wird das Lied nur getragen von zwei schrammelnden Gitarren-Akkorden, Spechtl klagt allein einen Doktor an, dem er all seine Probleme schildert. Krank vom System, möchte er doch nur, dass ihm zugehört wird. In der Mitte bricht das Lied ab und schwenkt um, ein Chor tritt auf, der die unheilvolle Kunde verbreitet: Heilung gibt es im System nur mit noch mehr Kapitalismus, von allem zu viel, zu viel von allem. Das Heilmittel ist ein Trugschluss. Doch der Chor spendet Trost und fängt das einsame Individuum auf.

„The only cure from capitalism /
is more more more more capitalism“
(Aus „The Cure“)

Als Gruppe wieder zueinanderfinden und das nach zwanzig Jahren Bandgeschichte. Damals nahm im burgenländischen Gymnasium alles seinen Lauf, als zwei Teenager aufeinandertrafen und zu Verbündeten wurden. So lautet die Legende der Flashbax - das Ja-panikeske Schülerband-Alter-Ego, aus dem Mitte der 2000er-Jahre die bemerkenswerte Gruppe werden sollte, die sich weit über die österreichischen Grenzen einen Namen erspielt hat. Wer genau zuhört, findet am neuen Album auch Bilder aus der Vergangenheit, ein Zurück-Schauen und sich Erinnern. Aber nicht mit nostalgisch-verklärtem Blick, sondern um zu hinterfragen, was passiert ist und wie das Vergangene einen Status Quo beeinflusst.

So singen Ja, Panik im Song „Backup“ vom Aufwachsen im Burgenland, vom Entdecken einer neuen Welt, die sich mit Musik und den passenden Freund*innen eröffnet. „Ein unruhiger Geist / einer der Troubles sucht“. Von 7300 Tagen ist die Rede - also ganz genau 20 Jahren. Ist „Die Gruppe“ auch ein Ja, Panik-Jubiläum? „Es ist schwierig, weil die Platte ist so viel! Sie ist irgendwie eine Jubiläumsplatte, sie ist irgendwie ’ne Comeback-Platte, sie fühlt sich auch wieder wie eine erste Platte an. Gleichzeitig ist sie auch nichts davon. Die Platte feiert die Gruppe Ja, Panik, aber nicht die Gruppe Ja, Panik selbst, sondern sie feiert Gruppen am Exempel der Gruppe Ja, Panik.“

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