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Wie die Gorillas  - Esther Becker

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Vom mühsamen Aufwachsen als junge Frau

Immer einen Rasierer dabei haben, nicht zu viel essen, nicht zu viel Haut zeigen, und hängt im Sportunterricht hoffentlich nicht der Tamponfaden bei den Shorts raus!? In Esther Beckers Roman „Wie die Gorillas“ schildert eine namenlose Protagonistin all die kleinen und großen Bürden, mit denen junge Frauen in unserer Gesellschaft aufwachsen müssen.

von Michaela Pichler

Diese Woche ist es wieder passiert. Eine selbstbewusste, junge Frau zeigt ihren Körper und die Welt dreht durch. Vor zwei Jahren wurde der Weltstar Billie Eilish noch für ihren schlabbrigen Uni-Sex-Look gefeiert, der mit übergroßen Hoodies viele Zentimeter ihrer Haut bedeckt hat. Nun posiert die 19-jährige Künstlerin am britischen Vogue-Cover, nur in Dessous bekleidet. Und warum sollte sie auch nicht?! Billie Eilish kann tun und anziehen, was sie will. Die Diskussionen in diversen Medien und auf Social Media zeigen allerdings wie so oft, welchen Blicken und Urteilen weibliche Körper ausgesetzt sind. Um diese Körperpolitik geht es auch im Roman „Wie die Gorillas“, der veranschaulicht, wie früh Mädchen die Selbstbestimmtheit ihrer Körper schon entzogen wird.

Esther Becker - "Wie die Gorillas"

Verbrecher Verlag

Der Debütroman „Wie die Gorillas“ von Esther Becker ist im Verbrecher-Verlag erschienen.

Ungeschriebene Gesetze

Die Haut muss glatt sein, am besten aalglatt, der Körper muss dünn sein. So lautet das ungeschriebene Gesetz, das die namenlose Erzählerin im Roman „Wie die Gorillas“ als Mädchen schon früh lernt. Vor jeder Sportstunde muss sie sich rasieren, zwischen den Beinen, an den Unterarmen, in den Achseln - am besten gleich überall. Sie hält sich heimlich an strenge Diäten, damit das eigene Körperbild irgendwann der gesellschaftlichen dünnen Norm entspricht. Und sie testet sich durchs Antibabypillen-Sortiment und lernt alle unterschiedlichen Nebenwirkungen kennen, sie bekommt Kopfweh, Akne und zusätzliche Kilos, die den Hungerplan zum Teufelskreis werden lassen.

Die Protagonistin lernt außerdem, dass sie als junge Frau am Heimweg aufpassen muss. Einmal wäre es schon fast passiert, da wollte sie ein Mann im Park ins Gebüsch zerren. Mit Treten und Wegrennen rettet sich die Ich-Erzählerin gerade noch vor dem Täter. Zuhause erzählt sie aber nichts von dem Übergriff. Stattdessen besorgt sie sich Pfefferspray und überlegt sich Strategien, um sich selbst zu schützen oder um sich zumindest nur ein bisschen sicherer zu fühlen - wie es sich eben gehört, für eine junge Frau.

Ich mied diesen Weg eine Weile. Jetzt trage ich meinen Schlüsselbund wie einen Schlagring, wenn ich abends unterwegs bin, die Schlüssel zwischen den Fingern der zur Faust geballten Hand.

In der Welt von „Wie die Gorillas“ helfen Komplizinnen. Ohne die Freundinnen Svenja und Olga würde sich die namenlose Ich-Erzählerin vielleicht verlieren – in den Diäten, dem Alltagssexismus und der Fremdbestimmung ihres Frauenkörpers. Die Freundinnenschaft verhilft der Erzählerin zu den freiesten Momenten im Roman. So muss sich Svenja, die später einmal Schauspielerin werden will, für eine Rolle als Mann verkleiden. Die drei Freundinnen binden sich ihre Brüste mit Mullbinden ab und ziehen mehrere Sport-BHs übereinander. So laufen sie als Männer verkleidet durchs Viertel, ohne Angriffsfläche, ohne Blicke.

Obwohl alles abgequetscht ist, sind wir frei. Wie die Gorillas stolzieren wir noch ein paar Blocks.

Esther Becker

Nane Diehl

Esther Becker ist nicht nur Autorin, sondern auch Dramaturgin und Performerin. Die Liebe zum Theater liest man auch ihrem Debütroman „Wie die Gorillas“ an.

„Was machst du, wenn deine Kinder Frauen werden? Wenn deine Kinder Töchter sind und Frauen werden, was machst du dann? Wenn deine Töchter keine Kinder bleiben wollen (wie du insgeheim hofftest), sondern in die Höhe schießen und in die Breite. Wenn sie aufgehen, sich in alle Richtungen ausdehnen, sich auflehnen gegen den einst so genügsam schmalen Kinderkörper, diesen feinen kleinen Kinderkörper, der noch nicht unter den Armen stank und auch nicht zwischen den Beinen.“

Schon nach wenigen Seiten merkt man der Autorin Esther Becker an, dass sie in der Theaterwelt zu Hause ist. Als Dramaturgin arbeitet und lebt Becker in Berlin. Für ihre Jugend-Theaterstücke wurde sie schon mehrmals ausgezeichnet. In ihrem ersten Roman präsentiert die Autorin mit inneren Monologen und Episoden den holprigen Weg des Erwachsenwerdens einer Frau, von der Pubertät bis in die Studienzeit.

Ein Roman, der Leserinnen abholt und Lesern was beibringt

„Wie die Gorillas“ ist auf 160 Seiten ein kurzweiliger Roman, in dem zwischen den Zeilen viel passiert. Esther Becker gelingt es, mit wenigen Worten schwierige Themen anzusprechen – wie sexualisierte Gewalt oder Sexismus am Arbeitsplatz. Und oft ist das, was nicht explizit ausgeschrieben wird, genau das, was dabei am tiefsten geht. Als Leserin kommen einem viele Schilderungen leider viel zu bekannt vor. „Wie die Gorillas“ birgt viele Geheimnisse, die Frauen im Laufe ihres Erwachsenwerdens für sich entdecken müssen. Besonders Leser können mit diesem Buch einiges über nicht-männliche Lebensrealitäten lernen. Umso besser, dass Esther Becker diese oft bitteren Geheimnisse in ihrem starken Debüt aufgeschrieben hat.

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