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Sophia Kennedys „Monsters“ ist ein Album des Jahres

Wenn die Wahl-Hamburgerin Sophia Kennedy ins Studio geht, kann nur sehr Gutes herauskommen: Mit „Monsters“ gelingt der Musikerin und Produzentin ihr zweiter Avant-Pop-Streich. Im Interview erzählt Sophia Kennedy von den Monstern, die sie im Studio bändigen musste, von ihrer Familie in Baltimore und dem Umgang mit Verlusten in ihrer Musik.

Von Michaela Pichler

2017 war es um die deutsche Popwelt geschehen: Damals verliebte sich das Feuilleton in Sophia Kennedy und ihre zauberhaft-ungewöhnlichen Popcollagen. Schon damals spielte sich die in den USA geborene Künstlerin auf ihrem selbst-betitelten Debütalbum mit den Hörgewohnheiten ihrer zukünftigen Fans. Das gefiel nicht nur Spex, Musikexpress und Co, sondern auch der internationalen Presse. „Das war damals alles neu für mich, überraschend, aufregend und natürlich auch irgendwo überfordernd“, erzählt Sophia Kennedy im FM4 Interview.

„Danach kam die Frage auf, wie es nun weitergeht. Und für mich war immer klar, dass ich dieses Albumformat brauche, das passt immer noch für mich!“ Im angloamerikanischen Raum gilt Sophia Kennedy auch als „sonic shapeshifter“ (The Guardian), als musikalische Gestaltwandlerin, die von einem Genre ins nächste wechselt, ohne sich selbst dabei zu verlieren. Für dieses Talent braucht Sophia Kennedy einen konzeptionellen Rahmen, der als Album auch auf ihrem neuen Werk „Monsters“ funktioniert.

Fütterungszeit im Studio

„Jedes Stück ist ein eigener Kosmos gewesen, den ich mir erkämpfen musste. Und teilweise habe ich mich einfach gefühlt als würde ich jeden Morgen in einen Stall kommen, wo ungeformte, kleine Ungeheuer auf mich warten. Die wollten alle gefüttert und geliebt werden, jedes hat seine eigene Form von Aufmerksamkeit gebraucht. Diese Stücke sind mich förmlich angesprungen!“, erzählt die Solokünstlerin. Die musikalischen Monster bändigt Sophia Kennedy auf ihrem zweiten Album mit ihrem Händchen für originäres Songwriting: „Monsters“ spielt mit Versatzstücken aus Jazz, Hip Hop, Electro und US-amerikanischer Show-Tunes-Tradition. Sophia Kennedy klimpert am Klavier, baut Sample um Sample und beschwört die Apokalypse herauf.

Wie im Song „Orange Tic Tac“, der vom glühenden Himmel in Kalifornien und in Australien erzählt, während die Wälder brennen und die Insta-Posts der Katastrophen-Kulisse mit der Welt geteilt werden. Um diese Widersprüche ging es Sophia Kennedy mitunter in ihrer ersten Album-Single: „Dass man sozusagen durch die Stadt fährt und die Apokalypse tut sich dort auf, und dann sieht man aber nur noch den Fun und die Schönheit und denkt sich: ‚Heute ist doch ein super Tag, lass uns raus gehen, das Licht ist heute besonders gut!‘ Das Licht ist aber nur deshalb so speziell, weil die Katastrophe schon da ist!“

Auf der einen Seite die alles zerfressende Apokalypse, auf der anderen Seite das strahlende Leben - Sophia Kennedy grinst im Musikvideo mit ihrem Eine-Million-Dollar-Lächeln über das ganze Gesicht, kurz bevor sie sich die Grillz wieder reinsteckt und die manischen Zeiten heraufbeschwört - „Schizophrenic timeline, panoramic skyline, highlight“ eben.

Von Hamburg bis Baltimore

In anderen Songs knallt die Songwriterin und Produzenten Verse-Weisheiten hinaus, die das Familienleben schreibt, wie im unaufgeregten Lo-Fi-Piano-Song „Loop“: „our mothers are insane / ’cause their mothers are insane / our fathers are insane / ’cause their fathers are insane“. Sophia Kennedy hat ihre zweite Platte mit ihrem Partner in Crime Mense Reents von den Goldenen Zitronen produziert. In den dreizehn Songs hat sich auch wieder die Heimatstadt der Wahl-Hamburgerin eingeschlichen, Baltimore in Maryland, USA. „Diese Stadt ist nicht im politischen Sinne in meine Musik reingewebt, sondern auf einer familiären Ebene“, erzählt Sophia Kennedy, die auch schon am Debüt von der Stadt an der East Coast sang.

„Please give me a sign/ ich bin so allein“

Mit dieser Zeile schleicht sich zum ersten Mal ein deutscher Satz in Sophia Kennedys eigene Lieder. In der jüngeren Vergangenheit hat Kennedy ihr Deutsch zwar auch schon im Feature mit DJ Koze präsentiert und gemeinsam mit ihrer Kollegin Stella Sommer von Die Heiterkeit in der zweiten Muttersprache gesungen. Solo fühlt sich Englisch aber immer richtiger an. Der Song „I‘m Looking Up“ ist ihrem verstorbenen Vater gewidmet. Während der Arbeit am Album hat Sophia Kennedy mit mehreren Verlusten zu kämpfen: Nicht nur ihr Vater stirbt, sondern auch ihre Großeltern. Der Tod schreibt sich thematisch in die Texte, aber auch akustisch: Sophia Kennedy benutzt Ausschnitte aus aufgenommenen Telefonaten in ihren Songs, als Samples und als Erinnerung.

Cover "Monsters" - Sophia Kennedy

City Slang

Das zweite Album „Monsters“ von Sophia Kennedy ist am 7. Mai 2021 via Slang City erschienen.

Im letzten Song des Albums „Dragged Myself Into The Sun“ ist zum Beispiel Kennedys Großmutter zu hören. Am anderen Ende der Welt freut sich die Oma über das Leben der Enkelin in Deutschland und über ihre künstlerischen Projekte. Sophia Kennedy hat schon vor Jahren angefangen, Stimmen und Telefonate zu dokumentieren und mitzuschneiden. „Ich habe das so akribisch dokumentiert, weil ich einfach wusste, dass das alles endlich ist. Und dass es diesen Teil in meinem Leben auch einfach nicht mehr geben wird. Ich wollte das deshalb schon ziemlich früh so festzuhalten.“

Der letzte Song am Album ist auch das musikalische Ungeheuer, das sich am schwierigsten bändigen ließ. „Das ist so ein wildes Stück letztendlich, dass es eigentlich aus musikalischer Sicht fast unmöglich war. Wie kann man ein Jazz-Piano-Stück mit Metal-Drones verweben und es trotzdem so hinbekommen, dass es immer noch musikalisch bleibt und nicht nur Lärm ist. Das war produktionstechnisch der absolute Horror“, erinnert sich Kennedy im Interview. Mittlerweile kann die Musikerin darüber lachen.

Zwischen persönlichem Denkmal und ganz großer Kunst

Sophia Kennedy fängt auf „Monsters“ die große Euphorie ein, genauso wie die dunkelsten Momente, die Trauer und die schmerzende Einsamkeit. Musikalisch bewegt sich die Solokünstlerin gekonnt an der Schnittstelle zwischen Altbewährtem und Avantgarde - große Melodien und eine starke Stimme treffen auf stolpernde Beats, hitverdächtige Sample-Hooks und bedrohliche Drones, mal singt ein Barbershop-Quartett, dann zerstückeln die schönsten Lo-Fi-Harmonien wieder den zurechtgelegten Referenzrahmen. Für Sophia Kennedy selbst mag „Monsters“ ein persönliches Denkmal an ihre Liebsten sein. Für Außenstehende ist ihr zweites Album ein weiterer genialer Avant-Pop-Meisterstreich.

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