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Gangsta Shit in Krisenzeiten

Es ist heutzutage für Rapper nicht leicht, in ihren Songs das gleiche Narrativ wie in vergangenen Jahrzehnten zu halten. In Zeiten von Wirtschaftskrise und Rekordarbeitslosigkeit ist es nicht leicht darüber zu rappen, wie man die geilste Karre und die fetteste Goldkette hat. Man könnte nur, wie in den guten alten Zeiten, das Elend wieder in popkulturelle Ware verwandeln.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Einer der populärsten Rapper in Bulgarien, 100 Kila, ist im Romaviertel von Varna aufgewachsen und trug als Kind die alten Sneakers eines Mitschülers von ihm, der die schlechte Gewohnheit hatte, ohne Socken rumzulaufen und den Nagel seiner großen Zehe nicht zu schneiden. 100 Kila ist heute einer der wenigen Musiker in Bulgarien, der von seiner Musik gut leben kann. Er bietet seiner Hörerschaft eine typische Gangstergeschichte über Geld, Diamanten, Drogen und endlose Party an. Obwohl er in Elend aufgewachsen ist, erzählt 100 Kila in einem Interview, wie er seinem amerikanischen Kollegen Rick Ross einige Brieftaschen, gefüllt mit Dollarscheinen, angeboten hat, damit der Amerikaner ein Lied mit ihm macht. Ein echter Rapperdeal. Oder eine echte Rapperlegende.

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Im Hip Hop sind außer dem Image die Texte sehr wichtig. Wenn du als Rapper deine Texte nicht selber schreibst, dann bist du kein echter Rapper. Beim Rock ist es umgekehrt, dort muss man die Musik selber schreiben und der Text ist nebensächlich. Deshalb ist die Hip-Hop-Szene für jeden Sprachraum unterschiedlich. In Bulgarien ist sie sehr groß und abwechslungsreich. Das erste Raplied erschien im Jahr 1988, ein Jahr vor dem Mauerfall, von der Band AVI MC. In „Problemi“ sangen die ersten bulgarischen Rapper über Stromausfälle im Plattenbau und wie die Luft von den sowjetischen Autos so verschmutzt ist, dass man Gasmasken braucht, um zu überleben. Das war auf jeden Fall mutig für jene Zeit. Heute legen die meisten bulgarischen Rapper Wert auf ihr Gangsterimage. Diese Strömung hat ihre Anfänge in den 2000er Jahren in Varna mit Label RnB Records von Misho Shamara. Sein „Rapkomplize“ Vanko 1 besaß als Nebenbeschäftigung einen Kanal für Frauenhandel nach Holland, er wurde verurteilt, und das Label ging unter.

Es ist mir nicht klar, inwiefern Rapper aus Bulgarien Geschichten aus ihrem echten Leben erzählen und inwiefern alles ein Theater ist. Neulich hörte ich ein Lied von einer jungen Rapperin aus Ljulin, der größten Plattenbausiedlung in Sofia. Sie nennt sich die „Plattenbau-Beyoncé“ und ist sehr böse und gangsta. In einem Interview erzählte sie, dass ihr Vater ihre Hip-Hop-Karriere am meisten unterstützt habe. Auf jeden Fall finde ich ihren Flow ganz gut.

Rapsongs sind meistens nicht übersetzbar. Die Hip-Hop-Kultur beschreibt oft sehr roh und unverfälscht die Realität in einem Land. In Bulgarien sind das die Plattenbausiedlungen und die Hoffnung auf sozialen Aufstieg.

Die letzte Nummer von 100 Kila hat er zusammen mit Ivo Dimchev gemacht. Der extreme Choreograf und Performer ist ein gern gesehener Gast am Wiener „Impuls Tanz Festival“. Die beiden besingen den populären bulgarischen Teigkuchen Banitza. Im Video dazu tanzen sie mit Teig auf ihren Köpfen. Viele der Fans von 100 Kila mögen die Nummer nicht und haben sich von ihm abgewendet, weil er es mit dem offen homosexuellen Dimchev aufgenommen hat. 100 Kila meint, es sei blöd, weiter darüber zu rappen, dass man so reich ist, während die Menschen nichts zum Essen haben. In diesem Sinne ist die Nummer eine Rückkehr zu den sozialen Wurzeln des bulgarischen Hip Hop. Außerdem sei die Banitza eine Metapher für Sex. Es sei also weiterhin alles ganz gangsta.

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