FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Aloa Input

Matthias Kestel

Die Gegenwart aus der Zukunft betrachtet

Manchmal wird man auch überrascht. Seit fast 10 Jahren gibt es eine Band in München, die sich so international und souverän anhört, wie seit Notwist kaum eine aus der Gegend. Aloa Input bewegen sich zwischen Pop, Folk, Kraut, Weltmusik und Elektronik so selbstverständlich, als wären sie in allen Welten und Zeiten zu Hause – auch in der Zukunft. Von der handelt nämlich das neue Album von Aloa Input mit dem schönen Titel „Devil’s Diamond Memory Collection“, das soeben auf dem Wiener Siluh Label erscheinen ist.

Von Boris Jordan

Aloa Input kennen keine Grenzen. Musikalisch, erzählerisch, zeitlich, perspektivisch. „Devil’s Diamond Memory Collection“ ist eine musikalische Reise durch viele Länder und Köpfe, sinnlich und nachdenklich, still und störend, einlullend und treibend, naiv und ausgedacht zugleich.

Aloa Input: „Die ganze Platte ist ja ein großes Sammelsurium an ganz vielen unterschiedlichen Mosaiken aus verschiedenen Dekaden, Musikarten, Denkarten, Geräuscharten, Anwendungsbereichen. Sie hat ja auch etwas sehr Cinematisches und das ist das, was uns am meisten interessiert. Die Platte versucht an keiner Stelle so etwas wie einen Hit zu machen oder besonders radiofreundlich zu sein, sondern es ging uns einfach darum, ein bestimmtes Thema möglichst gut auszuerzählen und in den schillerndsten und interessantesten Farben scheinen zu lassen.“

Hier treffen Sixties Elektronik, Motorik Beat, verträumte Melodien, kuschelige Harmoniebetten und Gefrickel aufeinander. Es wird getüftelt wie improvisiert - über vieles diskutiert und auch vieles zugelassen.

Aloa Input: „Wenn alle Ideen mal ausformuliert sind, dann können fast planlose Aktionen oft dazu führen, dass irgendwas Besonderes entsteht. Bei uns ist das immer so ein Spiel, zwei Leute machen irgendetwas und die dritte Person nimmt die beiden auf, mit so einem komischen Aufnahmegerät und dann lässt man es rückwärts abspielen und checkt plötzlich: Stimmt, das wäre jetzt irgendwie interessant, da macht man so weiter. Wir sind ein bisschen so ein ganz seltsames Pingpongsystem […] Wir diskutieren eher so um die Grundausrichtung und ob der eine Song vor dem anderen oder nach dem anderen auf der Platte kommen soll. Da können wir uns wochenlang unterhalten. Aber wenn es konkret um musikalische Details geht, ist es eben auch oft so, dass dann eine Person sagt: ‚Nee, das finde ich jetzt gar nicht.‘ Und dann? Dann genau lässt man sich halt eine andere Richtung zeigen.“

Aloa Input

Matthias Kestel

Wir haben hier einen großen Entwurf. Das dritte Album der Band um Angela Aux, Marcus Grassl und Cico Beck (The Notwist, Joasihno) ist nichts weniger als ein Konzeptalbum über die Zukunft, ein „surreales Daumenkino“ , wie die Band sagt. Aloa Input gehen aber nicht von einer Zukunft aus, die man von der Gegenwart hochrechnet – vielmehr fragten sie sich, wie diese unsere Gegenwart in der Zukunft rückblickend aussehen könnte.

Aloa Input: „Die Idee war, dass wir aus irgendeinem fiktiven Punkt in irgendeiner Zukunft zurückschauen auf die heutige Zeit, so als würde es irgendwann ein KI-Kompositions-Tool geben, das einmal quer durch die Indiemusik läuft und dann wird am Ende vielleicht so eine Art Platte ausgespuckt. Das war die Idee dahinter. Wir wollten jetzt nicht besonders edgy und besonders Blade-Runner-mäßig den neuen Terminator-Pop machen oder sowas, sondern es ging eher darum, dass man diesem Eklektizismus, der ja auch zu den Menschen gehört oder zumindest zur westlichen Kultur, irgendwie auch gerecht wird. Wir leben in einer Zeit, in der man im Universum herumsegelt und es werden immer noch Streichquartette aufgenommen und geschrieben. Und die coolste Musik gerade ist ein Standard-Jazz-Quartett mit Saxophon, Kontrabass, gemuteter Gitarre und reduziertem Drumset. Auch in 50 oder 70 Jahren wird die Musik nicht vollkommen anders aussehen. Da wird es auch verschiedene Retro- und futuristische und retrofuturistische Bewegungen geben. So hat Popkultur immer funktioniert.“

Die ausgedachte KI von Aloa Input hätte einiges zu tun: Hier sind Musiker mit überbordendem Horizont am Werk, die KI wäre noch ärger am Namedroppen, als es sich für eine KI gehört: Broadcast und Stereolab, Can und NEU!, Paul McCartney und Tangerine Dream, Exotika und Easy Listening, Funkstörung und nicht zuletzt Notwist. Mit der Weilheimer Wunderband sind Aloa Input auch freundschaftlich verbunden, der klassisch geschulte Schlagwerker und Soundtüftler Cico Beck nimmt dort bisweilen die Stelle von Martin Gretschmann a.k.a. Console ein.

Die Mitglieder von Aloa Input – auch hier eine Parallele zu Notwist – sind nicht gerade in Kulminations-Metropolen der musikalischen Landkarte aufgewachsen. Wie so oft in der deutschen Popgeschichte (Notwist aus Weilheim, Funkstörung aus Rosenheim, Bohren und der Club of Gore aus Mühlheim/Ruhr) ist hier fernab von Berlin oder Düsseldorf ein musikalisches Binnenuniversum entstanden, das gerade aus seiner fehlenden Anbindung an die Diskurse der Großstadt eine so weltoffene und international anmutende Musik gebiert ... Auf diese, zugegeben nicht sehr runde Theorie geben Aloa Input nicht viel und weisen sie höflich zurück:

Plattencover: Haus am Waldrand

Siluh

„Devil’s Diamond Memory Collection“ von Aloa Input

„Wir sind einfach in Kleinstädten aufgewachsen. Bestimmt spielt eine gewisse Art von Sehnsucht, die man in den kleinen Städten hat, immer eine Rolle, wenn man Musik macht, dass man sich irgendwie - vielleicht damals - nach Seattle sehnt oder so ... Aber dieser Lokalpatriotismus oder ein Bezug zu Heimat ist uns wahnsinnig fremd. Es passt auch in keinster Weise zu dem, was einfach die Realität ist: Wir haben das Album nicht zum größten Teil in München oder in unseren Käffern geschrieben, sondern wir hatten das Glück, dass wir durch die Musik in andere Orte reisen durften und dort auch Musik machen konnten und tolle Leute kennengelernt haben, inspiriert wurden durch andere Orte. Das ist eigentlich auch ein bisschen das Großartige an Musik, dass sie eigentlich nicht per se lokal verortbar ist. Es ist wirklich völlig egal. Genau wie sich manche Menschen für Flughafenbau interessieren oder dafür, das beste Croissant der Welt zu machen, oder für Mikrobiologie, da wird ja auch nicht so ein Netz über die Landkarten gelegt und gesagt: Es ist ja auffällig, wie viele Leute jetzt aus dem Gebiet um einen See kommen. Man sehnt sich danach, Orten eine Bedeutung zu geben. Aber relativ wenig Orte haben dann auch wirklich so Bedeutung für solche Vorlieben. Da geht es eher darum, dass wir halt zufälligerweise irgendwie alle Musik toll finden, aus welchem Grund auch immer. Vielleicht war es ja Vorsehung, oder Elon Musk hat uns diesen Wunsch schon irgendwann einprogrammiert, und wir gehorchen jetzt nur dieser Programmierung. Der Gedanke ist immer charmant und es ist auch immer interessant darüber nachzudenken, aber im Endeffekt ist er statistisch nicht haltbar. Genauso gibt es viele Leute, die bleiben immer nur bei der Blasmusik.“

Die Art, wie bei Aloa Input eine zeitliche und örtliche musikalische Offenheit gepflegt wird, hat nichts mit dem mittlerweile üblich gewordenen „Schubladendenken-Ignorieren“ zu tun, weil das gar nicht so einfach geht, wie es sich der kleingeistige Bilderstürmernachbar so vorgestellt hat, der sich womöglich plötzlich in einer Ecke wiederfindet, in der er gar nicht landen wollte. Vielmehr werden Genregrenzen nicht weggefegt, sondern es wird feingliedrig und überlegt entlang dieser Grenzen gearbeitet, mit einem Gespür für Zufall und Konzept, Komposition und Improvisation – dabei und stets getrieben von einer Liebe, einem Staunen und einer Neugier, wie sie nur wirklich Liebende zusammenbringen.

mehr Boris Jordan:

Aktuell: