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Erika de Casier: Organischer R’n’B Sound aus Dänemark

Die dänische Künstlerin und Produzentin Erika de Casier macht bereits seit 2014 Musik. Nun ist ihr 2. Studioalbum draußen: „Sensational“ ist ein Potpourri aus 90er R’n’B Sounds und organisch-elektronischen Klängen, auf dem sie die Dramaturgie schwieriger Beziehungen nachzeichnet.

Von Melissa Erhardt

Erika de Casier klingt ein bisschen so, als würde Sade mit einem Techno-Produzenten zusammenarbeiten. So steht es in ihrem Pressetext - und dieser Vergleich ist gar nicht so weit hergeholt. Tatsächlich mischt die dänische Künstlerin, die am Freitag auf dem britischen Indielabel 4 AD ihr zweites Album „Sensational“ veröffentlichen wird, in ihrer Musik sinnlich-smoothen 90er R’n’B mit elektronischen Sounds – ein Potpourri, wie sie selbst sagt. Und bei den entschleunigenden Tracks und ihrer samtweichen Stimme kann man gar nicht anders, als an Sade zu denken.

Cover

4AD Records

„Sensational“, das zweite Album der dänischen Künstlerin Erika de Casier erscheint am 21. Mai bei 4AD.

Entstanden ist dieser Sound durch ihre Einbindung in das Regelbau-Kollektiv, einem House-Kollektiv aus Aarhus an der dänischen Ostküste. Hier hat die Künstlerin auch Natal Zaks, DJ Central, kennengelernt, der Sensational mitproduziert hat: „Ich glaub das war 2012, wo wir uns kennengelernt haben. Er hat mir viel House und elektronische Musik gezeigt, den richtigen Hardcore-Stuff (lacht). Zu der Zeit war es mein größter Guilty Pleasure, R’n’B zu hören. Ich hab‘ ihm gezeigt was ich so höre, weil er total interessiert war und mir das ein sicheres Gefühl gegeben hat. Er hat mir dann auch ähnliche Sachen empfohlen und mir gezeigt, wo diese ganzen R’n’B-Tracks auf Dance-Tracks gesampelt wurden. Dadurch bin ich zu dieser Musik gekommen. Ich denke, dass man das auch in der Musik hören kann, die wir zusammen machen. Es ist eine Mischung aus all diesen Referenzen und den Aesthetics, das ist cool.“

Organische Naturklänge

Nach Erscheinen ihres Debütalbums „Essentials“ vor zwei Jahren ist die dänische Künstlerin, die in Portugal als Kind von belgisch-kapverdischen Eltern geboren wurde, für ihren Throw-Back-Sound gefeiert und direkt mit R’n’B-Größen wie Aaliyah, Janet Jackson oder eben Sade verglichen worden. Dadurch ist sie oft und gerne in die 90s-R’n’B-Box „gesteckt worden“, was sie etwas kritisch hinterfragte. „Es ist wahrscheinlich eine meiner größten Ängste, in einem Genre festzustecken. Und wenn ich dann irgendwas anderes mache, werde ich mir anhören müssen: Was machst du da, warum begibst du dich auf dieses Terrain? Ich will einfach die Freiheit haben, alles zu tun. Es stört mich also nicht, in diese 90s-R’n’B–Box gesteckt zu werden – ich hoffe nur, dass ich da wieder rauskomme“.

„Es ist wahrscheinlich eine meiner größten Ängste, in einem Genre festzustecken.“

Ob sie aus dieser Box wieder rauskommt, werden wir sehen. „Sensational“ ist jedenfalls elektronischer als sein Vorgänger, paradoxerweise geht es aber auch in eine ganz andere, analogere Richtung: Da sind dann zum Beispiel zwitschernde Vögel zu hören, eine sanft gezupfte Gitarren und akustische Percussion oder eine zarte Harfe, bevor der Bass und die Synths wieder voll losbrechen, etwa auf „No Butterflies, No Nothing“ oder auf „Someone to Chill With“. Erika: „Das klingt jetzt wahrscheinlich nach ‚Oh, was für eine Künstlerin‘, aber ich hatte einen Traum (lacht) wo ich in einem Regenwald war. Ich glaube, ich hatte diesen Traum, weil ich in Kopenhagen in einem sehr kleinen Zimmer feststeckte und einfach nur in die Natur wollte. In dem Traum ging ich jedenfalls in diesem Regenwald herum und hörte all diese Sounds: das Wasser, die Vögel… es war völlig friedlich. Ich hatte auch andere Träume, in denen ich auf Wiesen herumging (lacht), ich hatte echt ein großes Bedürfnis nach Natur. Es war also irgendwie logisch, dass ich mich bei meinen ersten Song-Sketches zu diesen natürlichen Klängen hingezogen gefühlt habe, also diesen organischen Synth-Sounds und orchestralen Sounds, wie Streicher und Gitarren.“

Pick-Up-Lines und toxische Dates

Inhaltlich ist es nicht mehr die erste, naive Liebe, von der de Casier singt – sondern das Drama, das mit Beziehungen einhergeht, wenn die rosarote Phase der Verliebtheit vergeht und der Alltag einkehrt. „Ich schreibe viel über meine Beziehungen und Freundschaften, weil es die Bereiche sind, wo einem eigene Muster und auch die Rollen, die man oft einnimmt, bewusst werden. Wenn du in einer Beziehung bist, siehst du so viel nur von deiner eigenen Perspektive und verstehst die andere Person oft gar nicht bzw. hast gar kein Verständnis für die Dinge, die sie tut. Aber wir sind alle verschieden und ich denke, die wenigsten Menschen machen etwas aus purer Bösartigkeit oder purem Zorn. Ich versuche immer noch herauszufinden, wie ich in Beziehungen bin und sein kann - und da hilft es mir einfach, darüber zu schreiben.“

Das Album ist gewissermaßen auch ein Beweis dafür, dass man auch gestärkt aus nicht-funktionierenden Beziehungen herauskommen kann. Es erzählt die Geschichte einer Person, die mit der fehlenden Empathie bzw. den fehlenden Werten ihres Partners / ihrer Partnerin (es gibt fast keine Pronomen auf dem gesamten Album, womit de Casier gewollt dazu auffordert, sich seine eigenen Charaktere für die unterschiedlichen Situationen zu schaffen) nicht zufriedenstellen möchte und sich für die eigene mentale Gesundheit dafür entscheidet, sich von dieser toxischen Person zu trennen.

Da wären wir auch schon beim Thema Werte: Das Gewicht, das bestimmte Werte bei de Casier einnehmen, hat sich seit ihrem Debütalbum nämlich nicht verändert. Hört man ihre Musik, könnte man denken, da singt eine Babyboomerin, die mit Social Media-Hypes, Selbstinszenierung und Co. nichts am Hut haben will und nostalgisch der Zeit hinterher trauert, in der man „tatsächlich noch gelebt“ hat, statt ständig am Handy zu hängen. Höflichkeit und Bescheidenheit spielen da eine Rolle, aber auch das Im-Moment-Leben, das Schätzen der Zweisamkeit und das Authentisch-Sein. Tatsächlich hadert Erika de Casier selbst mit den Dingen, die sie predigt. Wenn sie etwa auf „Polite“ davon singt, dass sie ihr Date cancelt, weil dieses unhöflich zum Kellner war, sagt sie im Interview dazu: „Ich war in so einer Situation und habe nichts gesagt. Man kann freundlich sein, aber trotzdem für sich selbst und andere einstehen. Höflich sein bedeutet nicht, überfreundlich zu sein oder nicht für sich einzustehen. Sei einfach korrekt. Sei freundlich und ehrlich zu dir und anderen. Aber das ist etwas, das auch ich lernen muss, ich bin kein Engel.“

Auch wenn das jetzt alles sehr korrekt und gar ernst klingt, fehlt auch das Ironische nicht, das einen beim Hören zum Schmunzeln bringt. Etwa auf dem Track „Make my Day“, wo sie einen Anmachspruch nach dem anderen raushaut:

"Do you come here often? And when you fell from the sky, well, did it hurt? Cause you are an angel and I’m just a stranger”

Auf die Frage, ob sie das denn sarkastisch meine, lacht sie nur und sagt: „Für mich ging es darum, diese Zeilen zu reclaimen, denn stereotypisch gesehen ist es ein Mann, der sie zu Frauen sagt. Aber allein das Konzept einer Pick-Up-Line ist fantastisch, ich meine, was für ein niedlicher Satz! Wenn es auf die richtige Art gesagt werden würde, und eben nicht auf eine creepy Art – ist das so cute (lacht)!“

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