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The Black Keys neues Album "Delta Kream"

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Interview

The Black Keys und „Delta Kream“

Etablierte Rockstars besinnen sich auf die Wurzeln ihres Genres und nehmen ein Blues-Album auf. So weit, so tausendfach passiert. Warum das bei The Black Keys und ihrem zehnten Album, „Delta Kream“, ein bisschen anders ist, haben wir mit Patrick Carney im Interview geklärt.

Von Christian Lehner

Das Schöne am Journalismus: Man bildet sich etwas ein, überprüft diese Einbildung und kommt im besten Fall als Gebildeter zurück. Die Black Keys haben also ein Bluesalbum aufgenommen. Nach Erhalt dieser Nachricht spuckte meine Assoziationsmaschine folgende Schlagworte aus: Midlife-Crisis, Lockdown-Blues, vertragliche Obligationen, Bandkrise, Wir haben uns beim Wetten verzockt und brauchen das Geld, schiere Langeweile, Bildungsprojekt, auf jeden Fall: Back to zä roots!

Und so ist es auch ein bisschen bei „Delta Kream“, dem zehnten Studioalbum des Rockduos The Black Keys. Auf dem Vorgänger „Let’s Rock“ (2019) hatten Dan Auerbach (Gesang und Gitarre) und Patrick Carney (Schlagzeug) ihren radio- und streamingfreundlichen Blues-Rock-Pop zur Vollendung gebracht. Die Grammys stapeln sich mittlerweile in der Luxusranch in Nashville. Die Touren sind ausverkauft, die Fans begeistert, die Kritiken okay. Die Kinder gehen zur Schule, die zweite Ehe läuft, man hat Studios gebaut, Side-Projects ins Leben gerufen, sich gezofft, ans Band-Aus gedacht, Therapien absolviert, sich wieder vertragen, den langjährigen Streit mit Jack White einschlafen lassen und die Musik anderer Musiker*innen produziert. Zeit also für das Bluesalbum. Die Best-of-Compilation kann noch warten.

North Mississippi Hill Country Blues (yeah!)

Doch halt! Für „Delta Kream“ sind die „Keys“ nicht mal schnell aus ihren Luxus-SUVs hinabgestiegen in die Swamps des Mississippideltas, um den Geist von Robert Johnson in Patschulifläschchen zu füllen und dann schnell wieder abzuhauen. Auerbach und Carney sind konzeptuell vielmehr in ihre eigenen Kinderzimmer nach Akron, Ohio zurückgereist. Dort liefen Ende der Neunzigerjahre vor allem Platten des Labels Fat Possum, das sich auf die Veröffentlichung von eher unbekannten Bluesmusikern wie R.L. Burnside und Junior Kimbrough spezialisierte.

The Black Keys neues Album "Delta Kream"

Nonesuch

„Delta Kream“ ist auf Nonesuch Records erschienen. Hier ein Link zu einer der großartigsten Musikdokus überhaupt von Fat Possum Records über das Genre North Mississippi Hill Country Blues. Das Coverbild stammt von dem großen Fotografen und Chronisten William Eggleston. Bereits 2006 veröffentlichten die Black Keys die EP „Chulahoma“ mit Coverversionen von Junior Kimbrough.

Burnside und Kimbrough waren Vertreter des sogenannten North Mississippi Hill Country Blues, ein wenig beachtetes Subgenre, das roher und repetitiver ausgerichtet war als die große Schwester Delta Blues. Während der Rest der Popwelt Ende der Neunzigerjahre zu Drum’n’Bass, Boy- und Girlgroup-Pop und Eurotrash tanzte und sich von Nu-Metal und Crossover malträtieren ließ, übten Klein-Dan und Klein-Patrick den Blues entlang des Fat-Possum-Katalogs und der Live-Auftritte von Blues Cats wie T-Model Ford. Auf „Delta Kream“ geht es also nicht um die Musik vor der eigenen Musik, sondern um die Musik, die man selbst erlebt hat.

Das Resultat ist ein Fan-Pleaser für alle, die auch ohne Up-Tempo-Hits wie „Lonely Boy“ auskommen können. The Black Keys haben „Delta Kream“ in nur zwei Tagen, also quasi live, in Auerbachs „Easy Eye Sound Studio“ in Nashville eingespielt. Mit dabei waren Kenny Brown and Eric Deaton, die jahrelang in den Bands von Burnside und Kimbrough spielten.

Trotz Live-Charakter ist der Sound der elf Coverversionen weich, satt und entspannt und nicht rau und aufwühlend wie die Originale und auch nicht wie die frühen Aufnahmen der Black Keys selbst (zum Vergleich höre man sich das Kimbrough-Cover „Do The Rump“ an, das die Keys bereits für ihr Debütalbum „The Big Come Up“ von 2002 aufgenommen hatten). Aber das ist eher Qualitätsmerkmal als Makel – nichts Schlimmeres als ein saturierter Rockstar, der mit einer verstimmten Flohmarktgitarre den sterbenden Hahn am Misthaufen gibt.

So ist mit „Delta Kream“ den Black Keys eine würdige Hommage an ihre musikalischen Ziehväter gelungen. Der leicht psychedelische Unterton als Charakter des Keys-Sounds der letzten Jahre bleibt intakt. Dieses Album ist ein Chiller und kein Killer, Craft Beer statt Moonshine Whiskey. Also raus auf die Porch, Trucker-Cap ins Gesicht gezogen, Zahnstocher im Mundwinkel in Position gebracht und Zisch.

FM4: Für alle, die mit der Musik der Black Keys besser vertraut sind als mit den Coverversionen auf „Delta Kream“. Was charakterisiert den North Mississippi Hill Country Blues?

Patrick Carney: Im Blues gibt es ein großes Spektrum verschiedener Stile. Ich denke, es verhält sich ähnlich wie mit der Küche. Verteilt über den Süden der USA existieren viele Pockets mit eigenen Rezepten. Der Norden Mississippis ist ländlich geprägt. Es gibt keine großen Städte und nur wenig Arbeit. Der North Mississippi Hill Country Blues ist ein bisschen karg und roh und nicht so verspielt. Ein Fokus liegt auf dem Rhythmus. Der Sound hat noch viel von seinem afrikanischen Ursprung, manchmal klingt er wie ein Dröhnen, und die Gitarre folgt einfach der Melodie der Stimme. Die Musik mag sich sehr alt anhören, das ist sie aber gar nicht. Da ist zum Beispiel Kenny Brown. Er spielt auf dem Album die Slide-Gitarre. Kenny ist Ende Sechzig und hat mit Größen wie Junior Kimbrough zusammengespielt. Sie haben diese Musik gemacht, als wir in der Highschool waren.

Für euch ist das also gar nicht historische Musik, sondern eher Kindheitserinnerung?

Carney: Wenn uns die Leute fragen, warum wir so auf den Blues fixiert sind, antworte ich stets: Wir sind mit dem Bluesmusiker T-Model Ford abgehangen, als wir jung waren, und nicht mit den Sex Pistols. Diese Musik hat mit meiner erlebten Realität viel mehr zu tun als zum Beispiel der Post-Punk von Gang Of Four. Als Teenager hörten Dan und ich alles, was auf dem Label Fat Possum veröffentlicht wurde, und als wir selbst an der Reihe waren, durften wir unsere ersten drei Alben auch auf Fat Possum veröffentlichen. Das war, als hätten sich all unsere Wünsche erfüllt. Es war das beste Gefühl überhaupt!

The Black Keys neues Album "Delta Kream"

Joshua Black Wilkins

The Black Keys 2021: Dan Auerbach (l) und Patrick Carney (r)

Wie war das damals, als ihr euch getroffen habt?

Carney: Dan und ich wohnten in derselben Nachbarschaft. In der Highschool waren wir eine Schulstufe getrennt. Das ist in diesem Alter eine ganze Welt. Wir standen uns also nicht sehr nahe. Unsere jüngeren Brüder waren aber dicke Freunde. Da sie natürlich mitbekamen, dass wir beide Instrumente spielten, meinte mein Bruder eines Tages, dass wir es doch einmal gemeinsam versuchen sollten. Dan kam also angerauscht und spielte mir diesen Slide-Guitar-Lick vor. Ich erkannte sofort, dass es sich um einen Song von R.L. Burnside handelte. Er war überrascht, denn nicht jeder 17-Jährige war mit dieser Musik vertraut. Ich hatte R.L. über Jon Spencers Blues Explosion kennen gelernt, weil er dort einmal als Gast mitmachte. So hat alles begonnen

Wann habt ihr euch entschieden, dieses Album mit elf Blues-Covers zu machen und keine eigenen Songs zu schreiben?

Carney: Das war kurz nach der Stadiontour zum letzten Album „Let’s Rock“. Dieses Covers-Album einzuspielen, fühlte sich ein bisschen wie eine Entgiftung an: back to the roots! Es steckte aber kein großer Plan dahinter, das passierte mehr so aus einem Instinkt heraus.

Dieses Covers-Album einzuspielen, fühlte sich ein bisschen wie eine Entgiftung an.

Wie habt ihr euch der Musik angenähert? Blues gilt mittlerweile als ein hochrespektiertes Kulturgut. Ist das jedes Mal aufs Neue eine Herausforderung?

Carney: Wir wollten auch einen Beitrag zur Erhaltung dieser Musik leisten. Es ist jetzt nicht die bekannteste Form des Blues. Da wir überhaupt erst über diese Tunes unsere Instrumente erlernten, fühlte es sich vollkommen natürlich an. Uns fällt es wesentlich schwerer, einen Song wie „Lonely Boy“ aufzunehmen. Wir haben für „Delta Kream“ nicht einmal geprobt. Wir sind ins Studio rein und haben die Songs eingespielt. Einige davon kannte ich noch gar nicht, doch spätestens nach dem dritten Take war alles fertig. Alles in allem haben wir nur zehn Stunden Produktionszeit benötigt. Bei dieser Musik hängt alles vom Gefühl und den Nuancen ab. Es ist ein ständiges Reagieren auf Impulse. Perfektion wäre da fehl am Platz, das würde es nur ruinieren.

Das kommt nur beim Live-Aufnehmen zustande?

Carney: Genau. Es ist sehr nahe am echten Leben gebaut. Wenn das fucked-up ist, ist das dann halt auch real.

Ist das Album vor oder während der Pandemie entstanden?

Carney: Vorher, die Session fand im Dezember 2019 statt.

Wir habt ihr den Lockdown erlebt?

Carney: Das Album war fertig und wir wussten zunächst nicht, was wir damit machen sollen und ob wir überhaupt etwas damit machen sollen. Dann passierte monatelang gar nichts. Doch je länger der Stillstand dauerte, desto mehr wuchs in den Menschen der Wunsch nach Live-Erlebnissen und – hey! – wir hatten genau das in der Schublade. Wir hatten das Album für uns gemacht und plötzlich machte es auch Sinn für die Welt da draußen.

Und persönlich?

Carney: Ich weiß, dass ich in einer sehr privilegierten Situation bin und mir keine existenziellen Sorgen machen muss. Ich habe viel Zeit alleine in einem Hotel verbracht. Das hat sich ehrlich gesagt nicht so sehr von dem Leben vor der Pandemie unterschieden. Wir sind im Grunde genommen seit Jahren auf Tour und somit getrennt von Freunden und Familie. Der Kontakt verläuft dann größtenteils über das Telefon. So war es auch im Lockdown. Ich war also vorbereitet. Natürlich habe ich mir auch Sorgen gemacht – vor allem um die Älteren in meiner Familie, die ich bis zur Impfung gar nicht gesehen habe. Und da sind natürlich all die Freunde, die von der Musik und ihrem Umfeld leben. Ich habe den Eindruck, dass es diese Menschen beruflich am härtesten getroffen hat. Alle anderen konnten irgendwie weitermachen: Home-Delivery statt Restaurant usw., aber wenn man vom Live-Geschäft abhängig ist, war man echt fucked.

Es ist vielleicht noch zu früh, darüber zu sprechen, aber gibt es bereits Pläne für ein neues Album mit Originalsongs von den Black Keys?

Carney: Dan und mir ist in diesem Jahr des Stillstands eines klar geworden: Dieses Album war für uns dringend notwendig. Die Erkenntnis ist, dass wir nur noch Dinge machen werden, die uns ein Bedürfnis sind und Spaß machen. Das Leben ist zu kurz für irgendwelchen Bullshit. Das habe ich vorhin mit Entgiften gemeint. Wir haben als kleine Bluesrockband begonnen, die von ihrem ersten Album 50 Stück verkauft hat. Wir haben jahrelang mehr oder weniger in einem Van gelebt, und erst mit dem sechsten Album ist der Durchbruch gelungen. Album Nummer sieben hat uns dann umgehend in den Madison Square Garden katapultiert. Das ist aber gefährlich, denn jetzt geht es darum, diesen Status aufrecht zu erhalten und die kommerziellen Erwartungshaltungen zu erfüllen. Das verändert die ganze Zielsetzung und vergiftet dein Denken. Und davon wollten wir uns mit diesem Album befreien. Was mich glücklich machen würde, ist, wenn mein Sohn in 30 Jahren diese Musik hört und spürt, dass es genau das ist, was sein Dad machen wollte.

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