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Selbstkontrolle statt Großraumbüro? Arbeiten nach der Pandemie

Edo Meyer forscht an der Uni Wien zu den Herausforderungen und Chancen flexibler Arbeitsmodelle. Während der Corona-Pandemie haben wir gezwungenermaßen beides kennengelernt. Aber wie geht es nach der Pandemie weiter? Bleibt Home Office ein Ding – und wenn ja, was bedeutet das für unser psychisches Wohlbefinden?

Von Melissa Erhardt

Homeoffice war wohl eines der umstrittensten Themen im letzten Jahr: Die einen lieben es, die anderen hassen es. Für die einen bedeutet es freie Zeiteinteilung und konzentriertes Arbeiten ohne Ablenkung, für die anderen Unvereinbarkeit mit Familie, Wohnsituation oder ganz einfach eine ungewollte soziale Vereinsamung. Mit einer steigenden Durchimpfungsrate rückt langsam auch die Frage näher, wie es nach der Pandemie weitergeht. Weicht der Schreibtisch im Großraumbüro für immer dem Küchentisch zuhause? Oder können wir demnächst schon wieder unsere verstaubte Tupperware für unsre Lunchboxen auspacken (wer auch immer so motiviert ist, das tatsächlich zu tun)? Edo Meyer, Psychologe und Forscher an der Universität Wien, sieht das diplomatisch: „Ein gesunder Mix wäre künftig gut“. Es sei vor allem die Aufgabe der Firmen, ein gutes Arbeitsumfeld zu schaffen – dann könnte Remote Working auch weiterhin funktionieren. Dazu zähle nicht nur, regelmäßige Treffen zu arrangieren, um den Kontakt der Arbeitnehmer*innen untereinander aufrecht zu erhalten und damit Motivationsanreize zu schaffen, sondern auch Strukturierungsleistungen bereit zu stellen:

„Die größte Gefahr, die ich jetzt sehe, ist, dass Strukturierungsleistungen, die vorher von den Firmen übernommen wurden, etwa das Einhalten der Arbeitszeiten oder die ergonomische Ausstattung, ein bisschen zu kurz kommen. Man muss sich denken: Ich benutze meine privat bezahlte Wohnung, um für die Firma zu arbeiten. Dann kommt die Ergonomie dazu, weil ich mit meinem Laptop am Sofa im Schneidersitz arbeite. Das kann manchmal ganz nett sein, aber auf Dauer ist es einfach schlecht. Ein Bildschirm muss auf einer guten Höhe sein. Man braucht einen guten Arbeitsplatz und manchmal braucht man halt auch ein eigenes Zimmer, um Calls und Telefonate ruhig auszuführen. Wenn man dieses Teils-Teils also einführen will, dann muss der Arbeitgeber auch dafür sorgen, dass der Arbeitsplatz ergonomisch und passend ist. Sonst ist es ein ziemlich schlechter Deal, nach dem Motto: Ich hab’ jetzt ein bisschen mehr Freiheit in meiner Zeiteinteilung, dafür hab ich halt mehr Rückenschmerzen.“

Edo Meyer

Edo Meyer

Edo Meyer ist Arbeits- und Organisationspsychologe. An der Universität Wien hat er im Rahmen des Projekts „Flexibilisierung und Entgrenzung von Arbeit“ zu den psychologischen Aspekten flexibler Arbeit geforscht.

Und egal wie kritisch man dem Selbstoptimierungswahn gegenübersteht: Die eigene Produktivität leidet unter dauerhaftem Homeoffice. So hat eine Umfrage des deutschen Ifo-Instituts ergeben, dass letztes Jahr fast ein Drittel der Unternehmen eine gesunkene Produktivität bei ihrer Belegschaft bemerkt haben. Das läge nicht nur daran, dass Motivation oft erst durch den Kontakt zu Kolleg*innen entstehe, sondern eben auch an den schlechten Arbeitsplätzen, so Meyer im Interview. „Der Produktivitätszuwachs, den man durch einen guten Arbeitsplatz bekommt, würde sich extrem schnell rentieren. Laut einer amerikanischen Studie sparen sich Firmen 11.000 Dollar pro Jahr, wenn der Angestellte oder die Angestellte 50 Prozent der Zeit von zu Hause aus arbeitet. Berechnungen zufolge bräuchte es aber nur ein Einmal-Investment von etwa tausend Dollar, um den Angestellten zu Hause ein Set-Up zu bieten, in dem sie gut arbeiten können. Durch die Produktivitätssteigerung, die dadurch erfolgt, hätte man die Kosten für sowas in etwa einem Monat wieder drin.“

Neue Skills, die wir lernen müssen

Ein gutes Arbeitsumfeld wird aber nicht nur durch ergonomische und soziale Faktoren bestimmt. Sollte die Arbeit zuhause auch in Zukunft – und wenn auch nur teilweise - beibehalten werden, müssen wir Strategien entwickeln, um mit den psychologischen Folgen flexibler Arbeit fertig zu werden. Denn das Abgrenzen der Arbeit von der Freizeit und sonstigen Verpflichtungen fällt zuhause deutlich schwerer. Damit wird auch die Erholung erschwert, die so wichtig für das eigene Wohlbefinden ist. Meyer: „Ich brauche zuhause mehr Energie, um mich erfolgreich zu detachen, also mich von meiner Arbeit abzugrenzen. Arbeitsplätze helfen einem da schon: Ich gehe zur Arbeit und arbeite dort an meinem Arbeitsplatz. Und wenn ich wieder gehe, wenn ich mich quasi auch örtlich entfernen kann, dann fällt es mir auch leichter, mich mental davon abzugrenzen. Wenn das nicht mehr gegeben ist, wird es schwieriger. Da braucht man dann mehr Tricks und Skills, die man vorher halt nicht auf dem Schirm hatte.“

Ein Skill, der in diesem Zusammenhang in den letzten Jahren immer wichtiger geworden ist und auch stärker erforscht wird, ist Selbstkontrolle. Arbeit wird immer komplexer und es fällt schwerer, sich über längere Zeit intensiv und ungestört mit einem Thema zu befassen. Wenn Firmen dann auch noch keine Unterstützungsleistungen für flexible Arbeit anbieten, man aber trotzdem noch eine gewisse Trennung zwischen Arbeit und „dem Rest“ beibehalten will, ist man auf sich selbst angewiesen - und das ist oft gar nicht so einfach:

„Selbstkontrolle ist etwas, das Energie kostet. Gerade wenn mir nicht nach etwas ist oder mir die Motivation für etwas fehlt, brauche ich Selbstkontrolle, um Dinge trotzdem umzusetzen.“

Für Edo Meyer ist das Aufbauen von Gewohnheiten und das Finden von Mechanismen ein Trick, um diese Selbstkontrolle zu umgehen: „Gewohnheiten funktionieren genau andersrum. Sie sind automatische Verhaltensweisen, die extrem energiesparend sind.“ Ein Beispiel hierfür wäre das Handy, das oft während der Arbeit am Tisch liegt. Allein die Anwesenheit des Handys habe laut einer Studie schon einen Effekt auf uns, von Benachrichtigungen und Messages ganz zu schweigen. Schlauer wäre es daher, das Handy einfach in eine Schublade zu legen, so dass man es nicht mehr sieht, oder alle Benachrichtigungen auszumachen. Meyer: „Es ist viel logischer, sich einen Mechanismus zu überlegen, damit man erst gar nicht erst in die Versuchung kommt. Je höher die Temptation, also die Versuchung, desto mehr Selbstkontrolle brauche ich, um dem zu widerstehen und desto mehr Energie wird aufgebraucht. Und das wiederum führt dazu, dass man sich am Ende des Tages oder am Ende der Woche einfach erschöpft fühlt.“

Das Blöde ist: Gewohnheiten funktionieren besonders gut ortsgebunden. Zuhause verwischen diese Gewohnheiten sehr schnell, was wiederum für eine Teils-Teils-Lösung spricht, wo die Gewohnheit, im Büro zu arbeiten, aufrechterhalten werden kann: „Orte triggern bei uns gewisse Dinge. Das ist schwieriger, wenn ein gewisser Platz verschiedene Aufgaben hat. Wenn ich in die Arbeit gehe, bin ich ohne viel Energieaufwand im Mindset des Arbeitens. Zu Hause ist es anders. Wenn ich einen Schreibtisch habe, auf dem ich zeitweise arbeite, manchmal aber private Mails checke, esse oder mir Youtube-Videos anschaue, dann ‚verschmutze‘ ich mir ein bisschen das Detachment. Man braucht dann viel mehr Selbstkontrolle, um an diesem Ort, wo ganz viele Sachen passieren, genau diese eine Sache zu machen und fokussiert zu bleiben. Ich bin mir recht sicher, dass man im Homeoffice mehr Selbstkontrolle braucht, weil dort unsere Gewohnheiten schwieriger aufrechtzuerhalten sind.“

Mehr Individualität

Wie und ob Firmen flexible Arbeitsformen auch künftig beibehalten werden, das werden wir wohl im Laufe des nächsten Jahres selbst zu spüren bekommen. Fest steht jedenfalls, dass die oben genannten Faktoren sich von Person zu Person stark unterscheiden können, weil, wie anfangs schon erwähnt, die Lebensumstände oft sehr unterschiedlich und nicht mal ansatzweise miteinander vergleichbar sind. Das sieht auch Edo Meyer so und betont daher noch einmal, wie wichtig künftig auch individualistischere Lösungen sind. „Es muss halt passen für die Menschen, und das kann sehr unterschiedlich sein. Das ist ja auch einer der Gründe, wieso diese generelle Frage ‚Ist flexibles Arbeiten gut oder schlecht?‘, einfach nicht klar beantwortet werden kann, weil es stark davon abhängt, wie die Lebenssituation der Person ist.“

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