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Computerbildschirm in abgedunkeltem Zimmer

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Der gesündeste Mensch

Können Computerspiele wirklich glücklich machen und ist die Online-Welt eigentlich die bessere Welt? Todor hat an der Lebensweise von Christian so seine Zweifel.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Die neuen Coronafälle werden weniger, die Lokale machen auf und die Straßen füllen sich mit Menschen. Alle hoffen, dass die Normalität wieder zurückkehrt. Außer Christian. Er sitzt in seinem verdunkelten Zimmer und spielt den ganzen Tag Computerspiele. Er hat eigentlich kaum mitbekommen, dass es Lockdowns gab und dass die Menschen gezwungen wurden, zu Hause zu bleiben.

Christian geht sowieso kaum raus. Er kommuniziert nur online und trifft niemanden. Sein einziger treuer Partner ist sein PC. Einmal sagt er zu mir (übers Internet natürlich), dass er immer traurig ist, wenn er seinen Computer ausschalten muss, um schlafen zu gehen. „Jede Trennung ist schmerzhaft“, sagt er und spricht über sein Computer wie über ein Lebewesen. Christian vermischt das virtuelle mit dem echten Leben und für ihn ist das was ganz Natürliches. „Im ‚echten‘ Leben ist man so vielen Risiken ausgesetzt und ist nicht frei. In der Computerwelt lebt man grenzenlos und hat sein Leben im Griff. Da ist alles ehrlicher“, sagt er.

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Christian versteht seine Lage und sieht darin keine Probleme. „Jeder hat seine Sucht – manche spielen stundenlang Sudoku oder lösen Kreuzworträtsel. Inwiefern bin ich anders? Wenn man tagelang einen Wandteppich strickt, ist es gut und wenn man tagelang Computerspiele spielt, soll es schlecht sein?“

Christian hat auch eine wissenschaftliche Erklärung für sich vorbereitet: „Warum werden Menschen süchtig nach Glücksspielen? Weil es ihnen Spaß macht! Ihr Gehirn löst Glückshormone aus. Glücklich zu sein, ist doch unser Ziel. Und beim Computerspielen funktioniert das besser als im Casino!“ Seine Logik bringt ihm ein harmonisches Leben und er versteht die Menschen nicht, die ihn für asozial halten. „Ich kommuniziere mit Menschen ehrlich und vollwertig. Ich darf jeden beschimpfen, wenn ich ihn nicht mag. Menschen wie ich, die das Netz haben, brauchen keine Psychotherapie, denn wir können unsere Ängste, Hoffnungen und Lüste mit dem gesamten Internet teilen. Wir leben nicht außerhalb der Gesellschaft, wir sind die neue Gesellschaft. Alleine im deutschsprachigen Raum sind wir über zwei Millionen. Die Zeit wird kommen, wenn alle so wie ich sind!“

Hier merkt er meine fehlende Zustimmung und beruhigt mich. „Ich bin tolerant gegenüber euch, die anderen mir gegenüber nicht. Ich bin nicht krank und brauche keine Therapie! Mein Computer hustet nicht, ich bleibe für immer in Quarantäne und bin somit der gesündeste Mensch in Österreich!“

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